Es ist Weihnachten 1989. Deutschland ist wiedervereint und unter einem Tannenbaum in einer Wohnung irgendwo im ehemaligen Ostberlin sitzt ein junger Sven Gohdes und packt Geschenke aus. Im Normalfall erinnert sich niemand daran, was er vor mehr als 30 Jahren an Heiligabend für Präsente bekommen hat. Der heute 54-Jährige in diesem besonderen Fall allerdings schon: „Mein Onkel hat mir ein Flugticket nach Mallorca unter den Baum gelegt. Das war damals der absolute Wahnsinn für mich”, erklärt Gohdes und schmunzelt: „Ich denke, ich bin so ziemlich der erste Ossi, der einen Fuß auf Mallorca gesetzt hat.”
Zwischen damals und heute liegen unzählige Besuche auf der Insel und 2013 schließlich der Entschluss, hier sesshaft zu werden. Im Gepäck hat Gohdes bei dieser Ankunft am Flughafen vor besagten neun Jahren vor allem eines: Ein facettenreiches Wissen über die Kunst des Bierbrauens. „Ich habe die Berliner Brauerei ‚Hops and Barley‘ mitgegründet und bin dann nach sieben Jahren ausgestiegen, um etwas Neues zu machen.”
Das Neue entsteht zunächst in Molinar im Speckgürtel der Inselhauptstadt. „Wer sich ein bisschen mit den Immobilienpreisen auf der Insel auskennt, der weiß, dass die Ecke nicht die allergünstigste ist. Deswegen haben meine Frau und ich uns nach drei Jahren dazu entschieden, in Richtung Inselmitte nach Alaró zu ziehen.” Unter dem Namen „Forastera” findet man die Craft-Bier-Brauerei dort noch heute. Nicht nur am Umzug, sondern vor allem auch an der Namensgebung der neuen Biermarke ist Gohdes‘ Frau nicht ganz unbeteiligt. „Martha kommt aus León, ganz im Norden Spaniens. Als Festlandspanierin wurde sie hier gerne mal als ,Forastera’ betitelt. Das heißt so viel wie Fremdling oder Außenseiter. Das hat uns gefallen.”
In der Avinguda Constitució 34 entstehen seitdem je nach Nachfrage bis zu zwölf verschiedene Crafting-Biere der Marke Forastera. Mit auffällig gestalteten Etiketten und Namen wie: „Punk is Dad” oder „Another fucking IPA” gibt es die handgemachten und Bio-zertifizierten Leckereien in klassischen 0,33-Liter-Steiniflaschen. An der bauchigen Flaschenform mit ihrem charakteristischen kurzen Hals fanden besonders die Brauer in der DDR Gefallen. Das Bier des ehemaligen Klassenfeindes wurde fast ausschließlich darin abgefüllt. „Wir haben für jeden Geschmack etwas dabei. Es gibt Pilsner, Weizen, IPAs, Lager und sogar einen leckeren Kombucha.” Letzteres ist keine Biersorte, sondern ein nahezu alkoholfreies Erfrischungsgetränk, das durch das Fermentieren von gesüßtem Tee durch den „Kombuchapilz” entsteht. „Der Alkoholgehalt liegt dabei zwischen 0,2 und 0,5 Prozent. Bei unseren Biersorten ist das leichteste das ,Summer Beer Hoppy Lager’ mit 4,5 Volumenprozent Alkohol.” Das stärkste Bier im Sortiment sei mit 6,5 Volumenprozent Alkohol unser „Another fucking IPA”.
Auch wenn Gohdes und seine Craft-Bier-Kollegen auf der Insel sich zu Recht ein „Made in Mallorca” auf die Fahnen oder eben Etiketten schreiben, so sind sie doch alle nie wirklich zu 100 Prozent Mallorca. „Wir müssen alle woanders einkaufen gehen. Mallorca hat schlicht und ergreifend nicht alle Rohstoffe, die wir brauchen. Wir versuchen aber natürlich, so viel wie möglich von der Insel zu nutzen.” Seinen Hopfen bezieht der Braumeister vom spanischen Festland und das Malz wird aus Deutschland angeliefert. „Damit sind wir immer noch mehr Mallorca, als so manches industriell hergestelltes Bier, das mit mallorquinischer Herkunft wirbt.” Ein Beispiel dafür sei die Sorte „Rosa Blanca”, die zwar im Ursprung von 1927 bis 1998 wirklich hier gebraut und verkauft worden sei, seit ihrer Wiedereinführung 2018 allerdings zur katalanischen Damm-Brauerei gehöre und in Murcia gebraut und abgefüllt werde. Gohdes sei im Allgemeinen kein großer Freund des Industrie-Bieres. „Man kann zum Brauen Malz, Reis oder auch Mais nehmen. Da spricht handwerklich nichts dagegen. Das Ergebnis wird dann eben dementsprechend unterschiedlich ausfallen. Was aber nicht geht, ist, in dasselbe Bier Malz, Reis und Mais zu mischen. Das riecht dann meiner Meinung nach verdächtig nach Sparmaßnahmen, statt nach innovativem Handwerk.“ In Deutschland ist es das Reinheitsgebot, dass dafür sorgt, dass im Brauprozess nur Wasser, Hopfen, Malz und Hefe verwendet werden dürfen. Da sei aber ebenfalls ein gutes Stück Augenwischerei mit dabei, erklärt Gohdes.
