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Wie Deutsche und Spanier mit Autorität umgehen

Präsentes Bild auf Mallorca: Polizei und Militär kontrollieren die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen während des Alarmzustands. | Jaume Morey

| Mallorca |

Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus greift Mallorcas Polizei konsequent durch. Bei Verstößen gegen die mehrwöchige Ausgangssperre drohen empfindliche Geld- und sogar Gefängnisstrafen. Während in Deutschland Einschränkungen der Bewegungsfreiheit lange als Angriff auf die persönliche Freiheit kritisiert wurden, gibt es auf der Insel keinen Protest gegen die ungleich strengeren Vorgaben „von oben“.

„In Spanien und Deutschland gibt es ein unterschiedliches Verhältnis zu Autorität“, erklärt Kathrin Bremer, Trainerin für interkulturelle Kommunikation auf Mallorca. Spanier akzeptieren demnach leichter als Deutsche, dass jemand über Macht verfügt. „Vielleicht kommt auch hinzu, dass der Franquismus hierzulande noch nicht so lange her ist“, sagt Psychotherapeutin Vanessa Gleede, die in ihrer Praxis in Palma interkulturellen Konflikten auf den Grund geht.

Anders als Pedro Sánchez fasst Bundeskanzlerin Angela Merkel die Deutschen geradezu mit Samthandschuhen an, sie setzt auf Empfehlungen statt Sanktionen – nicht ohne Grund, erklärt Gleede: „Die Erinnerung an das Dritte Reich lässt viele Deutsche auch heute noch empfindlicher auf Autoritäten reagieren.“ Ostdeutsche könnten sich zudem an die Stasi erinnert fühlen, wenn plötzlich über Apps diskutiert wird, mit denen sich die Kontakte von Infizierten tracken lassen.

Polizeikontrolle auf dem Paseo Marítimo in Palma während der Ausgangssperre. Foto: Alejandro Sepulveda

Nachdem „hedonistische Ichlinge“ zunächst Egoismus mit Erwachsensein und Selbstbestimmung verwechselten, wie „Spiegel“-Kolumnistin Samira El Ouassil schrieb, halten mittlerweile auch die meisten Deutschen den geforderten Mindestabstand ein. Dass dieser Wandel Zeit brauchte, erklärt Bremer ebenfalls mit kulturellen Unterschieden. „Deutschland ist geprägt von einer individualistischen Kultur, es zählt das ‚Ich’. Zurückzustecken fällt in solchen Kulturen schwerer.

In Spanien zählt eher das ‚Wir’. Die spanische Gesellschaft ist solidarischer“, sagt sie. Aber auch der deutsche Föderalismus mit seinem großen Interpretations- und Entscheidungsspielraum dürfte dazu beigetragen haben, dass es Zeit brauchte, bis der Virus in den Köpfen ankam. „Spanien wird zentral regiert“, sagt Gleede, politische Botschaften fallen da naturgemäß einheitlicher aus.

Und noch etwas fällt auf, wenn man die Krisenreaktionen in beiden Ländern vergleicht. Auf der Insel scheint man dem Virus-Grauen geballte Emotionen entgegensetzen zu wollen. Allabendlich brandet der Applaus für Ärzte und Schwestern von den Balkonen auf. In Algaida unterhalten Polizeibeamte Dorfbewohner mit musikalischen Ständchen und Tanzeinlagen. Die Videos davon gingen um die Welt. Schwer vorstellbar, dass sich auch deutsche Beamte in einer Krisensituation so verhalten würden.

„Dieses Beispiel zeigt noch einen Unterschied zwischen beiden Ländern. Spanier sind generell eher beziehungsorientiert, Deutsche sachorientiert. Warum also als Polizist den Bürgern nicht die Angst nehmen und sie unterhalten, statt nur mit Fakten aufzuklären?“, erläutert Bremer.

Umgekehrt wäre ein Spanier sicher irritiert, würde er zurzeit einen Blick auf deutsche Fernsehdiskussionen werfen. Nur wenige Tage nach Geschäftsschließungen und Mahnungen zum Social Distancing wurde angesichts der drohenden wirtschaftlichen Folgen bereits eine baldige Rückkehr zur Normalität gefordert. „Angst essen Freiheit auf“, erklärte FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, „Die Politik darf sich nicht zur Geisel der Wissenschaft machen“, forderte Peter Dabrock, Mitglied des Deutschen Ethikrats, im ZDF.

„Es ist aber kein Wunder, dass man die Situation in Deutschland anders betrachtet als in Spanien“, sagt Psychotherapeutin Gleede. Die Zahl der Infizierten ist hierzulande deutlich höher, ganz zu schweigen von den Todesfällen. „Die Corona-Pandemie wird von der Politik als ‚Crisis sanitaria’, als Gesundheitskrise, behandelt, die Wirtschaft steht im Vergleich dazu momentan hintenan.“

Dennoch habe man auch auf Mallorca durchaus finanzielle Interessen im Auge behalten. Bestes Beispiel: Bis zur Verschärfung der Ausgangssperre, mit der man alle nicht lebenswichtigen Unternehmen in den Winterschlaf schickte, seien viele private Bauarbeiten ungehindert weitergegangen – auch ohne Schutzmasken.

Dass man der Wirtschaft in Deutschland generell eine größere Bedeutung beimisst, liegt Gleedes Einschätzung nach auch an der Führungsrolle in der EU. Kommunikationsexpertin Bremer vermutet noch eine weitere Ursache dafür. „Je wohlhabender eine Gesellschaft, desto individualistischer ist sie. Im Gegenzug bricht der Rückhalt durch die Familie weg. Man muss sich daher viel stärker auf das Funktionieren von Staat und Wirtschaft verlassen.“

(aus MM 14/2020)

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