Wer aufmerksam durch Palmas Straßen schlendert, der kann an manchen Hauseingängen noch die alten, aus Metall gefertigten Plaketten entdecken. Darauf zu sehen: Joch und Pfeile, das Symbol der faschistischen Falange. Daneben ein Schriftzug, der das Gebäude als Ergebnis des sozialen Wohnungsbaus ausweist. Früh erkannte Diktator Franco die gesellschaftliche Bedeutung der Wohnungsbaupolitik. Im ganzen Land schossen – wie vielerorts auch in Palma – die Wohnblöcke in die Höhe.
Wie etwa in dem Viertel nördlich der Altstadt, dessen Name ursprünglich „Generalísimo Franco” lautete. Heute gehört es zu den Schmuddelecken der Stadt: 20 heruntergekommene Wohnblöcke, 568 Mini-Wohnungen in einfachster Bauweise. Als in den 50er Jahren in Palma der Bedarf an billigem Wohnraum zunahm, entstanden an der damaligen Peripherie zahlreiche solche Siedlungen. Diktator Franco hatte kurz zuvor den bilateralen Vertrag mit den USA unterzeichnet und weil dann wenig später der neue Verbündete in den Korea-Krieg zog, heißt das Viertel noch heute schlicht „Corea” – „Nord-Korea”, wie manch einer böse hinzufügt.
Viele der während der Franco-Diktatur geschaffenen sozialen Wohnungsbauprojekte gehören heute zu den Brennpunkten der Stadt – Kriminalität, Drogen, Arbeitslosigkeit. „So etwas wie ,Corea’, solche scheußlichen Schuhkartons, das wäre heute undenkbar”, sagt Eduardo Vila, der zuständige Generaldirektor im balearischen Bauministerium. Der soziale Wohnungsbau von heute habe nichts mehr mit dem von damals zu tun. Nicht nur, was Bauweise und Materialien angehe. „Man muss intelligent vorgehen und für eine homogene Verteilung sorgen, um die Bildung von Gettos zu verhindern”, sagt er.
Vila lässt keinen Zweifel daran, dass die Wohnungsbaupolitik für die Balearen-Regierung einen hohen Stellenwert hat. Das belege nicht zuletzt die im Sommer in Kraft getretene „Ley de Vivienda” – das erste Gesetz seiner Art auf den Balearen, wie man beim „Govern” betont, und eines der Vorzeigeprojekte dieser Legislaturperiode. Die Absicht der Balearen-Regierung ist, die Fehler, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte im sozialen Wohnungsbau begangen wurden, wieder auszubügeln.
Denn Spanien und insbesondere die Balearen stehen hier alles andere als gut da. Die Mietwohnungsbörse der Balearen-Regierung umfasst gerade einmal 1800 Wohnungen – auf der Warteliste stehen dagegen rund 3000 Personen. Bei lediglich 0,6 Prozent aller Wohnungen auf den Balearen handelt es sich um staatlich subventionierten und kontrollierten Wohnraum. Spanienweit liegt der Anteil bei zwei, EU-weit sogar bei 15 Prozent. „Mit so einer geringen Zahl lässt sich überhaupt keine Wohnpolitik machen”, sagt Vila. Hauptziel der Balearen-Regierung ist deshalb, das Angebot zu erhöhen. 5000 Wohneinheiten sollen in zehn Jahren entstehen, so die Planung.
Dass dem Institut Balear de la Vivienda (IBAVI) nur so wenige Wohnungen zur Verfügung stehen, um sie an Personen, die sich die Preise auf dem freien Mietmarkt nicht leisten können, zu vergeben, liegt in erster Linie an der verfehlten Politik vergangener Jahre. Denn bislang war es in Spanien und auch auf den Balearen üblich, dass der soziale Wohnungsbau vor allem auf Kaufimmobilien ausgerichtet war: Den 1800 Mietwohnungen stehen etwa 16.000 Wohnungen gegenüber, die in den vergangenen Jahren staatlich subventioniert wurden, nun aber den Bewohnern gehören.
Dazu kommt, dass diese von der öffentlichen Hand geförderten Eigentumswohnungen lediglich für eine gewisse Zeitspanne unter staatlicher Kontrolle stehen: auf den Balearen für zehn bis 30 Jahre. Nach Ablauf dieser Frist können die Immobilien ohne jegliche Begrenzung auf dem freien Markt gehandelt werden. Manch einer, der das Glück hatte, eine dieser „geschützten Wohnungen” (Vivienda Protegida Oficial, VPO) zu ergattern, hat auf diese Weise ein einträgliches Geschäft gemacht. Dieses Modell verhinderte, dass ein Pool staatlich kontrollierter Wohnungen entstehen konnte. „Das war der Hauptfehler der Wohnungsbaupolitik in den vergangenen Jahrzehnten”, sagt Vila.
Damit ist nun Schluss. Das neue Wohnungsbaugesetz sieht unter anderem vor, dass staatlich subventionierter Wohnraum seinen VPO-Status niemals verliert. Es sollen künftig auch nur noch Mietwohnungen gebaut werden. Außerdem wurde der Grundstücksanteil, den Bauherren privater Wohnungsbauprojekte für sozialen Wohnungsbau reservieren müssen, auf mehr als 30 Prozent verdreifacht, sagt Vila. Zu guter Letzt werden Unternehmen wie Banken, die Immobilien mehr als zwei Jahre leer stehen lassen, gezwungen, diese der Balearen-Regierung vorübergehend für die Vermietung als Sozialwohnungen zu überlassen. 859 Immobilien seien auf diese Weise schon gemeldet worden. „Wir vermuten, dass es noch viel mehr gibt”, sagt Vila. Da Geldstrafen von bis zu 90.000 Euro drohen, dürfte die Zahl tatsächlich noch steigen.
Den sozialen Wohnungsbau lässt sich die Balearen-Regierung eine Menge Geld kosten. Allein in der laufenden Legislaturperiode sind 56 Millionen Euro dafür veranschlagt. Einen nicht unerheblichen Anteil daran haben übrigens auch die vielen Millionen Touristen, die im Jahr 2017 auf die Inseln kamen. Denn knapp 22 der 56 Millionen Euro stammen aus der sogenannten „Urlauberabgabe”, die jeder Inselbesucher pro Nacht in einem Übernachtungsbetrieb bezahlen muss.
Mit einer Gedenk-Plakette, wie sie einst in Franco-Spanien üblich war, können die Mallorca-Urlauber aber nicht rechnen. Kleiner Trost: Auch die Erinnerung an den Diktator verschwindet nach und nach aus dem Stadtbild. Immer wieder schrauben Unbekannte die Plaketten ab und bieten sie als Sammlerstücke im Internet an. In „Corea” wiederum wurde die Gedenktafel, die an einer der Hauswände an die Taten des Diktators erinnerte, vor einiger Zeit kurzerhand übermalt.
(aus MM 03/2019)