„Ja, es dürfen nur diese Zutaten rein, aber um Bier im Anschluss haltbarer zu machen, verwendet die Industrie beispielsweise versteinerte Algen oder sogar Plastik.” Polyvinylpolypyrrolidon, kurz PVPP, wird als Granulat dazu verwendet, das Bier besonders klar aussehen zu lassen. Es sorgt ebenfalls dafür, dass die Hersteller eine für ein Jahr stabile Optik garantieren können. Nach Angaben des deutschen Brauerbundes ist der Stoff im Endprodukt jedoch nicht mehr vorhanden und muss deshalb auch nicht auf dem Etikett auszeichnet sein. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass Industrie-Biere möglichst lange verkaufbar bleiben sollen. Geschmack und Qualität bringe das aber keinesfalls nach vorne, erklärt der Fachmann.
„Bier ist kein Wein. Es wird nicht besser, je länger es steht. Ein Monat Lagerung ist völlig in Ordnung und sogar wichtig. Ich empfehle aber beim Kauf darauf zu achten, dass die Flaschen nicht länger als vier Monate im Regal stehen.”
Ebenfalls enorm wichtig sei die Temperatur, bei dem Bier gelagert werde. Das gelte besonders für Craft-Biere.
Als Herr über Hopfen und Malz trinkt Gohdes trotzdem eher selten Bier. „Es ist immer keine gute Idee, dein eigener bester Kunde zu sein”, scherzt er und ergänzt, „natürlich probiere ich, was wir da gebraut haben, und hin und wieder kaufe ich mir sogar mal ein Craft-Bier aus dem Supermarkt.” Weil er selbst einige Zeit in den USA gelebt hat, sei sein persönlicher Favorit das „Sierra Nevada” Craft-Bier aus Kalifornien. „Ich finde das sehr lecker, und das bekommst du hier auf der Insel sogar im Corte Inglés oder im Alcampo.” Generell sei Bier ja immer Geschmackssache und genau das sei eben auch einer der Gründe, warum sich die Craft-Bier-Szene überhaupt entwickelt habe. „Das deutsche Reinheitsgebot ist die pure Langeweile im Glas. Besonders wenn man weiß, wie trotzdem getrickst wird. Es hat aber dazu geführt, dass die Industrie in Deutschland kaum auf den Zug aufgesprungen ist.”
Die Spanier seien hingegen weltweit ganz vorne mit dabei, was Craft-Bier und eine diverse Bierkultur angehe. An die 20 Klein-, Kleinst- und Mikrobrauereien gibt es mittlerweile auf Mallorca, und Palma ist dabei das Craft-Bier-Zentrum der Insel. Das wohl neuste Mitglied der Szene ist die Microbrauerei „Borrego Guacho” an der Plaça de Madrid Nummer 11. Unwesentlich älter ist die 2020 im Santa-Catalina-Viertel entstandene Brauerei „Lowther Beer” oder die 2018 gegründete „Adalt-Brauerei“ im Carrer de l’Arxiduc Lluís Salvador Nummer 40. Diese besticht immer wieder durch innovative Kreationen. Sie wartet etwa mit dem Bier „Fluxkompensator” auf, das im Brauprozess durch mallorquinische Weintrauben ergänzt wurde. Neben Forastera gibt es natürlich auch noch andere ältere Hasen im Craft-Bier-Geschäft. Seit 2013 brauen beispielsweise die „Beer Lovers” in Alcúdia ihr eigenes, leckeres Bier-Süppchen. Wer sich noch eingängiger mit der bunten Welt des mallorquinischen Craft-Bieres beschäftigen möchte, der kann das bald auf der neunten Ausgabe der „Beer-Palma”, Palmas Bier-Messe im Parc de la Mar unterhalb der Kathedrale vom 29. April bis 8. Mai. Nicht nur Sven Gohdes, der in diesem Jahr bereits zum achten Mal dabei sein wird, sondern auch viele seiner Kollegen freuen sich schon jetzt auf einen Besuch möglichst vieler Fans des handgemachten Bieres.