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Ganz schön düster: So oder ähnlich könnte Mallorca im Jahr 2050 aussehen

Glühender Sand und KI-gesteuerte Serviceroboter – Buchautor Christian Sünderwald wagt in seinem Essay eine Zukunftsprognose, die kaum jemanden „kaltlassen” dürfte

Mallorca im Jahr 2050: Nicht nur die Hitze dürfte in der Zukunft auf der Insel verstörend sein | Foto: KI-generiert, Christian Sünderwald

| Mallorca |

Es ist Anfang Juni. Langsam steigt die Sonne über dem Tramuntana-Gebirge auf. Obwohl der Tag gerade erst beginnt, ist die Luft wie angestaut und liegt bleiern über der leblosen Landschaft. Es ist lange her, als Sonnenaufgänge noch etwas Schönes waren, ein tägliches Naturschauspiel mit einer ganz eigenen Stimmung. Die Magie dieses Moments ist längst der Bedrohlichkeit gewichen, die der Tagesanbruch heute bedeutet.

Bereits kurz nach 8 Uhr ertönt aus jedem Smartphone – heute für jeden verpflichtend wie einst der Personalausweis – ein schriller pulsierender Warnton. Das Display zeigt die Hitzewarnstufe Gelb, da das Thermometer bereits auf über 40 Grad gestiegen ist. Es werden Tageshöchsttemperaturen von 50 Grad und mehr erwartet.

Der Zugang zum Strand ist für jeden auf eine Stunde begrenzt, wegen der ansonsten akuten Kollapsgefahr. Die Sandflächen liegen unter riesigen, hitzebeständigen Kunststoffsegeln. Die Gehwege sind klimatisiert und werden auf 30 Grad heruntergekühlt, damit man sich nicht die Füße verbrennt. Das Wasser ist glasklar, sein Geruch erinnert allerdings an den Besuch eines Freibades im Spätsommer. Ein Chemikalien-Cocktail aus Unterwasser-Düsen verhindert, dass es so aussieht und riecht wie im Rest des Mittelmeers: moosgrün und faulig.

Die Außenterrassen der Cafés und Restaurants sind alle von einer klimatisierten Glaskuppel eingefasst, um die Illusion aufrechtzuerhalten, draußen zu sitzen. Tatsächlich wäre es unerträglich. Kellner sind menschenähnlichen KI-gesteuerten Servicerobotern gewichen, die nahezu alle Sprachen sprechen und jede kulturelle Eigenart der Gäste kennen und sich sofort darauf einstellen. Die Speisekarten erscheinen als Projektion auf dem Tisch. Der Inhalt ist bemüht einheimisch: Trampó, Pa amb oli, Ensaimada. Design und Geschmack der Gerichte kommem aus dem Labor und nichts lässt erahnen, dass die Proteine und Eiweiße gentechnisch modellierten Pflanzen und Insekten entstammen.

Die alten Hotels sind längst abgerissen. Heute prägen das Küstenbild moderne Smart Resorts – in sich geschlossene, vollklimatisierte Gebäudekomplexe. Entferntes Möwengeschrei und das Rauschen des Meeres liefern ein ausgeklügeltes Soundsystem und den Palmengarten um den Pool perfekte Hologramme.

Die Hauptstadt Palma ist ein riesiger, ebenfalls voll klimatisierter Freizeitpark geworden, den man nur noch durch ein elektronisches Schleusensystem mit einem digital erworbenen Ticket besuchen kann. Zeit zum Verweilen ist selbst für noch so viel Geld nicht mehr zu haben. Zu kurz sind selbst die teuersten Nutzungseinheiten.

Wie überall sonst, ist heute auch das Leben auf der Insel bis auf wenige Ausnahmen in sogenannte Nutzungseinheiten aufgeteilt, die man je nach Verfügbarkeit vorab buchen muss. Der Unterschied ist meistens, dass diese Einheiten auf Mallorca noch kürzer und noch schwieriger zu bekommen sind, als zu Hause. Zudem setzen viele Nutzungseinheiten einen höheren Social-Score voraus als daheim. Wer sich nicht gesellschaftlich absolut vorbildlich verhält, braucht also gar nicht erst den Versuch zu unternehmen, eine der besonders begehrten Nutzungseinheiten zu ergattern. Da können Eltern ohne makellosen Social-Score nur hoffen, dass ihre Kinder nichts vom „Aqualand” und anderen begehrten Attraktionen mitkriegen. Spontanität ist ausgeschlossen, der Wunsch danach asozial.

Wer überhaupt erst Mal auf die Insel kommen will, braucht auch längst mehr als Reiselust und ein Flugticket: Ohne ein ausreichendes CO2-Zertifikat, auf das manche Jahre sparen, eine behördliche Gesundheitsfreigabe und den DigitalAccessPass mit Echtzeitverhaltenstracking für den Social-Score bleibt die Insel von vornherein unerreichbar.

Zudem ist die Zahl der Touristen streng begrenzt, nicht aus tieferer Einsicht, sondern weil das Wasser trotz riesiger Anlagen zur Meerwasseraufbereitung knapp ist. Im Hochsommer wird der Verbrauch rationiert. Wenn man nicht aufpasst, ist das Wasser wieder abgedreht, noch bevor es den Körper von Shampoo und Duschbad befreit hat. Nur in zertifizierten Luxushotels kann man sich das 
„BlueRain-Wasserpaket” der gleichnamigen Betreiberfirma kaufen. Eine Art Dusch-Flatrate für Reiche, da der Aufpreis für das entsprechende CO2-Zertifikat und der Ausgleich der negativen Social-Scor-Points richtig ins Geld geht.

Und die Mallorquiner? Sie haben die Insel längst verlassen oder sind gestorben und mit ihnen viele der kleinen Dörfer, an die heute nur noch Ruinen erinnern. Orte wie Valldemossa oder Sollér hingegen sind ebenfalls zu reinen Freizeiteinrichtungen mit digitalem Entertainment geworden. Längst ist dort niemand mehr dauerhaft zu Hause. Das Konzept dieser Orte richtet sich an die stark wachsende Zielgruppe der zahlungskräftigen Slow-Traveller, die Authentizität buchen wie früher ein Zimmer mit Meerblick.

Klar, noch ist das alles Fiktion. Doch sie ist näher, als wir glauben. Wie viel wir davon noch abwenden können, liegt an unserem Wollen. Doch dafür müssen wir jetzt unsere Komfortzone verlassen, unser Verhalten ändern und auf Dinge verzichten, die uns die Konsumgesellschaft immer noch allzu schmackhaft macht. Es ist ein bisschen wie auf der Titanic: Warum den Luxus der ersten Klasse mit einem Rettungsboot tauschen, wenn die Kapelle noch spielt ...

Über Christian Sünderwald

Der Autor ist Kunst- und Architektur-Fotograf, Essayist, Autor, Publizist. Christian Sünderwald, Jahrgang 1968, wuchs in München, Luxemburg und Oberfranken auf. Er ist in Chemnitz wie in Palma zu Hause. Weitere Essays, Fotobände und Bücher von Christian Sünderwald wie etwa den Roman „Die Spur der Ratten” finden Sie unter suenderwald.de

Anmerkung der Redaktion:

Wenn Sie Selbstmordgedanken haben, Hilfe benötigen oder depressiv sind, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet unter www.notfallseelsorge.de oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222. In akuten Fällen wählen Sie bitte 112. Auf Mallorca und den Nachbarinseln gibt es das "Teléfono de la Esperanza", das unter +34 971 46 11 12 erreichbar ist. Die Stellen sind rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr besetzt.

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