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Ratgeberkolumne: Wie Formalien häufig unser Leben bestimmen

Für die Einen ist es das Größte, in so einem sportlichen Flitzer über die Insel zu cruisen. Andere brauchen etwas mehr Blech und Komfort, um sich wohlzufühlen. | Francisco Cáceres

| Mallorca |

Der folgende Text ist der MM-Kolumne "Unter vier Augen" von Talia Christa Oberbacher entnommen. Die Autorin ist Hypnose-Therapeutin und Coach in der Palma Clinic auf Mallorca.

Nicht nur, wenn Sie eine Frau sind, sagen Ihnen diese Zahlen vermutlich sofort etwas: 90-60-90. Es sind die Maße für Brust-, Taille- und Hüftumfang. Weiter geht es mit dem Body Mass Index. Dieser sollte nicht unter 18,5, aber auch nicht über 24,9 sein. Von der Jahreszahl im Ausweis wollen wir ab einem bestimmten Alter lieber nicht sprechen. Ganz gleich, ob Sie sich für einen neuen Job bewerben – „Wie alt sind Sie, wie viel wollen Sie verdienen?“ – oder sich bei einer Partnerbörse registrieren – „Wie alt sind Sie, wie viel soll Ihr Zukünftiger verdienen?“ –Zahlen bestimmen unser Leben.

Kaufen wir ein neues Auto, achten wir auf Leistung und Höchstgeschwindigkeit und natürlich auf den Preis. Wenn wir eine neue Wohnung, ein neues Haus kaufen oder mieten, gilt die Aufmerksamkeit der Größe, am besten in Quadratmetern, dem Kauf- oder Mietpreis und den Nebenkosten. Frauen werden bewertet nach der Kleider- und Körbchengröße, Männer nach Bauchumfang und der Größe des …, Sie wissen schon. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Das alles sind wichtige Informationen, die wir brauchen, um Entscheidungen zu treffen. Zumindest auf den ersten Blick. Natürlich ist es wichtig zu wissen, ob man sich das Haus oder die Wohnung, das Auto oder die Ehefrau leisten kann. Wenn wir in der Vorauswahl all die oben genannten Fakten abfragen und zusammentragen, suggerieren wir uns später, wir hätten unsere Möglichkeiten qualifiziert abgewogen und unsere Auswahl mit Sachverstand getroffen.

Das ist aber kein Garant dafür, dass wir zufrieden sind, vielleicht sogar glücklich mit unserem Entschluss. Was wäre, wenn wir uns fragen würden, wie es sich anfühlt, in diesem Auto zu sitzen? Fühlen wir uns sicher und geborgen, wie klingt der Motor, wenn wir Gas geben, oder ist es vielleicht ein Elektroauto, das kaum ein Geräusch beim Fahren macht? Bietet das neue Zuhause die Möglichkeit, an die Luft zu gehen durch Balkon, Terrasse oder Garten? In welche Himmelsrichtung blickt man, wenn man aus dem Fenster schaut? Kann man den Himmel sehen oder etwas Grünes, vielleicht sogar das Meer? Was ist überhaupt wichtig für mich? Fühle ich mich wohl in der Stadt oder eher am Stadtrand oder doch lieber auf dem Land? Wo kann ich Kompromisse eingehen und was brauche ich dringend, um hier gerne zu leben? Welche Rolle spielt die (Kleider-)Größe meines Partners und wie wichtig ist sein Alter?

Sind es nicht andere Dinge, die uns zeigen können, ob die Richtung stimmt? Worüber können wir gemeinsam lachen? Welche großen Ziele haben wir im Leben? Können wir respektvoll und achtsam miteinander umgehen? Ich höre Sie schon sagen: Das Leben ist kein Ponyhof. Alles, was zähl- und messbar ist, scheint wichtig und muss beachtet werden. Natürlich haben wir, hat unser Verstand, gute Gründe, so zu denken.

