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Zusammenarbeit mit David Beckham, 120-Millionen-Yacht: Wie sich ein Offenbacher auf Mallorca ein zweites Standbein geschaffen hat

Marcus Dörr gründete die erste Graffiti-Agentur Deutschlands. Nach rund 30 Jahren Erfahrung in der Szene baute er sich ein Haus auf der Insel und erfüllt seitdem Aufträge hier

Marcus Dörr aus Offenbach arbeitet konzentriert an einer Auftragsarbeit auf Mallorca. | Martin Breuninger

| Cala Pi, Mallorca |

Marcus Dörr bearbeitet mit routinierten Bewegungen die Mauer eines privaten Anwesens in Cala Pi auf Mallorca. Seine Sprühdose zischt, während er konzentriert arbeitet. Was eine karge Fläche war, verwandelt er in das Bild eines Kraken, der in einem Fangarm eine Havanna, in einem anderen ein Glas Rum hält.

"Das Schönste für mich ist es, eine langweilige Oberfläche in einen Hingucker zu verwandeln", erklärt Dörr. Nachdem der Offenbacher jahrelang auch auf Ibiza unterwegs war, hat er auf Mallorca ein Zweitdomizil gefunden. "Ich habe die Pandemie genutzt, um zu bauen, und versuche nun, einmal im Monat herzukommen, ein bisschen was an der Finca zu machen und nebenbei solche Aufträge anzunehmen."

Dörr sprüht seit mehr als 30 Jahren. Vor Ideen und mit Farbe. Seine Laufbahn als Graffiti-Künstler begann 1992. "Ich habe alles besprüht, was man so besprühen kann", erinnert er sich. Irgendwann reichten ihm die nächtlichen Adrenalinschübe nicht mehr. "Ich wollte schöne Konzepte, mir mehr Zeit lassen und im Prinzip auch Geld damit machen." Ein nachvollziehbarer Schritt, denn die damals illegal praktizierte Kunstform blieb nicht ohne Konsequenzen: "Alle in meinem Freundeskreis hatten Hausdurchsuchungen. Bei mir standen sie auch schon vor der Tür."

Vom Verfolgten zum Begehrten

1997 stellte Dörr seine Leidenschaft auf offizielle Beine: Er gründete Deutschlands älteste Graffiti-Agentur namens artmos4. "Damals war Graffiti überhaupt nicht en vogue, sondern verrucht", sagt er. Heute hängen bei den Polizisten, die einst an seine Tür klopften, Bilder seiner Auftragsarbeiten im Büro.

Bei artmos4 beschäftigt Dörr mittlerweile fünf Angestellte: Ein Mediengestalter, ein Praktikant, ein Azubi, ein Texter und ein Kundenberater halten ihm den Rücken frei, damit er international Oberflächen aller Art gestalten kann, von der Wand im Fußballstadion bis zum Indoor-Spielplatz, vom Betonmischer bis zum Kleiderhaken. Die Liste seiner Kunden liest sich beeindruckend: Audi, Deutsche Bahn, Coca-Cola, Bosch und Porsche zählen dazu. Besonders stolz ist er auf zwei Projekte: "Ich habe mit David Beckham zusammen gesprüht und habe für den reichsten Neuseeländer eine 120-Millionen-Euro-Yacht bemalt. Das sind Sphären, an die ich 1997 niemals gedacht hätte."

Die Graffiti-Kunst hat sich weiterentwickelt

Graffiti ist nicht Street-Art. Den Unterschied erklärt Dörr so. "Graffiti kommt aus der Hip-Hop-Kultur. Das klassische Graffiti hat mit Style-Writing zu tun, also mit Schriftzügen. Bei Street-Art geht es eher um die Message. Sie bedient sich auch anderer Methoden." Doch die Grenzen sind mitunter fließend, und auch Graffiti hat sich weiterentwickelt: "Früher hat man gesagt, niemals abkleben, keine Schablonen. Mittlerweile macht man das auch."

Die Zeiten haben sich geändert. "Früher ist man durch illegales Sprühen zu Graffiti gekommen. Heute sprühen viele, obwohl die niemals eine Bahn angemalt haben", erklärt Dörr einen Aspekt des Wandels. Vor welchem Hintergrund auch immer, er hat klare Vorstellungen, wo die Grenzen des Sprühens liegen: "Naturbelassene Mauern und Felsen in der Landschaft, da gehört kein Graffiti hin", sagt er, und fügt mit Blick auf sprühende Touristen hinzu: "Auf Mallorca ist das teilweise heftig, die spielen hier alle Berlin." Auch Graffiti mit Frankfurter Handschrift hat er schon auf der Insel entdeckt. "Früher hatte jede Stadt ihren Stil. Das ist jetzt sehr, sehr vermischt. Aber wenn man ein 'Tag' aus seiner Ecke sieht, dann erkennt man das dann schon."

Als Künstler schätzt Marcus Dörr unterdessen die zunehmende Freiheit bei Aufträgen. Etwa 80 Prozent seiner Kunden geben ihm nur eine Richtung vor und lassen ihn dann kreieren. Auch technisch entwickelt sich Dörr weiter. Er nutzt eine 3D-Brille, um seine Entwürfe an die Wand zu projizieren, um sie dann zu übertragen. Als einer der Innovativen seiner Zunft hat er zudem begonnen, mit Augmented Reality und Künstlicher Intelligenz zu arbeiten, damit man per Smartphone seine Werke an der Wand auch in animierter Form sehen kann. "Viele Künstler haben Angst davor und versperren sich diesen Neuerungen, aber ich sehe sie als positiv an", sagt er und stellt klar: "Das sind Werkzeuge, die man für sich nutzen muss. Das Sprühen selbst bleibt, wie es ist." Ob Ideen oder Farbe, für Dörr gilt allemal: Ich sprühe, also bin ich.

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