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Journalist, Autor, Abenteurer: Mallorca-Urgestein Axel Thorer 85 Jahre alt geworden

Der jahrzehntelange Resident hat viel von der Welt gesehen. Und über sie geschrieben. Auch über seine zweite Heimat Mallorca. Ein Interview

Geschichtenjäger mit Entdeckerblick: Axel Thorer verbringt seit 66 Jahren einen Teil seines Lebens auf Mallorca. | Patricia Lozano

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Mallorca Magazin: Herr Thorer, Sie sind in Tanganjika geboren und waren überall auf der Welt. Was ist für Sie Heimat?
Axel Thorer: Heimat ist für mich ein Ort, an dem ich mich wohlfühle. Wo ich mich problemlos verständigen kann. Ich muss schon sagen, Deutschland ist meine Heimat. Seitdem ich auf Mallorca bin und ich mich verzweifelt um Integration bemühe, die in aller Ernsthaftigkeit unmöglich ist, muss ich auch Mallorca als meine Heimat betrachten. Aber ich könnte ab morgen in Nepal leben. Das liegt zum Teil daran, dass ich in jedem Staat, den es auf dieser Welt gibt, schon war, zum Teil mehrmals.

MM: Wann waren Sie das erste Mal auf Mallorca?
Thorer: Ich glaube, 1956, mit meinen Eltern. Aber 1958 ist meine Großmutter hierher ausgewandert. Und damit hatten wir hier ein Haus. Vorher waren wir Touristen.

MM: Wie war das Leben damals auf der Insel?
Thorer: Ich behaupte jetzt mal, dass die Mallorquiner damals nicht anders waren als jetzt. Was dazu kam, war ein gewisser Ausbruch von Habgier. Ich rede jetzt nicht vom Kellner Pepe, der für einen Mallorquiner gehalten wird, obwohl er aus Murcia kommt, sondern ich rede von den 300.000 echten Mallorquinern, die ihre eigene Sprache sprechen.

MM: Wie erleben Sie die Veränderung der Insel?
Thorer: Mallorca hat sich aus einer gewissen Steinzeit ins 
21. Jahrhundert erhoben, nur mithilfe des Geldes, das die Touristen gebracht haben. Aber ich atme im Oktober auf, wenn die Zugvögel alle weg und die Straßen leer sind. Dann sind zwar viele Läden und Restaurants zu, aber dann schere ich in die mallorquinische Welt ein, denn die Läden der Mallorquiner schließen nicht. Die werden nur im Getümmel des Millionentourismus übersehen. Die Mallorquiner haben ein wunderbares, raffiniertes System, unter sich zu bleiben. Ich glaube, dass sie recht haben. Einige kluge Mallorquiner sagen: „Das Schlimmste wäre, wenn die Ausländer sich integrieren würden, dann würden wir unsere Integrität verlieren.”

MM: Unterm Strich: Ist die Entwicklung Mallorcas zum Positiven verlaufen?
Thorer: Ja, weil die Mallorquiner weitgehend auf ihren eigenen Lebensstil bestanden und ihn erhalten haben. Mallorca hat bei einer Million Einwohner weit über 100 Verlage, die in Mallorquin drucken. Wie wunderbar ist denn das! Ich würde mal sagen, es gibt hier 150 Museen, da sind aber die privaten Adels- und Bürgersammlungen noch gar nicht mitgezählt, die man mit nettem Zuspruch auch besichtigen kann. Ich war vor ein paar Tagen in einer Kirche in einem Nonnenkloster. Die haben eine Sammlung gotischer Gemälde, dass ich mich hinsetzen musste. Ich rede von erstklassigen Meistern wie Llopis oder Terrencs. Ist das nicht herrlich? Das findet alles unter der Decke statt, weil die gar nicht möchten, dass wir das wissen. Wenn bekannt würde, dass dieses Museum der Nonnen so fabelhaft ist, dann würden plötzlich lauter Leute reinwollen. Das stört den Frieden des Klosters.

