Es sind diese Momente, die man sich als Reisender auf keinen Fall wünscht: Eine Minute nach Beginn des Boardings scheppert plötzlich die Stimme der Mitarbeiterin des Bodenpersonals durch den Lautsprecher: „Wegen des Unwetters auf Mallorca werden dieser und alle weiteren Flüge nach Palma de Mallorca gestrichen. Bitte begeben Sie sich zum Ryanair-Büro im Check-In-Bereich”.
Blöd nur: Im selben Moment hat die irische Billig-Airline insgesamt drei Verbindungen nach Mallorca annulliert. Sprich: Knapp 600 Flugreisende machen sich zeitgleich zu Fuß auf den Weg zum Info-Desk der Airline. Dementsprechend lange ist dort dann auch Schlange – und die Wartezeit. Wer den Marsch von den Gates zum Office zackig zurücklegen konnte, harrt knappe eineinhalb Stunden aus, wer hinten in der Schlange steht – wie sich später herausstellen soll – gute vier Stunden.
Aber: Wer es einmal bis zu einem der Mitarbeiter hinter den Plexiglasscheiben geschafft hat, dem wird geholfen, zumindest im Rahmen des Möglichen. „Auf welchen Flug können Sie mich denn umbuchen?”, möchte der Autor dieser Zeilen wissen. „Leider geht die nächste verfügbare Verbindung nach Palma erst am Dienstag”, versichert die Handling-Angestellte. Uff ... das bedeutet also zwei weitere Nächte in der Hauptstadt. „Und wo sollen wir übernachten?”. „Wir stellen Ihnen ein Hotel”, erklärt die Dame, druckt einen Zettel mit der neuen Flugbuchung sowie einen weiteren mit Mail-Adressen für mögliche Entschädigungsforderungen sowie Daten zu besagter Unterkunft aus und verabschiedet sich mit einem Lächeln und einem „Machen Sie es gut, unten wartet ein Bus auf Sie!”.
Zehn Minuten später geht es mit 42 weiteren Betroffenen vom Flughafen ins benachbarte Madrider Stadtviertel San Blas-Canillejas, ein aufgeräumt und freundlich begrünt daherkommendes „Polígono”, in dem Gewerbegebiet befinden sich neben zahlreichen Autowerkstätten auch der Sitz der spanienweit agierenden Damm-Brauerei sowie die amerikanisch anmutende Shopping-Mall Plenilunio.
Im Hotel angekommen, heißt es noch einmal Schlange stehen. Zusammen mit vielen „alten Bekannten”, mit denen man bereits am Flughafen ins Gespräch gekommen war. Da sind die zwei etwas buckligen Schwestern aus Cala Millor, denen „immer etwas Schlimmes passiert, wenn sie denn einmal in ein Flugzeug steigen”. Da ist die Frau, die sich trotz Gipsbein und Krücke als Anführerin geriert und allen Anweisungen gibt, welche Dokumente sie für den Check-in bereitzuhalten haben. Da ist aber auch der Vater, der seiner Teenager-Tochter Madrid zeigen wollte, und der jetzt wie wild nach einem Ersatzflug am nächsten Morgen googelt („würde ich aus der eigenen Tasche zahlen”), weil er am liebsten sofort nach Mallorca zurückfliegen möchte (Spoiler-Alarm: Er wird keinen finden). Und da sind die drei Jungs, denen das Ganze so gar nichts auszumachen scheint, und die es sich bereits bei einer Caña an der Bar gemütlich gemacht haben.
Die Zimmerkarten sind schnell ausgehändigt – zwei Nächte dürfen wir, die „Gestrandeten”, bleiben. Dazu gibt es Voucher für Frühstück, Mittag- und Abendessen. Das Zimmer ist eher klein, verfügt aber über eine Klimaanlage, einen Fernseher und ein geräumiges Bad. Zum Abendessen ab 22 Uhr gibt es Steak mit Kartoffeln – für alle.
„Dieses Hotel lebt einzig und allein von Flugzeug-Crews und Urlaubern, deren Flüge gestrichen wurden,” erzählt jemand. Auf dem Tisch stehen Wasserflaschen – von Wein oder Bier keine Spur. „No extras”, sagt eine Kellnerin zu einem Briten. „Neulich wurde ein Kuba-Flug gecancelt. Die Reisegruppe blieb eine Woche hier im Hotel”, erzählt ein anderer Service-Mitarbeiter. Na, herzlichen Glückwunsch!
Die eigentliche Entdeckung erfolgt am Folgemorgen beim Öffnen des Fensters. Bei herrlichem Sonnenschein lockt ein ansehnlicher, blitzsauberer Pool samt Bademeister und Handtuchservice. So lässt sich der Gratis-Urlaub im Gewerbegebiet doch aushalten! Und eine Badehose sowie neue Unterhosen und zwei Paar Socken lassen sich im nahegelegenen Einkaufszentrum erwerben – schließlich war die Reisetasche ja nur für zwei Tage gepackt.
Am Dienstag dann wartet, um 4 Uhr morgens, der Bus zum Flughafen. Und siehe da: Alles verläuft pünktlich, der Flug ist sanft und die „Reisegruppe” genießt den Sonnenaufgang – die buckligen Schwestern, Vater und Tochter, die Jungs von der Bar, die Gipsbein-Frau – und der MM-Redakteur, der jetzt einfach nur froh ist, wieder auf der Insel zu sein.