Zahlen, Daten, Fakten geben uns Struktur und die ist sehr wichtig für uns. Alles, was wir gedanklich einsortieren oder in Schubladen packen können, hilft unserem Gehirn Entscheidungen zu treffen. Oder etwa nicht? Auf der Seite www.planet-wissen.de liest man dazu, dass wohl eher der Nutzen entscheidend ist. So heißt es: „In der Psychologie geht man grundsätzlich davon aus, dass der Prozess des Entscheidens darin besteht, zuerst Alternativen zu benennen und Informationen zu sammeln, um danach die Wahlmöglichkeiten zu bewerten. Auf dieser Basis kommt es zu einer Handlungsabsicht, zu einer Entscheidung. Dabei spielt der zu erwartende Nutzen eine entscheidende Rolle.“

Allerdings sind wir laut dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Herbert Simon nicht fähig, den maximalen Nutzen zu erreichen, da uns ja nie alle möglichen Alternativen zur Verfügung stehen oder überhaupt bekannt sind. Er nennt das „begrenzte Rationalität” und formuliert deshalb die „satisficing rule”: „Vor der Entscheidung wird überlegt, welche Ansprüche erfüllt werden müssen.“

Da wir allein über den Nutzen also nicht so richtig weiterkommen, brauchen wir andere Vorgehensweisen, um gute Entscheidungen zu treffen. Dabei unterscheidet man analytische und nichtanalytische Strategien. Zu den analytischen gehören, wie oben geschrieben, die Fragen nach Zahlen, Daten, Fakten. Zu den nichtanalytischen dann eher der Vergleich mit früheren Entscheidungen, also unseren Erfahrungen oder denen anderer Menschen aus unserer Umgebung. Auch unsere liebgewonnenen Gewohnheiten spielen bei der Entscheidungsfindung eine große Rolle und von denen weichen wir nur ungern ab.

Interessant ist hier, dass auch die „Gewohnheiten“ der Gesellschaft, sprich die gesellschaftlichen Normen als wichtig bewertet werden. So halten wir uns beispielsweise bei der Partnerwahl unbewusst zunächst an die (unausgesprochenen) Regeln, was Alter und Größe angehen. Das heißt also, Männer dürfen deutlich älter als ihre Partnerinnen sein, umgekehrt ist es schon schwierig. Der Mann sollte größer sein als die Frau, umgekehrt ist es ein ungewohntes Bild. Wir folgen über diese Rollenbilder längst antiquierten Ideen, davon, was wie zu sein hat und was nicht.

Dabei kommt noch eine weitere, sehr wichtige Instanz bei der Entscheidungsfindung ins Spiel: Die Intuition, von der Albert Einstein sogar sagte, „dass diese alles sei, was wirklich zählt“. Neueste Erkenntnisse der Wissenschaft zeigen, dass vermutlich das Gefühl über den Verstand siegt. Dazu liest man weiter: „Der portugiesische Neurowissenschaftler Antonio R. Damasio kam als einer der ersten seiner Zunft auf diesen Gedanken, nachdem er über Monate hinweg einen Tumorpatienten untersuchte und sein Verhalten beobachtete. Dem Mann, den er Elliot nannte, war ein Tumor entfernt worden und Teile seines Gehirns waren beschädigt. So hatte er die Fähigkeit zu fühlen verloren und konnte plötzlich keine Entscheidungen mehr treffen.“ Was für eine Erkenntnis!

Wenn Sie nun zu den Menschen gehören, die sowieso intuitiv ihre Entscheidungen treffen, fühlen Sie sich vielleicht in Ihrer Vorgehensweise bestätigt. Die Anderen können sich selbst, wenn sie es mögen, doch mal einen neuen Blickwinkel anbieten, neue Perspektiven in Betracht ziehen und ihren Bauch, der ja gemeinhin als Sitz der Intuition gilt, in ihre Entscheidungen mit einbeziehen. Unbewusst machen wir das ja sowieso.

Talia Christa Oberbacher ist Hypnose-Therapeutin und Coach in der Palma Clinic.
www.palma-clinic.com

(aus MM 39/2022)

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