MM: Nervt Sie der Tourismus auf Mallorca?
Thorer: Mich nerven gewisse Touristen, aber nicht der Tourismus an sich. Es gibt Touristen, die sich als Kolonialherren aufspielen, aber die Residenten sind als Kolonialherren schlimmer. Neulich hat mir ein Resident gesagt: „Warum soll ich denn Spanisch lernen? Die wollen doch nur mein Geld, dafür können die Deutsch lernen.” Das ist die Haltung, wo ich sage: Der gehört rechts und links …

MM: Sind die deutschen Residenten Ignoranten?
Thorer: Nach einer offiziellen Statistik haben 20.000 Deutsche einen Wohnsitz auf Mallorca. Das ist aber Quatsch, 120.000 haben einen Wohnsitz. Von diesen 120.000 haben 110.000 keine Ahnung von Mallorca. Das interessiert die auch nicht. Die wollen auch keinen Mallorquiner kennenlernen. Denen genügt der Kellner, den halten sie für einen Mallorquiner, Sangría halten sie für das Nationalgetränk und Paella für die Nationalspeise. Mallorquinische Gerichte kennen die gar nicht. Ich finde die Deutschen, die nicht wissen, auf welcher Insel sie wohnen, entsetzlich.

MM: Wie wird man als Deutscher in Tanganjika geboren?
Thorer: Mein Großvater und mein Großonkel gehörten zu den Pionieren in Namibia. Irgendwo steht mein Großvater da auch auf dem Denkmal, weil sie ein Großteil der florierenden namibischen Industrie gegründet haben. Und sie sind deshalb geehrt, weil sie sich jede Form von Rassismus oder Apartheid verbeten haben. Mein Vater mochte Namibia nicht, weil du in Namibia weit gehen musst, bis du eine Wiese oder einen grünen Baum siehst. Deswegen kaufte er sich eine Farm in Tanganjika, und dort bin ich geboren.

MM: Wie kamen Sie dann nach Deutschland?
Thorer: Mein Vater dachte bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, er müsse das Vaterland verteidigen, und schlug sich mit meiner Mutter und mir als Baby nach Deutschland durch.

MM: Stimmt es, dass Sie Wrestler waren?
Thorer: Da war ich am Gymnasium Tegernsee. Ich hatte immer herkulische Kräfte. Mit 16, 17 Jahren konnte ich einen VW Käfer vorne hochheben, und ich hatte einen ziemlich ausgebauten Oberkörper. Damals gastierte eine Truppe, Zurths Catcher. Und weil ich rötlich- blonde Haare hatte, wurde ich als Einar Einarsson, der Wikinger aus Island, für, glaube ich, 20 Mark für den Kampf als Ersatz eingesetzt. Im Gymnasium hieß es dann, das sei einer deutschen Lehranstalt unwürdig. Da musste ich das aufgeben.

MM: Wie wurden Sie dann Wildhüter?
Thorer: Ich bin für eine gewisse Zeit nach Afrika zurückgegangen. Du warst von klein auf mit der Wildnis vertraut, ähnlich wie die Afrikaner, du hast vielleicht eine größere Disziplin gehabt und da wurdest du Wildhüter. Aber man hat die Weißen in den Wilderer-Einheiten eingestellt. Für einen Tansanier war es ein großes Problem, einen somalischen oder einen kenianischen Wilderer zu erschießen. Also hat man uns genommen und gesagt: Lass die doch das Problem lösen, denn hinterher können wir immer noch sagen, die Weißen erschießen immer noch Schwarze. Du konntest dich dem nur entziehen, indem du den Wilderer nicht erschossen hast.

MM: Wie wurden Sie Mitglied des exklusiven Explorer Clubs?
Thorer: Das war 1982. Du musstest gewisse Leistungen vorweisen und Paten haben. Meine Paten waren Thor Heyerdahl und Heinrich Harrer. Besser ging es eigentlich nicht. Und als Leistungen konnte ich nachweisen, dass ich 1977 in Afrika bei der Besteigung des Ruwenzori einen türkisfarbenen See, den es bisher nicht gab, entdeckt hatte. Bei einer anderen Expedition, ich glaube, das war auf dem Mount Kenia, sah ich auf 4000 Meter beim Pinkeln ein Tier. Ich setzte mich sofort hin, zeichnete es mit seiner Färbung und reichte die Zeichnung im Königlich Belgischen Institut für Naturwissenschaften in Brüssel ein. Und die sagten, das ist eine ausgestorbene Antilope, die sogenannte Nigrifrons, also die Schwarzstirnige. Die galt seit 1932 als ausgestorben.

