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Geiseldrama "Landshut" ist "ein Trauma bis heute"

Die historische Aufnahme zeigt die "Landshut"-Passagiere - die allermeisten von ihnen deutsche Mallorca-Urlauber - nach ihrer Befreiung bei der Ankunft in Frankfurt. | Archiv Ultima Hora

| Mallorca |

Mallorca Magazin: Herr Rupps, Sie haben 2012 das Buch "Die Überlebenden von Mogadischu" veröffentlicht, jetzt haben Sie am Dokumentarfilm "Die Geiseln von Mogadischu - Das Leben nach der 'Landshut'-Entführung" mitgewirkt. Worum geht es darin?

Martin Rupps: Die Passagiere der "Landshut" waren als Geiseln der palästinensischen Terroristen fünf Tage lang eingepfercht in einer Flugzeugkabine, in der es mit jedem Tag mehr nach Angst, Schweiß und Tod roch. Für die meisten der Passagiere blieb dies ein Trauma bis heute. Viele fanden kaum - manche gar nicht - in das Leben zurück.

MM: Wie viele von den damaligen Betroffenen sind heute noch am leben?

Rupps: Ich schätze etwa ein Drittel der rund 90 Geiseln.

MM: Mit wie vielen der ehemaligen Passagiere hatten Sie für Ihre Forschungen Kontakt aufgenommen?

Rupps: Schon für mein Buch habe ich mit etwa 20 Betroffenen oder ihren Nachkommen sprechen können. Hinzu kam die Einsicht in Nachlässe von weiteren Passagieren. Ich habe mir einen recht breiten Eindruck verschaffen können.

MM: Hatten Sie auch Kontakt mit den Mallorquinern unter den Passagieren?

Rupps: Indirekt. Ich sprach mit den Söhnen einer deutschen Residentin, die auf Mallorca lebte. Und mir war der Werdegang der Familie Cañellas bekannt.

MM: Was war für Sie das Außergewöhnliche, das Novum an der Landshut-Entführung?

Rupps: Bis dahin standen in Deutschland einzig prominente Vertreter von Politik, Wirtschaft und Justiz im Visier der Terroristen. Mit den als Geisel genommenen Passagieren wurden erstmals willkürlich ausgewählte Privatleute zu Opfern der Gewalt. Das hatte eine neue Qualität und warf die Frage auf, wie der Staat mit den Betroffenen umgehen sollte. Im Falle der Landshut-Opfer lässt sich sagen: Sie sind weder seelisch unterstützt noch materiell entschädigt worden.

MM: Weshalb nicht?

Rupps: Zunächst einmal: Es gab nach der Befreiung keine sogenannten Trauma-Ambulanzen für die Betroffenen, wie das heute gang und gäbe ist nach solchen traumatisierenden Ereignissen. Der Bundesregierung waren zwar Vorbilder aus den Niederlanden oder den USA bekannt, aber die Haltung war: Was wollt ihr denn, wir haben euch doch herausgeholt? Erst viel später bekamen die Betroffenen Gruppentherapien angeboten, aber da gingen die meisten nicht mehr hin.

MM: Warum fiel es vielen schwer, über das Erlebte zu sprechen?

Rupps: Die Opfer befinden sich in einer ambivalentenSituation. Sie wollen einerseits sprechen, um sich zu entlasten. Andererseits ruft das Sprechen schmerzhafte Erinnerungen auf. Die Opfer wollen sich nicht neu belasten mit dem Wiedererleben der dramatischen Momente.

MM: Was hatte die fehlende psychotherapeutische Betreuung für Folgen?

Rupps: So mancher Betroffene, insbesondere die Jüngeren, bekamen ihr Leben nicht mehr in den Griff. Im Extremfall brachen sie ihre Ausbildung ab, hatten Brüche im Lebenslauf. Andere wurden zu Alkoholikern, tranken sich zu Tode. Vor allem die Älteren starben, ich würde sagen, gebrochenen Herzens, aufgrund der Enttäuschung und des Vertrauensverlustes in die Institutionen wie der Bundesregierung oder der Lufthansa, die keine Entschädigung geleistet hatten.

MM: Wie reagierten Freunde und Verwandte?

Rupps: Die meisten Angehörigen waren hilflos. Sie wussten nicht, wie sie mit dem Trauma des Partners oder Kindes umgehen sollten. Es gab Ehepartner, die sagten: "Lass uns nicht mehr davon sprechen." So manche Ex-Geisel verschloss sich gegenüber ihrem Partner, woran die Partnerschaft nicht selten scheiterte.

MM: Hätte eine Entschädigung daran etwas geändert?

Rupps: Eine Entschädigung hilft durchaus, das Erlebte zu verarbeiten. Es zählt dabei vor allem die Geste, weniger die Summe. Der Staat hat sich im Falle der "Landshut"-Opfer jedoch nicht dafür entschuldigt, dass unbeteiligte, einfache Menschen zu Opfern politischer Gewalt wurden.

MM: Am 18. Oktober ist allerdings ein Gedenkakt mit dem Bundespräsidenten angesetzt ...

Rupps: Das ist richtig. Aber es hat 40 Jahre gedauert, bis es dazu kommen konnte. Zwar gab es schon einmal, vor zehn Jahren, eine Gedenkveranstaltung, aber dazu waren weder der Bundespräsident noch die Bundeskanzlerin erschienen. In Israel wäre so etwas undenkbar, die Spitzen des Staates machen dort das Gedenken an Menschen, die Opfer politischer Gewalt werden, zur Chefsache! Dort wird neben den Helden auch der Opfer gedacht.

MM: Warum hat sich das offizielle Deutschland mit der "Landshut" so lange so schwer getan?

Rupps: Die Helden von Mogadischu, die Beamten der GSG9, sind durchaus und zu Recht gewürdigt worden. In Deutschland herrscht jedoch die Tendenz vor, lediglich die Helden zu ehren. So haben wir die Helden von Bern und die Helden von Mogadischu. Aber dass es auch Opfer gegeben hat, ist in der Vergangenheit negiert worden.

MM: Was muss geschehen, damit bei aktuellen terroristischen Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung im Nachhinein nicht so viele traumatisierte Opfer zu beklagen sind?

Rupps: Den betroffenen Menschen muss sofort geholfen werden, etwa durch die Einrichtung von Trauma-Ambulanzen. Darauf muss eine mindestens mehrmonatige therapeutische Begleitung folgen, schnell und unbürokratisch; ohne formale Anträge. Und wie gesagt, es ist wichtig, dass es eine Entschädigung gibt, und sei sie nur symbolischer Natur.

Mit Martin Rupps sprach Alexander Sepasgosarian.

TV-TIPP INFO
Der Dokumentarfilm von Martina Treuter und Martin Rupps, "Die Geiseln von Mogadischu - Das Leben nach der 'Landshut'-Entführung", wird nach seiner Erstausstrahlung zu Wochenbeginn in der ARD nun wiederholt am Mittwoch, 18. Oktober 2017, um 21 Uhr, im SWR Fernsehen.

(aus MM 41/2017)

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