Claire Lavrillier ist eine ungemein vielseitige Künstlerin: Fotografin, Schmuckdesignerin, Bildhauerin, Keramikerin. Ihre verschiedenen "Berufe", man sollte besser von "Berufungen" sprechen, haben mit ihrer Herkunft zu tun. Sie selbst spricht von einer "turbulenten" Kindheit: "Meine Kindheit und Jugend bescherte mir große philosophische und künstlerische Erfahrung", sagt sie. Vielleicht ist sie deshalb auch eine "turbulente" Persönlichkeit geworden.
Claire Lavrillier, geboren 1957, wuchs in Paris - "Montparnasse!", betont sie, - auf: "Die Familie meines Vaters war drei Generationen lang künstlerisch tätig", erzählt sie. Ihre Großmutter, Margaret Lavrillier Cossaceanu, studierte an der bekannten Kunstakademie von Antoine Bourdelle gemeinsam mit Alberto Giacometti und Constantin Brancusi. Ihre Skulpturen hatten in Frankreich und in ihrem Geburtsland, Rumänien, großen Erfolg. Der Großvater, André Lavrillier war Graveur und schuf die französische Fünf-Francs-Münze, die von 1936 bis 1965 im Umlauf war. Der Vater, Carol-Marc Lavrillier, war ein bekannter Fotograf, Galerist und Buchautor zum Thema Skulptur.
All das zusammengenommen hatte großen Einfluss auf die junge - und später die ältere - Claire Lavrillier: "So lag die Messlatte hoch, was irgendwie auch etwas einschüchternd war." In den 1970er und 1980er Jahren arbeitete sie als Schmuckdesignerin, verkaufte ihre Kreationen an die Juweliere der Place Vendôme in Paris. "Auch wenn ich damals Gold und kostbare Steinen verwendet habe, waren meine Arbeiten bereits kleine Skulpturen. Irgendwann habe ich dann auch eine esoterische Kollektion mit vielen verschiedenen Talismanen entworfen. Und danach festgestellt: Die Leute kaufen nicht nur Schmuck, sondern wollen dabei auch psychologische Beratung."
Der Wunsch, etwas ganz anderes zu machen, führte sie erneut auf die Schulbank. Sie absolvierte eine Ausbildung an der "High School of photographic and audiovisual techniques", lernte alles, was mit Film und Fotografie zu tun hat. Sie drehte selbst Dokumentationen, bis sie beschloss: "Jeder Film, der lange Zeit der Vorbereitung brauchte, ist in zwanzig Minuten konsumiert. Das war nichts für mich."
So ging sie nach Mallorca, wollte eigentlich nur eine kurze Auszeit - und blieb. In S'Arracó fühlt sie sich zu Hause. Und wandte sich der Bildhauerei zu: "Ich hatte auf einmal wieder etwas zu sagen, ich wollte mich unbedingt mitteilen. Und mir wurde klar, dass ich viel erlebt habe, so dass Dinge zumindest manchmal einen Sinn bekommen."
Lavrillier arbeitet viel in themengebundenen Serien, mit Titeln wie "Der Gesang der Vergessenen", "Mein Traum von dir" oder "Geisteszustand", sie nutzt Bronze und Ton, manche in der Originalfarbe des Materials, manche polychrom. Es sind Arbeiten voller Magie, Spiritualität und Poesie. Bei ihren Masken-Skulpturen ist die Oberfläche oft zerkratzt. Der schöne Schein ist ihre Sache nicht.
Im Jahr 2000 entdeckte sie die japanische Technik der Raku-Keramik: "Das hat mich fasziniert. Vor allem, dass man durch diesen Fertigungsprozess niemals genau voraussagen kann, wie ein Stück zum Schluss aussieht." Und sie widmet sich wieder der Fotografie. Wobei ihre Foto-Arbeiten für den Betrachter oft wie abstrakte Gemälde wirken. Sie spielt in ihren Fotos mit dem eigenen Schatten, der ein wichtiger Bestandteil dieser Bilder ist. Ein Effekt, den sie eigentlich per Zufall entdeckt hat und der für sie zum bestimmenden Teil dieser Arbeiten wurde: "Das digitale Zeitalter hat mir eine Rückkehr zu Fotos auf ganz neue Art ermöglicht. Ich kann damit zeigen, was hinter dem Motiv steckt, was man nicht sehen kann."
In fast allen ihren Arbeiten geht es Claire Lavrillier auch um "kollektive Erinnerung": "Ich frage mich, was Menschen etwa in 500 Jahren denken, wenn sie etwas aus unserer Zeit in der Erde finden. Schon als Kind haben mich historische Stätten wie Pompeji oder Persepolis fasziniert. Ich möchte gerne ein winzig kleiner Teil der kollektiven Erinnerung aus heutiger Zeit sein, ich möchte Spuren hinterlassen."
(aus MM 35/2014)