Einfach nur Shoppen gehen, Golf spielen und an der Hafenpromenade Cappuccino trinken, wie das viele deutsche Mallorca-Residentinnen lieben - das wäre nichts gewesen für Clara Hammerl. Denn zum einen gab es damals all diese Annehmlichkeiten noch gar nicht auf der Insel, und zum anderen wäre die arbeitssame und strenge Lutheranerin gar nicht der Typ für solch nutzlosen Zeitvertreib gewesen. Für die Preußin aus Bromberg waren Pflichterfüllung, Tatkraft, Sauberkeit, Fleiß und Zuverlässigkeit oberste Maxime. "Sie war eine Frau, die fest zu ihrem Wort stand", sagt der Historiker Pere Salas Vives, der jüngst eine Biographie in katalanischer Sprache über Clara Hammerl veröffentlich hat.
Die Deutsche kann heute als eine der frühesten und zugleich bedeutendsten Insel-Residenten angesehen werden. Mehr noch, sie war die erste Frau in Spanien, und vermutlich in der ganzen Welt, die einer Sparkasse und damit einem finanzwirtschaftlichen Institut vorstand.
Umso weniger nachvollziehbar ist, dass Clara Hammerl über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten konnte. Erst 2008 wurde ihr Vermächtnis wiederentdeckt, als im Rahmen der ersten Frauen-Messe auf den Balearen die Mitglieder des Unternehmerinnenverbandes Clara Hammerl als historische Vorkämpferin auf Mallorca würdigten. Im Jahre 2013 zog das Rathaus von Pollença nach und ernannte die Deutsche posthum zur Ehrenbürgerin der Gemeinde im Inselnorden. Dort ist auch eine Schule nach der Deutschen benannt. Mehr noch: Der Inselrat von Mallorca erklärte die Vorkämpferin für Erziehung, Bildung und effektive Betriebswirtschaft zur "Frau des Jahres" auf der Insel. Und das balearische Fernsehen IB3 wird am 8. März um 21.35 Uhr ein eigens produziertes Dokudrama über die erste Mallorca-Residentin ausstrahlen. Der größte Verdienst dieser Ehefrau, Mutter, Witwe und Ausländerin auf Mallorca: Sie setzte nach dem Tod ihres Mannes Guillem Cifre de Colonya dessen Werk fort und leitete von 1908 bis 1916 die Sparkasse Caixa Pollença: ein kleines, feines Finanzinstitut, das nach wie vor und ohne Bankenfusion eigenständig existiert.
Doch wer war diese Deutsche überhaupt? Clara Hammerl erblickte 1860 unweit von Danzig als Tochter eines Lokomotivführers das Licht der Welt. 1883 zog die junge Frau nach Berlin, wo sie als Lehrerin arbeitete. Hier lernte sie 1887 den Mallorquiner Guillem Cifre de Colonya kennen. Der Pädagoge hatte 1879 in Pollença eine laizistische Schule sowie 1880 die Sparkasse gegründet. Der engagierte Unternehmer strebte danach, benachteiligten Schichten in seiner Heimat Bildung, Kultur und letztlich Emanzipation nahezubringen. Guillem Cifre war ein großer Anhänger des deutschen Philosophen Karl Krause (1781-1832), der in seiner Heimat zwar nie die ihm zustehende Bekanntheit erreichte, dafür aber mit seinem Gedankengebäude des organischen Wachstums und des Aktivseins für sich selbst und die Gemeinschaft bei den spanischen Intellektuellen in hohem Ansehen stand. So machte sich der Mallorquiner Cifre auf, Deutsch zu lernen, um Krause im Original lesen und verstehen zu können. Zu diesem Zweck war der begüterte Landbesitzer eigens nach Deutschland gereist. Dabei lernte er in der Sprachlehrerin seine spätere Frau kennen. Das Paar war auf einer Wellenlänge, was Bildung und Kultur sowie den Kampf gegen Analphabetentum und Unwissen anging: Cifre aus einem aufklärerischen, modernisierenden Impetus heraus, Hammerl aus evangelischer Tradition.
Das Paar heiratete 1889, Clara zog nach Pollença, dort kamen drei Kinder zur Welt, die Tochter Emma starb jedoch 1900 im Alter von sechs Jahren. Dieser Verlust legte sich wie ein Schatten über das Familienleben, insbesondere Guillem Cifre konnte den Verlust nicht überwinden.
"Für Clara Hammerl war das Leben im Norden der Insel eine schwere Prüfung", sagt ihr Biograph Pere Salas. Die hochgewachsene blonde Frau wirkte wie ein Fremdkörper in der Dorfgemeinschaft und wurde von vielen nur "die Riesin" genannt. Ihre ersten Mallorca-Jahre waren von Einsamkeit geprägt: Zwar sprach Hammerl Spanisch, doch in jenen Zeiten beherrschten nur wenige Gebildete der Oberschicht Kastilisch. Es handelte sich um Vertreter des erzkonservativen Adels und des Klerus. Diese Schicht lehnte zum einen die gesellschaftlichen Modernisierungsbestrebungen Cifres ab und hegte zum anderen Argwohn gegenüber der Nicht-Katholikin Hammerl. Zwar lernte Hammerl mit der Zeit auch Katalanisch, doch richtig heimisch wurde sie in dem Dorf nie. "Pollença", so beklagte sie sich einmal in einem Brief an einen Bekannten, "ist ein Ort außerhalb dieser Welt."
Clara Hammerl erlebte im Rahmen ihrer Familie glückliche und weniger glückliche Jahre. Die Beziehung zur ältesten Tochter war angespannt. Antonia, geboren 1891, strebte nicht nach höherer Bildung, sondern wollte schlicht Mutter und Ehefrau sein. Ein Lebensweg, den die resolute Hammerl lange nicht gutheißen wollte.
Acht Jahre nach dem Tod der kleinen Emma nahm sich 1908 ihr an einer Depression erkrankter Mann während einer Reise in Frankreich das Leben. Sein Werk, die Schule und die Sparkasse, die bei der einfachen Landbevölkerung das Ansparen von Kleinbeträgen fördern sollte, standen ohne Führung da. Da beschloss der Vorstand des Geldinstituts, Clara Hammerl mit der Aufgabe zu betrauen. Das spricht für das Ansehen, das die Frau in jener Zeit ungeachtet aller Widerstände für sich hatte aufbauen können, ist Pere Salas überzeugt.
Hammerl leitete die Sparkasse acht Jahre, bis sie einen Nachfolger aufgebaut hatte, dem sie das Werk in die Hände legen konnte. Anschließend begleitete sie ihren Sohn zum Studium der Agrarökonomie in die USA. Ihr Ziel war es, Guillem solle eines Tages die Ländereien in Pollença als Gutsverwalter modernisieren. Doch der Sohn zog es vor, nach dem Studium in den USA zu bleiben. Am Ende folgte Hammerl ihrer Tochter Antonia nach Argentinien nach, wo sie 1931 starb.
Wenige Fotos erinnern heute an Clara Hammerl und ihr Wirken in Pollença. Die Deutsche half stets bei den Ernten mit. Die "Riesin" trug selbst bei der Landarbeit immer Gewänder in tadellosem Weiß, als Zeichen der stets angestrebten Reinheit in allem Tun.
Infos zum Buch:
"Clara Hammerl. Una dona de paraula", ISBN: 978-84-16416-08-8
(aus MM 9/2017)