Geschickt befreit Anna ten Bruggencate in Windeseile den Tisch im Wohnzimmer von allerlei Spiel- und Malsachen, nur um kurz darauf drei Teller und drei Becher bereitzustellen: Es ist Snackzeit in Alcúdia. Langweilig wird es der Niederländerin nie. Sie ist nicht nur Mutter von drei kleinen Kindern – vormittags arbeitet sie außerdem im Immobilienbüro und wenn die Kleinen abends schlafen, dann haucht ten Bruggencate fingergroßen Holzfiguren Leben ein. „Poppis“ hat sie die Figuren getauft, die sie anhand von Fotos so gestaltet wie deren menschliche Vorbilder.
„Pop, das ist das holländische Wort für „Puppe“, erklärt die 34-Jährige den Namen. Die Idee sei ihr nach der Geburt ihrer Zwillinge vor zwei Jahren gekommen. Damals war sie auf der Suche nach einem Hochzeitsgeschenk für eine Freundin. Originell sollte es sein – und natürlich persönlich. So bemalte sie zwei Holzpüppchen als Braut und Bräutigam. Frisur, Haarfarbe und Augenfarbe wählte sie dabei so, dass sich das Brautpaar in den beiden Figuren sofort wiedererkannte. „Das war die Geburtsstunde der ‚Poppis’“, erinnert sich ten Bruggencate. Kurz darauf gestaltete sie aus fünf kleinen Holzmännchen ihre eigene Familie. Sie wollte etwas schaffen, dass als Symbol für ihre Lieben steht, und es dauerte nicht lange, da bekam sie die ersten Aufträge: Freunde und deren Freunde baten sie um „Poppis“.
„Die Intention hinter den Bestellungen ist sehr unterschiedlich“, erzählt ten Bruggencate. Manche wünschten sich die Figürchen einfach als Symbol für sich oder als Geschenk für Freunde. „Viele bestellen sie aber auch zum Spielen für ihre Kinder. Dann versiegele ich die Kreidefarbe noch mit einem Speziallack“, erklärt sie. Und manchmal gibt es auch Bestellungen, die der Wahl-Mallorquinerin Gänsehaut bereiten.
Zum Beispiel die der zwei Poppis in einem Rahmen, gemeinsam mit vielen Tieren. Im Hintergrund, so der Wunsch der Auftraggeberin, sollten zwei Luftballons zu sehen sein, ein blauer und ein rosafarbener, die gen Himmel fliegen. Die Luftballons stehen symbolisch für den unerfüllten Kinderwunsch der Beschenkten. „Sowas geht mir als Mutter von drei Kindern natürlich besonders nah“, sagt ten Bruggencate.
In der kleinen Etagenwohnung in Alcúdia ist lautes Kinderlachen zu hören. Die Zwillinge haben ihrem großen Bruder gerade in ihrer Spielzeugküche einige Autos „gekocht“.
Seit acht Jahren lebt ten Bruggencate auf der Insel. Zuvor hat sie in den Niederlanden erst Marketing und Kommunikation und anschließend Hotel- und Eventmanagement studiert. Letzteres führte sie vor eben acht Jahren wegen eines Praktikums in ein Hotel nach Alcúdia. Dort lernte sie ihren heutigen Mann kennen und verliebte sich erst in ihn und dann in die Insel.
Ihre neue Heimat irgendwann wieder gegen die alte einzutauschen, das kann sie sich im Moment nicht vorstellen. „Wir lieben Mallorca. Wegen dem Wetter, dem Strand. Einfach weil unsere Kinder hier unbesorgt und in einer tollen Kultur aufwachsen können“, begründet sie die Entscheidung. „Wobei es während des coronabedingten Lockdowns ehrlich gesagt schon hart war. Drei kleine Kinder und dann wochenlang in einer beengten Wohnung mit nur einem Balkon. Das war kein Spaß“, gesteht sie. Umso mehr hat Anna ten Bruggencate die ruhigen Zeiten schätzen gelernt, in denen sie sich abends, wenn alle schlafen, ihrem Hobby widmen kann. „Zuerst male ich immer die Kleidung“, erklärt sie. Dann kämen die Haare und am Ende das Gesicht. Kleine Holzkugeln oder zusammengerollte Schnur verarbeite sie dabei gerne zum Dutt oder Zopf. „Hunde und Katzen bekommen, wenn es farblich passt einen Anzug aus Filz, Hochzeitskleider verziere ich mit weißer Spitze und kleine Strasssteinchen werden zur Kette“, erläutert die Poppi-Erfinderin.
Auf ihrer Facebook- Seite „Poppi“ zeigt sie die fertigen Püppchen und nimmt Bestellungen entgegen. Immer öfter bekommt sie jetzt auch Aufträge von Fremden. „Vor einiger Zeit hat Joke Verkeyn, eine Belgierin, die hier auf Mallorca lebt, eine ganze Großfamilie bestellt. Zwölf Menschen und einen Hund. Damit ihr Sohn die Familie aus Belgien trotz Auswanderung irgendwie bei sich hat. Vor kurzem dann hat sie noch einen Engel nachgeordert“, erzählt ten Bruggencate. Ein Engel als Symbol für den Zwilling der Auftraggeberin, der noch im Mutterleib verstorben war. „Sie hatte beobachtet, wie ihr vierjähriger Sohn mit den Püppchen gespielt hat und das Gefühl, dass jemand fehlt“, berichtet die Zwillingsmutter, die mit drei Brüdern aufgewachsen ist – zwei davon: Zwillinge. Mit dem Engel fühlt sich die Poppi-Familie für Joke Verkeyn jetzt vollständig an. „Ich liebe es, meinem Sohn beim Rollenspiel mit den Figuren zu beobachten. Und wenn er irgendwann fragt, wer der Engel ist, dann werde ich den Moment nutzen, um ihm zu erklären, dass Menschen, wenn sie sterben, zu Engeln werden.“
Für Anna ten Bruggencate ist es jedes Mal ganz unwirklich, wenn sie hört welchen Stellenwert die Poppis in manchen Familien einnehmen. „Manchmal rührt es mich fast zu Tränen, wenn sich die Leute so sehr über ihre Poppis freuen“, sagt sie. Und bald schon werden sich noch mehr Menschen an den Figürchen erfreuen dürfen. Die Holländerin hat einen Anruf bekommen, der sie völlig aus den Socken gehauen hat: Das Museum „De Museumfabriek“ in Enschede in den Niederlanden wird die Poppis in Zukunft im Museumsshop zum Kauf anbieten. „Das ist doch irre! Ich kann’s kaum glauben!“ Anna ten Bruggencate strahlt. Schon bald gehen die ersten Poppis aus Alcúdia auf die Reise. Bemalen wird sie sie spätabends, wenn ihre drei Jungs schlafen. Mit Kreidefarbe und vor allem mit ganz viel Liebe.
(aus MM 24/2020)