Seit ein paar Wochen gibt es am Marktplatz von Llucmajor ein neues Café. Relativ unauffällig steht der Name „Madeleine“ über dem Eingang. Man findet dort deutsches Brot und verschiedene Backwaren nach dem Geschmack der „Alemanes“, aber auch deutsche Wurstwaren aus dem Hause Abel und einiges mehr.
Betrieben wird das Lokal von Madeleine (51) und Jens Lichy (50). Allerdings ist momentan nur er vor Ort. Das hat einen Grund: Das Paar betreibt auch noch ein Hotel im Allgäu. Und seitdem Tourismus in Deutschland wieder möglich ist, sorgt Madeleine dafür, dass in Oy-Mittelberg der Laden läuft, während Jens das Café Madeleine aufbaut.
Für das Paar ist der neue Gastrobetrieb in Llucmajor ein Mallorca-Comeback. Genau genommen sogar schon das zweite, wenngleich das erste nicht ganz freiwillig war. Zusammen mit seiner heutigen aus der Schweiz stammenden Frau Madeleine hat der Schwabe Jens Lichy 1993 an der Playa de Palma das Restaurant „Ballermännle“ eröffnet, das es dort noch heute gibt. Eigentlich wollten die beiden sich in Peguera niederlassen, wo der gelernte Hotelfachmann zuvor eine Saison als Kellner gearbeitet hatte. Doch das Objekt, das dort besichtigt wurde, sagte dem Paar nicht zu.
Durch Zufall stießen sie dann auf ein heruntergekommenes Lokal an der Playa, aus dem sie mit viel Mühe und Aufwand den Treffpunkt für alle machten, die schwäbische Küche wie Rostbraten, Spätzle und Maultaschen schätzten. Der Laden lief, einige Jahre später beschäftigte man acht Mitarbeiter. Das Glück perfekt machten die Söhne Kevin und Dennis, die 1999 beziehungsweise 2001 das Licht der Welt erblickten. Trotzdem wollten Madeleine und Jens ihre Zeit auf Mallorca beenden. Hauptgrund waren die Kinder (2003 kam noch Selina hinzu). Sie sollten in Deutschland aufwachsen. „Mit Bergen, Schnee, grünen Wiesen und Wäldern“, so Jens Lichy. Im Rückblick betrachtet weiß er aber auch: „Immer das, was du gerade nicht hast, willst du haben.“
Viele Freunde haben Madeleine und Jens in ihren ersten Mallorca-Jahren ab 1993 nicht finden können. „Wir waren immer nur am Arbeiten und hatten nie Zeit. Natürlich hatten wir einige soziale Kontakte, aber Freunde möchte ich das nicht nennen. Wir haben mit denen ja nie etwas unternehmen können.“
2001 sollte das Ballermännle den Besitzer wechseln. Ein Käufer war schnell gefunden. Parallel arbeiteten die Lichys an der Rückkehr nach Deutschland und kauften von dem vermeintlichen Mallorca-Erlös ein Hotel im Allgäu. Alles verlief nach Plan, bis das Geld fürs Ballermännle, ein Boot, ein Auto und ein Haus in Cala Blava nicht kam. „Beim Verkauf wurden wir über den Tisch gezogen und haben alles verloren“, so Lichy. Es folgten schwere Zeiten und ein monatelanger Prozess, bis der Ballermännle-Gründer die Schlüssel für sein Lokal wieder in der Hand hielt. Er holte alte Mitarbeiter zurück und betrieb das Restaurant wieder selber. Das war Mallorca-Comeback Nummer eins. Lange dauerte die Zeit aber nicht. Nach etwa einem Jahr wurde im Frühjahr 2003 ein seriöser Käufer gefunden. Das Sagen im Ballermännle hat noch heute Marion Tönjes, die in der Anfangszeit des Lokals bei den Lichys als Kellnerin angefangen hatte.
In den folgenden Jahren war Familie Lichy nicht allzu oft auf der Insel. „Wir hatten die Schnauze voll, weil uns alles genommen wurde.“ Und außerdem mussten die beiden wieder schuften, um eine neue Existenz aufzubauen. Zwischenzeitlich hatten sie zwei Hotels, einen Gasthof und einen Imbiss. So ganz lässt einen Mallorca aber bekanntlich nicht los. Beim Abschied meinte Madeleine: „Irgendwann kommen wir wieder. In welcher Form auch immer ...“
Viele Kontakte zur Insel blieben in den folgenden Jahren nicht. Vor allem zur langjährigen Mitarbeiterin Marion und zu einem inzwischen verstorbenen Koch wurde aber die Verbindung aufrechterhalten.
