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Der Deutsche, der auf Mallorca Spiele en masse erfindet

Ralf zur Linde lebt seit 2017 fast ausschließlich auf Mallorca. Hier hat er sich in den Norden der Insel verliebt und wohnt auf einer Finca bei Colònia de Sant Pere. | Privat

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Die Angestellten der Ferretería im verschlafenen Örtchen Colònia de Sant Pere im Norden Mallorcas wundern sich schon lange nicht mehr über den groß gewachsenen Mann, der manchmal abrupt und scheinbar geistig abwesend vor einem der Regale innehält und dort minutenlang verharrt. Wenn das passiert, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dem Unternehmer, Spiele-Erfinder und Musiker Ralf zur Linde genau in diesem Moment eine Idee zu einem neuen Gesellschaftsspiel gekommen ist. „Es kann sein, dass ich ein paar Schrauben kaufen will und zumindest gedanklich mit einem neuen Brettspiel nach Hause komme“, sagt der 52-Jährige, der sich in jungen Jahren einmal dazu entschieden hatte, Kindern Wissen zu vermitteln.

„Ich bin früher Grundschullehrer für Mathematik und Deutsch gewesen.“ Schon in seiner Jugend war er fasziniert von jeder Form von Spielen und auch das Programmieren am Computer lag ihm. „Das war zu einer Zeit, als es in der Grundschule noch keine PCs gab. Ich habe meine Schüler sozusagen inoffiziell mit einem kleinen Programm, das ich damals geschrieben hatte, an die Thematik herangeführt.“

Als sich die Technik schließlich offiziell in den Klassenzimmern der ganz Kleinen durchsetzte, hielt zur Lindes Programm „Die Lernwerkstatt“ sozusagen über Nacht Einzug in jedes deutsche Klassenzimmer. „Ich hatte das Programm wirklich nur geschrieben, weil ich dachte, es sei eine gute Idee, Kindern spielerisch Lerninhalte am Computer zu vermitteln.“ Das Lernprogramm wurde 2004 sogar mit dem deutschen Bildungssoftwarepreis ausgezeichnet.

Von dem unerwarteten Geldsegen erfüllte sich Ralf zur Linde 2006 den lang gehegten Traum von einer eigenen Finca auf Mallorca. „Ich wollte das Objekt möglichst gut vermieten, wenn ich gerade nicht selbst drin wohnen konnte, und habe damals deshalb einen Freund, der bei Google gearbeitet hat, gefragt, ob er mir nicht dabei helfen könne, das Haus bei den Suchergebnissen auf die erste Seite zu bekommen.“ Als das funktionierte und die Finca nahezu dauerhaft ausgebucht war, wurde seine Nachbarin auf ihn aufmerksam. „Sie hat mich damals gefragt, ob ich ihr nicht auch dabei helfen könne, ihre Finca zu vermieten.“

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Firmen-Geschichte. Seit 2008 und bis zum heutigen Tag ist das unter dem Namen „Fincallorca“ gegründete Unternehmen der Marktführer in Sachen Finca-Vermietung auf Mallorca. „Ich glaube, der Erfolg der Firma ist darin begründet, dass wir eben hier vor Ort sind. Die mallorquinischen Vermieter wissen gerne, mit wem sie es zu tun haben. Und das können Portale wie Booking, Airbnb und Co. nicht so ohne weiteres leisten.“

Weil ihn sein inneres Kind und sein Spieltrieb nicht in Ruhe lassen und er schlicht nicht anders kann als Ideen in die Tat umzusetzen, erschien 2009 sein kommerziell bislang erfolgreichstes Gesellschaftsspiel „Finca“. Die Spieler schlüpfen hier in die Rolle von Finca-Besitzern auf Mallorca und versuchen, mit ihren Eselskarren Früchte von ihrer Plantage an die verschiedenen Gemeinden der Insel zu liefern. „Damals wurden wir für den Preis ,Spiel des Jahres’ nominiert. Das hat für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt.“ Für das Cover der Spielschachtel nahm der Mann, der aus dem hessischen Ort Bad Wildungen stammt, die eigene Finca „Es Garrovers“ als Vorbild. „Das Thema Spiele oder Spielen zieht sich schon immer durch mein Leben. Irgendwie ist das alles ganz eng miteinander verbunden.“

Um die 20 Gesellschaftsspiele hat zur Linde bereits veröffentlicht. Für das kommende Jahr plant er, weitere acht auf den Markt zu bringen. „Ich habe um die 50 weitere Spiele-Ideen entweder bereits in der Schublade oder noch im Kopf.“ Besonders die Jahre an der Spitze von Fincallorca hätten allerdings wenig Zeit übrig gelassen, um diese Konzepte umzusetzen.

Schließlich verkaufte der Unternehmer die Firma im Jahr 2019. Vor allem, um mehr Zeit für seine Familie und seine Musik zu haben. „Wir sind vier Freunde und haben 1988 die Doo-Wop-Band The Crystalairs gegründet. Wenn man so will, ist die Musik neben dem Spielen meine zweite große Leidenschaft.“ Die Musikrichtung Doo-Wop kommt aus den Vereinigten Staaten der 1940er und 1950er Jahre und zeichnet sich durch ein mehrstimmiges Gesangsarrangement sowie durch die Harmonie und Rhythmik des Rock’n’Roll beziehungsweise durch Rhythm-and-Blues-Balladen aus.

Insgesamt elf Alben hat die Gruppe in den über 30 Jahren Band-Geschichte veröffentlicht und der nächste Meilenstein hat bereits ein Datum: Am 29. Oktober findet im Theater in Artà die vierte Auflage des Doo-Wop-Fever-Fests statt. „Wir haben insgesamt elf Bands aus ganz Europa organisiert. Das wird ein Riesenspektakel.“

Der große Mann mit dem kahl rasierten Kopf wirkt zurückhaltend, wenn er von seiner Lebensgeschichte erzählt. Beim Zuhören entsteht zunächst der Eindruck, ein großer Teil des Erreichten sei ihm einfach so vor die Füße gefallen. Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man neben einer Vielzahl von Jahren, gefüllt mit 16-Stunden-Arbeitstagen, eine unablässige Leidenschaft für Neues, die immer über dem finanziellen Erfolg seiner Projekte zu stehen scheint. Vielleicht ist es also wirklich das innere Kind, das Ralf zur Linde nie vergessen hat, sein ganz persönlicher Motivator: ein Spieltrieb, der ihn immer weiter vorantreibt.

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