MM:Verraten Sie uns, was es mit Ihrem markanten Bart auf sich hat?
Thorer: Als ich noch keinen Bart hatte, wollte mich jemand beim Springer-Verlag in Hamburg besuchen. Er kannte mich nicht und erkundigte sich beim Portier, wie ich aussehe. Da sagte der Portier: „Der sieht aus wie Schweinchen Schlau.” Und das hörte ich. Das war 1970. Ich fragte meine damalige Frau, ob sie das auch finde. Sie sagte, ja, und riet mir: „Lass dir doch einen verrückten englischen Bart stehen.” Das habe ich gemacht und sehe seither nicht mehr aus wie Schweinchen Schlau.

MM: Wie sind Sie Journalist geworden?
Thorer: Durch Trunkenheit. Ich war 23 und beim Rheinischen Landesmuseum beschäftigt – nicht als Archäologe, als Ausgräber. Bei einem Besuch meiner Eltern in München trank ich in einem Café drei Irish Coffee. Und da saß ein uralter, weißhaariger Herr, der irgendwann sagte: „Ein junger Mann, der drei Irish Coffee trinkt, das ist nicht gut. Erzählen Sie doch mal, warum Sie das machen.” Ich erzählte ihm meine Geschichte, auch meine damals schon vorhandene Vergangenheit als Wildhüter. Am nächsten Morgen wurde ich von meiner Mutter geweckt. Sie sagte: „Du solltest doch um acht Uhr in Fürstenfeldbruck sein. Der ,Münchner Merkur’ hat angerufen und gefragt, wo du bleibst.” Der alte Herr war Walter Kiaulehn, der Feuilletonchef des „Münchner Merkur”. Und dem hatte meine Erzählung so gut gefallen, dass er mir einen Volontärvertrag gab. Aber ich hatte den ersten Tag verpasst.

MM: Wie hat sich aus Ihrer Sicht der Journalismus durch das Internet verändert?
Thorer: Wir leben heute im Klick-Zeitalter. Was die meisten Klicks generiert, ist populär und muss weiter betrieben werden. Das hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Deswegen bin ich froh, dass ich vor genau zehn Jahren ausgestiegen bin und noch den alten Reportagen-Themen-Journalismus betrieben habe. Es wird ein People-Journalismus praktiziert mit so Schwachköpfen wie bei „Goodbye Deutschland”, nur weil Millionen anderer Schwachköpfe die großartig finden. Damit möchte ich nichts zu tun haben.

MM: Was halten Sie von Social Media?
Thorer: Ich halte das Social-Media-Wesen für das größte Unglück des 21. Jahrhunderts, weil ein Achtjähriger Stellung nehmen kann zu religiösen Fragen, Grundfragen der Menschheit, und weil Analphabeten massenhaft eine Plattform bekommen. Wir werden durch die Social Media von einer unwissenden, dummen Mehrheit erdrückt. Mein Freund Peter Ustinov hat immer gesagt: „Das größte Unglück des 20. Jahrhunderts ist nicht die Atombombe, sondern die Erfindung des Image. Ein Mensch verteidigt nicht mehr seine Persönlichkeit, sondern nur noch sein Image.” Ich sage: Er hat recht, aber Social Media ist schlimmer: Geistig Arme verbreiten über die Social Media ein Image, das sie gerne hätten.

MM: Ihre letzte Station im journalistischen Berufsleben war die „Bunte”, wo sie stellvertretender Chefredakteur waren. Wie hat es Sie zu dieser Stelle verschlagen?
Thorer: Ich wurde schlicht und einfach eingekauft. Und dann hatte ich mittlerweile so viel Erfahrung, dass ich bis zu meinem 75. Lebensjahr bleiben konnte. Aber das war auf der anderen Seite das Unglück meines Lebens.

