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Straßenkunst

Show an der roten Ampel: So viel verdient ein Jongleur auf Mallorca pro Stunde

Während Autofahrer bei Rot warten, jongliert Carlos Mayol auf dem Fußgängerüberweg. MM hat den Argentinier bei seiner Arbeit im Zentrum von Palma begleitet – was sein Verdienst und sein Ansporn sind.

Der 29-jährige Straßenkünstler Carlos Mayol lebt seit vier Monaten auf Mallorca, er wohnt auf einem Boot im Hafen von Pollença. | Thor Schoof Lifemoments Photography / www.thorschoof.com

| Palma, Mallorca |

Mit scharfem Blick verliert er die Ampelschaltung im Zentrum von Palma de Mallorca nie aus den Augen. Springt sie auf Gelb, zückt er die drei Kegel, rückt seinen Hut zurecht und läuft schon zielstrebig in Richtung Fußgängerüberweg. Sobald die Autofahrer an der Ampel inmitten der Innenstadt bei Rot warten müssen, lernen sie Carlos Mayol kennen – zumindest für 60 Sekunden.

Denn mit der Rotphase beginnt die Showeinlage des argentinischen Straßenkünstlers. Während Fußgänger an ihm vorbeilaufen, lässt er die blau-roten Kegel mal in die Luft, mal um seinen schmalen Körper schnellen und jongliert sie gekonnt zwischen den erhobenen Händen. Sein Hut gleitet erst über den Arm, hüpft über das Knie und danach balanciert der 29-Jährige ihn auf seiner Fußspitze. Jede seiner Bewegungen begleitet er mit einem kurzen, hohen Pfeifen. Wenn er fertig ist, verbeugt er sich zum Dank vor seinem unfreiwilligen Publikum.

Genau 60 Sekunden dauert jeder Auftritt des Jongleurs, perfekt abgestimmt auf die Ampelschaltung am Paseo Mallorca im Zentrum von Palma. Fotos: Thor Schoof Lifemoments Photography

Wenn die Autos langsam wieder anfahren, läuft Carlos Mayol noch durch die Reihen und sammelt in seinem Hut ein, was ihm die Fahrer durchs offene Fenster reichen. Mit einem breiten Lächeln kommt er auf die MM-Redakteurin zu, die auf dem Bordstein wartet. „Ihr habt mir Glück gebracht!”, ruft er und wedelt freudig mit einem Fünf-Euro-Schein.

Er nimmt einen Schluck von seinem Mate-Tee und fängt an, zu erzählen. An drei Tagen in der Woche fährt der Jongleur von Port de Pollença – wo er auf einem Boot lebt – nach Palma de Mallorca und stellt sich an die Kreuzung am Paseo de Mallorca, direkt am Sturzbach Torrent de Sa Riera. „Maximal vier Stunden am Tag kann ich das machen”, erklärt er, „mehr schaffe ich mental und körperlich nicht”. Die repetitiven Bewegungen machen vor allem seinen Gelenken zu schaffen, er berichtet von Knieproblemen und einer Sehnenscheidenentzündung, die ihn monatelang beschäftigt haben. „Und immer freundlich sein zu müssen, macht einen wirklich sehr müde”, sagt er mit einem schiefen Lächeln.

Carlos Mayol lebt erst seit vier Monaten auf der Insel und wohnt in einem Boot in Port de Pollença.

Wie die Menschen auf ihn und seine Showeinlage reagieren, sei sehr unterschiedlich. „Was ich hier tue, ist immer eine Mischung aus Technik und Interaktion. Es ist alles dabei”, antwortet der Argentinier. Autofahrer, die ihn ignorieren, die ihren Applaus in Form eines Lächelns abgeben oder anerkennend nicken, einige geben nichts, andere wiederum eine großzügige Spende.

Am Ende des Tages ist es immer eine Überraschung, mit wie viel Geld er zurück in den Norden der Insel fahren wird. „In der Regel verdiene ich 15 Euro pro Stunde”, gibt der Jongleur offen zu. Probleme mit der Polizei habe er nie gehabt. „Es ist ein sehr respektvolles Miteinander. Einmal haben die Beamten mich darum gebeten, meine Auftritte zu unterlassen, wenn sie an dieser Kreuzung stehen. Kein Problem.”

Erst seit vier Monaten lebt der 29-Jährige auf Mallorca. Zwar stammt er aus Argentinien, lebte aber einige Jahre in Portugal. Und er war sogar für ein Austauschprogramm während des Studiums in Saarbrücken. Eigentlich hat er Agrarökologie studiert, doch seit er 2015 mit dem Jonglieren begann, hat er sein Herz daran verloren.

Es gibt viele Gleichgesinnte, die sich über den Internationalen Jongleurverband organisieren, sich auf Workshops und Messen treffen. Carlos Mayol ist einer von vielen Straßenkünstlern, die Kreuzungen in Palma bespielen. „Man kennt sich”, und teile sich die Ampel friedlich auf.

„Ich bin vor jedem einzelnen Auftritt aufgeregt”, sagt der Jongleur und rückt seinen Hut zurecht. Wieder läuft er los, um sein perfekt auf die Ampelschaltung abgestimmtes Programm zu zeigen – 60 Sekunden Showtime. Danach schlängelt er sich durch die Autoreihen, die gerade beschleunigen. Dieses Mal war keine Spende dabei, der Jongleur wirkt ein wenig geknickt. „Aber einer hat gelächelt”, sagt er. „Das ist mein Applaus. Und dafür komme ich immer wieder.”

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