Ein kleines Haus mit einer Halle an der alten Straße von Sencelles nach Costitx ist der Sitz der Firma Lîla Juegos Reciclados. Durch eine Schiebetür betritt man die Halle und landet in einer farbenfrohen Zauberwelt. Hier lächeln tierähnliche Wesen, Masken und Statuen, stehen originelle Gefährte und Geschicklichkeitsspiele, bestehend aus alten Fahrradlenkern, Bremsscheiben,Töpfen, Schrauben und allen anderen erdenklichen Schrottteilen. Im Hintergrund zischt ein Schweißbrenner. "Dort arbeitet Adrian Vallejos. Er ist immer dabei, neue Spiele zu bauen", sagt Elena Xibillé bei der Begrüßung. Zusammen mit ihrem Mann Emiliano Matesanz leiten sie Lîla. Der Name komme aus dem indischen Sanskrit und bedeute göttliches Spiel, erklärt die Mallorquinerin. Das Spiel als fundamentaler Baustein in der Entwicklung von Kindern sei die Philosophie von Lîla: "Unsere Spiele regen die Vorstellungskraft an. Es gibt keine Regeln, wie sie angewendet werden sollen. Die Kinder machen das, wie sie wollen."
Auf Messen, Märkten und Festivals auf der Insel, dem Festland und in anderen Ländern stellt Lîla die Spiele aus. Dazu gehöre dann auch ein großes, von einem Fahrrad angetriebenes Karussell, meint Elena Xibillé. Mit Schulen arbeiteten sie ebenfalls zusammen. Durch die Verwertung recycelter Materialien wolle Lîla einen "anti-globalen" Trend in Bezug auf Spiele und Shows schaffen. Gegründet wurde Lîla 2015 von Emiliano Matesanz. Der gebürtige Argentinier ist Künstler und lebte damals in Asturien. 2017 kam der Umzug nach Mallorca – und 2020 die Pandemie. "Wir hatten praktisch keine Arbeit und waren sehr frustriert", erinnert sich seine Frau. Anfang 2021 hätte sie ein Freund angerufen und gesagt, dass jemand gesucht würde, um Straßenkindern in Sierra Leone einen Kurs im Schweißen zu geben. "Kurz entschlossen fuhr Emiliano hin." Und er blieb.
Aus dem Kurs ist eine Lehrwerkstatt geworden, mit einem auf vier Jahre angelegten Ausbildungsprogramm. 25 Jungen und Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren stellen aus recycelten Materialien Spiele und Attraktionen für Freizeitparks her. Dabei lernen sie das Schmiedehandwerk ebenso wie die Grundlagen von Mechanik, Elektronik, Malen und Design. Die Lehrwerkstatt befindet sich auf dem Gelände eines Waisenhauses der Salesianer Don Boscos. Der Orden rette viele Kinder von der Straße, sagt Elena Xibillé, aber nicht alle könnten dort unterkommen. "Deshalb hat Emiliano nebenan ein Haus gemietet, in dem jetzt 14 Jugendliche betreut wohnen. Es werden immer mehr."
In Sierra Leone lebten über 3000 Kinder in größter Armut auf der Straße, erzählt die Mallorquinerin. Viele würden Opfer von Missbrauch und Prostitution und die meisten landeten irgendwann im Gefängnis wegen Drogenkonsum, Diebstahl oder weil sie einer Straßenbande angehören. Für seine grausamen Bedingungen berüchtigt sei das Zentralgefängnis Pademba Road in der Hauptstadt Freetown. Fast alle Teilnehmer des Programms hätten dort mehrere Jahre verbracht. Viele seien gefoltert worden. "Es sind Realitäten, die wir uns in Spanien nicht vorstellen können."
Wer spenden möchte oder vielleicht als Freiwilliger oder Freiwillige eine Weile im Projekt mithelfen möchte, findet unter hier nähere Infos.
Am Telefon erzählt Emiliano Matesanz, was ihn bewogen hat, das Projekt aufzubauen. "Es sind die Jungs und Mädchen. Ich bin gerne mit ihnen zusammen. Sie sind so stark." Sein Ziel sei, dass alle das Programm beendeten und dann eine Wohnung und eine Arbeit fänden. Sie könnten eine Werkstatt aufmachen oder als Lehrer im Programm arbeiten, wenn es weiter wachse. Bis dahin sei es ein langer Prozess. Den meisten fehle das Basiswissen. Sie müssten zum Beispiel erst rechnen lernen, um einen Winkel bestimmen zu können. Viele hätten auch Probleme mit Gewalt und Drogen. Ihr Leben sei ein Kampf ums Überleben gewesen. "Darin waren sie Weltmeister. Bis sie Vertrauen fassen, dass wir hier wie eine Familie sind und uns gegenseitig unterstützen, dauert es." Er unternehme viel mit den Jugendlichen, sie machten Sport und Ausflüge. Nur zehn Kilometer vom Heim gebe es einen Traumstrand, aber keiner sei je dort gewesen. "Ihre Sorge war, einmal am Tag etwas zu essen – nicht, an den Strand zu fahren."
Afrika und die Kinder hätten ihn für immer verändert, meint Emiliano Matesanz. "Sie geben mir mehr als ich ihnen." Trotzdem möchte er nach Mallorca zurückkehren, wenn das vierjährige Programm abgeschlossen ist. Dann soll sich das Projekt auch selbst tragen. Schon jetzt hätten sie eigene Einkünfte, sagt er. Zum Beispiel stellten sie auch Türen und Fenster her und verkauften diese. Doch noch lebten sie in erster Linie von Spenden. Die wachsenden Ausgaben für Essen und Kleidung seien ein Problem. Aber in Sierra Leone gebe es so viele Probleme. "Entweder man gibt auf, oder man kämpft."