MM: Wieso Unglück?
Thorer: Ich wurde für die Kulturszene inakzeptabel. Ich habe zwar 31 Bücher, über denen mein Name als Autor oder als Co-Autor steht. Aber ich konnte nie einen Roman veröffentlichen, weil alle Verlage sagten: Der ist in der Chefredaktion der „Bunten”, da kriegen wir doch keine Rezensionen. Und ich wurde trotz meiner vielen Bücher vom PEN Club abgelehnt. Dabei hatte ich drei hervorragende Bürgen: Rolf Hochhuth, Joachim Kaiser und Keto von Waberer. Ich war gebrandmarkt als Boulevard-Journalist. Aber: Ich konnte mir ein Haus in Grünwald bei München kaufen und die Finca auf Mallorca erhalten.

MM: Bereuen Sie es, dass Sie zur „Bunten” gegangen sind?
Thorer: Das kann man nicht sagen, aber ich bereue den jahrelangen, ausschließlichen Ausflug in den Boulevard-Journalismus. Ich war früher bei der „Welt am Sonntag” zuständig für Kunstauktionen, Museen und Ausstellungen. Das war ein herrlicher Job, aber er hat nicht viel gebracht. Ich war auch Kriegsreporter und habe praktisch jeden Krieg seit 1978 mitgemacht. Mit einem Trick konnte ich etwas schaffen, was ich überhaupt nicht bereue. Ich wurde zum Beispiel nach Somalia in den Bürgerkrieg geschickt. Da war ich 14 Tage, habe dann dem Fotografen meine Texte mitgegeben und bin noch drei Wochen durch die Lande gezogen, privat. Ich lernte sozusagen auf Kosten meines Arbeitgebers die ganze Welt kennen. Das hätte ich mir sonst nicht leisten können.

MM: Was steht noch auf der Haben-Seite?
Thorer: Dieses Leben hat mir drei prägende, lebenslange Freunde verschafft, ohne die ich nicht geworden wäre, was ich bin. In vielen Bereichen haben sie mich mit ihrer Erfahrung, mit ihrer Weisheit, mit ihrer herben Kritik durch das Leben gelotst. Das waren Sir Peter Ustinov, Rolf Hochhuth und Professor Heinrich Harrer. Ich muss auch meine Frau erwähnen, mit der ich jetzt 52 Jahre verheiratet bin. Sie ist der anständigste Mensch, den es auf der Welt gibt.

MM: Welche Bücher liegen auf Ihrem Nachttisch?
Thorer: Ich habe auf meinem Nachttisch zwei Bücher. Wenn ich übermütig oder größenwahnsinnig werde, dann lese ich „Von dem Fischer und syner Fru”, immer wieder. Und wenn ich niedergedrückt, melancholisch, traurig bin, dann lese ich „Pallieter” von Felix Timmermans, ein Roman, den man irgendwo aufklappen kann und anfangen zu lesen, und du sagst: Wie ist die Welt schön. Diese beiden Bücher begleiten mich ein Leben lang.

MM:Was von dem, was Sie irgendwann als wichtig erachteten, hat sich als unwichtig erwiesen?
Thorer:90 Prozent.

MM:Was sind die restlichen zehn Prozent?
Thorer:Lachen: Es ist mit das Friedvollste und Hilfreichste, was es gibt. Du kannst jede brenzlige Situation, selbst mit einem russischen Geheimdienstoffizier, mit einem geschickt platzierten Lachen entschärfen. Es gibt nur ganz wenige Gelegenheiten, wo das nicht funktioniert. Eine saubere Sprache: Für mich gibt es zum Beispiel den Begriff „primitive Völker” nicht, es sind Naturvölker. Demut: Ich habe vor jedem Afrikaner, der in und aus der Wildnis lebt, den allergrößten Respekt. Der ist mir tausendfach überlegen. Mir ist aber auch ein Slumbewohner in New York hundertfach überlegen. Ich bin ein kleines Scheißerle, das versucht hat, vom Leben etwas zu lernen.

Das Interview führte Martin Breuninger

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