Josep Manchado war 17 Jahre alt, als er mit ein paar Dutzend Gleichgesinnten am 7. Juli 1977 von Sant Elm aus per Boot die knapp zwei Kilometer zur Insel Sa Dragonera zurücklegte – jung, links und finster entschlossen, die Welt zu verändern. „Wir waren überzeugt, in dem Moment würde die Revolution beginnen“, sagt Manchado, der heute 60 Jahre alt und Direktor im Inselratsdezernat für Umwelt ist. Zu seinem Zuständigkeitsbereich gehört: der Naturpark Sa Dragonera. „Es ist schon verrückt, was das Leben manchmal für Wendungen bereithält“, sagt er.
Die Besetzung der Insel vor nun bald 43 Jahren war eine spontane Aktion, erinnert er sich. Die jungen Anarchisten, die lose in den Gruppierungen Talaiot Corcat und Terra i Llibertat zusammengeschlossen waren, hatten Wind davon bekommen, dass die schon lange geplante Bebauung bald losgehen könnte. Der Konzern Pamesa wollte auf Sa Dragonera eine Luxusurbanisation für 4500 Menschen bauen, mit Helikopter-Landeplatz, Casino und Sporthafen. Das galt es zu verhindern und so machten sich die Aktivisten auf den Weg – ohne große Vorbereitung, geschweige denn Verpflegung für ein tagelanges Ausharren auf der Insel.
„Wir gingen davon aus, dass uns die Polizei noch am selben Tag vertreiben würde“, sagt Manchado. „Zum Abendessen wären wir bestimmt wieder zu Hause, dachten wir.“ Es kam anders. Der auf der Insel mit seiner Familie stationierte Wächter alarmierte zwar die Eigentümer des Eilands, die Guardia Civil aber begnügte sich damit, das Geschehen aus der Ferne zu beobachten. Also schlugen die jungen Besetzer im Kiefernwald ihr behelfsmäßiges Lager auf. „Natürlich war das eine große Party für uns alle“, sagt Manchado. „Wir waren der Überzeugung, dass man nicht verbittert sein muss, um eine Revolution zu starten.“
Während die jungen Leute auf der kargen Insel ausharrten, organisierten Gleichgesinnte in Palma Unterstützungsaktionen. Es fanden Demonstrationen statt, es gab Infostände und es wurden Spenden gesammelt. Es entwickelte sich eine Solidaritätsbewegung, wie sie die Insel noch nicht erlebt hatte. Spanienweit berichteten die Medien, Künstler wie die Sängerin Maria del Mar Bonet und der Maler Joan Miró unterstützten die Forderungen der Aktivisten. „Selbst gutsituierte Bürger Palmas, die uns sonst als Hippies und Drogenabhängige beschimpften, sprachen uns nun Mut zu“, sagt Manchado. „Wir hatten die Mehrheit der Gesellschaft auf unserer Seite.“
Ein paar Jahre vorher wäre eine solche Protestaktion noch nicht möglich gewesen. Nun aber befand sich Spanien nach dem Tod Francos in der Übergangsphase zur Demokratie und es herrschte Aufbruchsstimmung, erinnert sich Manchado. „Es gab viele Freiheiten damals“, sagt er. „Die Regierung war darauf bedacht, demokratischer zu erscheinen, als sie wirklich war.“ Selbst heute würde die Polizei eine solche Aktion noch am selben Tag beenden, vermutet er. Nicht so damals: Die Küstenwache beschränkte sich darauf, die Versorgung vom Festland zu unterbinden und weitere Aktivisten daran zu hindern, überzusetzen.
Etwas mehr als zwei Wochen hielten die jungen Leute durch. Dann beschloss die Generalversammlung im Kiefernwald den freiwilligen Rückzug. Die Verpflegung mit Nahrungsmitteln gestaltete sich zunehmend schwierig. „Außerdem hatten wir seit Tagen nicht geduscht“, sagt Manchado. Vor allem aber war der wichtigste Zweck erfüllt: „Die Leute waren wachgerüttelt.“
Heute gilt die Besetzung von Sa Dragonera als Geburtsstunde der mallorquinischen Umweltschutzbewegung. Manchado gibt jedoch zu bedenken, dass für ihn und seine Mitstreiter damals andere Themen im Mittelpunkt standen. „Wir hatten gar keine Ahnung von den Vogelarten, die da bedroht waren“, erinnert er sich. „Wir waren einfach dagegen, dass da auf der Insel eine Reichen-Siedlung gebaut wurde.“
Mit dem Rückzug der Aktivisten war das Thema aber längst noch nicht beendet. Im Gegenteil. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Hier wurde der Gob (Grup Balear d’Ornitologia i Defensa de la Naturalesa) zur treibenden Kraft. „Zum Glück haben die den Kampf dann vor Gericht weitergeführt“, sagt Manchado. Im Januar 1984 erklärte ein Richter die ursprünglich erteilte Baugenehmigung für ungültig, am 14. Juli 1988 stimmte der Inselrat für den Kauf der Insel. Auf 1,7 Millionen Euro (damals 280 Millionen Peseten) belief sich die Transaktion. Am 26. Januar 1995 schließlich erklärte die Balearen-Regierung die Insel zum Parc Natural.
„Mich erfüllt das vor allem mit Stolz“, sagt Manchado. Bis heute sei die kollektive Erinnerung an jene Tage sehr positiv geprägt. Das merke man auch daran, dass viele Leute behaupten, damals dabei gewesen zu sein, die noch nie einen Fuß auf die Insel gesetzt hätten. „Man kann aus der Geschichte lernen, dass man für Utopien kämpfen muss“, sagt Manchado. „Niemand von uns hätte damals gedacht, dass Sa Dragonera eines Tages ein Naturpark sein würde.“ Und schon gar nicht, dass dieser einst zu seinem Zuständigkeitsbereich im Umweltdezernat des Inselrats gehören würde.
(aus MM 16/2020)