Dann kam der Wunsch, kürzer zu treten. Der Erlös aus dem Verkauf eines Hotels reichte für eine 30.000-Quadratmeter-Finca bei Llucmajor, die sich die Lichys, die seit 1996 verheiratet sind, 2018 leisteten. Dort leben heute Pferde und Hunde, es musste also immer einer der beiden vor Ort sein. Irgendwann keimte die Idee auf, erneut auf der Insel gastronomisch aktiv zu werden. „An der ersten Linie der Playa de Palma waren die Preise viel zu hoch.“ Und wieder war es der Zufall, der mitspielte. Die ehemaligen Geschäftsräume der Santander-Bank an der Plaça d’Espanya in Llucmajor sollten vermietet werden. Das passte. Während des Lockdowns wurde in Eigenregie renoviert, dann eröffnet. Ein „deutsches“ Café unter vielen mallorquinischen Nachbarn. Aber die Lichys fühlen sich gut aufgenommen.
Und die alten Kontakte sind doch noch nützlich. Lieferanten, Gestorías et cetera. „Ich glaube, ohne Mallorca-Erfahrung hätten wir das hier nicht hinbekommen. So etwas ist als Newcomer schwierig“, meint Jens Lichy, der den deutschen Aspekt des Cafés, das im Sommer von 7 bis 15 Uhr geöffnet ist, nicht zu stark betonen will. Deutsche Fahnen würde er nie aufhängen. „Wir sind hier weder in Santanyí noch in Arenal, sondern mitten in Llucmajor. Wir arbeiten zu 80 Prozent mit mallorquinischen Kunden.“ Für Akzeptanz in den ersten Wochen habe auch die Auswahl der Kellnerinnen gesorgt. Zwei Töchter deutscher Auswanderer, die auf der Insel geboren wurden und in Llucmajor zur Schule gegangen sind. „Die kennen alle Einheimischen, die Mundpropaganda läuft gut“, so Lichy. Und so fällt es auch nicht sofort auf, dass Lichy, der gut Spanisch spricht, (noch) kein Mallorquín beherrscht. „Das kommt jetzt so langsam. Denn die Leute reden Mallorquín hier.“ Bis es so weit ist, kann er die Mitarbeiterinnen „vorschicken” ...
Lichy weiß, dass es unter den auf Mallorca lebenden Deutschen viele extreme Typen gibt. Da ist der Reiche, der in Son Vida wohnt und nicht weiß, was er mit seiner Zeit anstellen soll. Und in Arenal trifft man vielleicht eher eine gescheiterte Existenz, die eine Bar eröffnen will. „Hier in Llucmajor sind mehr die normalen Leute und natürlich auch viele Zweitwohnsitzler“, so der Auswanderer über seine Kundschaft. Apropos Auswanderer: Träumt das Paar von einem Auftritt bei „Goodbye Deutschland“ oder einer anderen Auswanderersoap? „Nein, das sind doch alles Spinner“, meint Jens Lichy. „Das ist mir zu billig.“ Zwar habe sich RTL bereits für einen Bericht angesagt, aber sich tage- oder wochenlang von der Kamera begleiten zu lassen, das komme nicht infrage.
Reich werden wolle man mit dem Café nicht. „Nein, wir haben nicht vor, davon zu leben. Die Unkosten sollen reinkommen.“ Da also die Haupteinnahmequelle das Hotel im Allgäu bleibt, werden sich Madeleine und Jens Lichy in den kommenden Monaten nicht so oft sehen, weiterhin ist Pendeln angesagt. Aber vielleicht wird die Insel eines Tages doch wieder zum Lebensmittelpunkt. „Mallorca ist so vielschichtig, es gibt immer wieder Angebote.“ So sei die Eröffnung eines zweiten Lokals nicht ausgeschlossen. „Oder etwas ganz anderes. Das Leben ist so schnelllebig.“
(aus MM 35/2020)