Wer je im Straßengewirr der Wohnviertel von Palma das erste Mal und vollkommen unverhofft auf ihn traf, der wird sich mit Sicherheit an den erlebten Wow-Effekt erinnern. Wenn sich die Häuserfronten in den Straßenschluchten plötzlich weiten und die Sicht freigeben auf das altehrwürdige Jugendstil-Ensemble, dann gleicht der Bau mit seinen Bäumen und Grünzonen inmitten der Betonwüste einer Oase, die Platz und Ruhe zum Verweilen anbietet. Die Rede ist von Palmas ehemaligem Schlachthof „S’Escorxador”. Vor mehr als einem Jahrhundert errichtet, macht das Bauwerk noch immer Eindruck auf seine Betrachter. Seit 1990 ist in dem Komplex mit seinen symmetrisch angeordneten Gebäuden und Freiflächen ein reiches Kultur- und Sozialleben anzutreffen.
Der „S’Escorxador” dient in einem der dicht besiedeltsten Wohngebiete der Stadt als Orientierungspunkt und beherbergt in seinen Hallen und Pavillons ein Gesundheitszentrum, eine städtische Fortbildungseinrichtung, Außenbüros des Rathauses, eine Stadtteilbibliothek, das Programmkino Cineciutat, einen Eroski-Einkaufsmarkt, diverse gastronomische Cafés und Bars sowie last but not least die 2015 eröffnete Restaurant- und Erlebnismarkthalle „San Juan”. Das Areal ist ein reger Treffpunkt der Anwohner und Bürger aus ganz Palma und von auswärts. Man verabredet sich auf den Freiluftterrassen zwischen den in Karminrot verputzten Einzelgebäuden samt ihren schmückenden Bordüren und Ornamenten aus Sandstein. Junge Leute warten dort auf den Beginn ihres Films, Eltern genießen ein Feierabend-Bier, Kinder toben auf den Spielgeräten, Hungrige decken sich mit Tapas und Pinchos ein, Senioren beobachten das Treiben von den Parkbänken aus oder tragen Einkaufstüten nach Hause.
„Gute Architektur beweist sich darin, dass man ihr neue Funktionen zuführen kann, so dass sie – zum Vorteil aller – mehr Lebensqualität schafft und bietet”, sagt Pedro Rabassa. Der weißhaarige Herr mit schwarzem Jacket führte am vergangenen Samstag eine große Zuhörergruppe über das Gelände. Der Fachmann war von der Architektenkammer Mallorca beauftragt worden, das Wirken seines wohl bedeutendsten Inselkollegen zu würdigen. Der mallorquinische Architekt Gaspar Bennazar (1869-1933) hatte im Jahr 1905 nicht nur den Schlachthof auf dem Reißbrett entworfen, sondern das Erscheinungsbild seiner Heimatstadt im ersten Drittel des 20. Jahrhundert intensiv mitgestaltet und geprägt. Viele Prachtbauten Palmas, etwa am Borne, in der Altstadt oder jenseits der damals niedergerissenen Ringmauern sowie etwa die Stierkampfarena gehen auf Gaspar Bennazar zurück. Der Rundgang über den Schlachthof war der Abschlussakt des Gedenkjahres, das die Architektenkammer zum 150. Geburtstag des Ausnahme-Kreativen organisiert hatte.
Pedro Rabassa verweist auf die vielen kunstvoll geschmiedeten Eisenelemente des Schlachthofes. Obgleich es sich um ein funktionales Gebäude handelte, stattete Gaspar Bennazar es reichlich mit Ornamenten der damaligen Stilepoche des „Modernismo”, der spanischen Variante des Jugendstils, aus. Den Prunk und die Pracht, die den Schlachthof auch zu einem repräsentativen Gebäude der Stadtverwaltung machten, wurde damals mitunter durchaus kritisch gesehen, erläutert Rabassa. „Ein Palast zum Töten der Tiere”, ätzten so manche Zeitgenossen ...
Gleichwohl verfolgte Bennazar in seinem Werk modernste Ansätze innovativer Industriearchitektur: Der Bau sollte höchsten hygienischen Anforderungen Genüge leisten und ein reibungsloses Arbeiten der Schlachter nach dem Fließbandprinzip ermöglichen. Die Tiere wurden von Norden her zugeführt und, falls notwendig, in den bogenförmigen Stallungen untergebracht, in denen sich heute unter anderem die Bibliothek befindet. Die drei hallenartigen Großpavillons (heute: Kino, Eroski, San-Juan-Markt) dienten dem Schlachten, Ausnehmen und Zerteilen der jeweils Schafe und Ziegen, Rinder und Schweine. Das kleine Gebäude mit Schornstein im nordöstlichen Winkel des Geländes funktionierte als Krematorium zum Verbrennen der Abfälle. In den beiden südlichen Gebäuden (heute: Fortbildungs- und Gesundheitszentrum) waren Vertrieb und Verwaltung beziehungsweise das Veterinäramt samt Laboratorien untergebracht. Der kleine Holzpavillon wiederum, in dem heute Kinokarten verkauft werden, diente als Sitz der Waage für die in Richtung Stadt abzutransportierenden Fleischprodukte.
Für das Gesamtensemble erhielt Bennazar 1906 den spanischen Nationalpreis für Projektentwürfe. Eröffnet wurde der „S’Escorxador” 1909. Er blieb, einst weit außerhalb der Stadtbebauung gelegen, bis 1982 in Betrieb. Dann beschloss die Stadtverwaltung den inzwischen von vielen Wohnvierteln regelrecht umzingelten Schlachthof auszusiedeln.
Blieb die Frage: Was tun mit den Gebäuden? Zunächst sollte dort die Juristische Fakultät der Universität angesiedelt werden, doch die Politik entschied sich dagegen und setzte auf den neuen Campus vor den Toren der Stadt.
Nach Jahren des Leerstands wurden dann die Architekten Daniel Gelabert und Pedro Rabassa beauftragt, den Schlachthof in das heutige Freizeit- und Sozialzentrum umzuwandeln. „Wir haben damals so viel wie möglich von der Original-Bausubstanz bewahrt”, erläutert Rabassa. Heute sei das Areal eine Zone pulsierendes Lebens mitten in der Stadt. Ein Ort, an dem Kinder rennen können, ohne auf Autos achten zu müssen, so Rabassa. „Dieser Schlachthof hat sich als Glücksfall für das ganze Viertel erwiesen.”