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Zwischen Simulation und Realität

Standfoto aus dem Video "equilibrium": Mit einer MiG-29 stieg Michael Najjar auf 10.000 Meter bis in die Stratosphäre auf.

| Es Baluard, Palma de Mallorca |

"Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen", fragte vor mehr als 100 Jahren Friedrich Nietzsche. Diese Frage schwebt als Titel über einer Ausstellung, die am Donnerstag, 2. Juli, im Museum Es Baluard in Palma de Mallorca eröffnet wird. Im Aljub werden drei Videos des deutschen Künstlers Michael Najjar gezeigt. Sie sind Teil seiner aktuellen Werkgruppe "outer space".

Der Name sagt es, und die Kenner der Kunstszene wissen es ohnehin: Die Kunst treibt Najjar hoch hin aus. Seit 2011 ist der gebürtige Landauer, der seit 1988 in Berlin lebt, Pioneer Astronaut. So nennt das Unternehmen Virgin Galactic von Richard Branson die Anwärter auf die ersten privaten suborbitalen Raumflüge.

Eigentlich sollte der erste private Flug in die Schwerelosigkeit dieses Jahr starten. Aber nach dem Absturz des Raumgleiters VSS Enterprise im vergangenen Oktober wurde der erste kommerzielle Weltraumflug erneut aufgeschoben. Najjar rechnet damit, dass es 2016 so weit ist. Wann allerdings er an der Reihe sei, stehe noch in den Sternen.

Najjars Flug in 110 Kilometer Höhe sei eine "Dienstreise", schrieb das sz-Magazin einmal. Denn dem Künstler geht es nicht um großformatige Ansichten von der Erde. Als roter Faden durch sein Schaffen zieht sich vielmehr die Reflexion, was die derzeitige und künftige Kommunikationstechnik bewirkt und wohin sie die Menschheit führt.

Darin erweist er sich immer wieder als Visionär. Mit der Werkgruppe "netropolis" nahm er in zwölf Megastädten jeweils vom höchsten Gebäude Panoramabilder auf, die er digital zu einem unendlichen Ozean aus Informationen verschmolz und so die rasant wachsende Interkonnektivität der modernen Gesellschaft vor Augen führte. Dies war in den Jahren 2003 bis 2006, noch bevor die große Revolution von Facebook und Twitter ausgebrochen war.

Die Auseinandersetzung mit der Macht der Algorithmen, die im Bruchteil von Sekunden das Geschehen an der Börse bestimmen, führte Najjar bei seinem Projekt "high altitude" (2008-2010) auf den knapp 7000 Meter hohen Berg Cerro Aconcagua in Argentinien. Von dort fotografierte er Bergketten, die er in der digitalen Bearbeitung dem Kursverlauf der internationalen Finanzmärkte anpasste. Wie an der Börse sind auch in den Bildern Simulation und Realität kaum bis gar nicht auseinanderzuhalten.

Die derzeitige Reihe "outer space" ist noch nicht abgeschlossen. Sie enthält Aufnahmen von dem intensiven Raumfahrertraining, dem sich Najjar unterzogen hat. Drei Videos davon werden, erstmals in Spanien, im Museum Es Baluard gezeigt.

In "skyfall" sieht man, wie Najjar 2014 in den USA einen Sprung aus 10.000 Meter Höhe unternimmt. Zwei Minuten lang näherte er sich mit einer Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometern im freien Fall der Erdoberfläche, bevor sich der Fallschirm öffnete. In der Wahrnehmung des Betrachters ein Wechselspiel von Schwerkraft und Schwerelosigkeit.

Das Video "equilibrium" wurde bei einem Flug in die Stratosphäre gedreht. Es erkundet die Situationen von Schwindelgefühl und Desorientation. Die Verbindung von Raum, Schwerkraft und Körper thematisiert dagegen das Video "spacewalk". Der Spaziergang in voller Montur im Raum ist freilich simuliert: Er fand im Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrum in Swjosdny Gorodok in Russland statt.

Alle seine Werkreihen durchlebt Najjar am eigenen Leib. Bei "netropolis" musste er sich an manchen Wachmännern vorbeischmuggeln, einmal sogar in schwindelnder Höhe sich auf einem schmalen Sims bewegen. Für "high altitude" musste er den Körper erst einmal vorbereiten. Neu bei "outer space" ist, dass das performative Element, mithin sein Körper, erstmals im Mittelpunkt stehen. Das entspricht durchaus seinem persönlichen Ansatz. Najjar formuliert dies so: "In der heutigen Welt werden Erfahrungswelten zunehmend medial generiert. Als Künstler interessiert mich deshalb die Frage, was es bedeutet, reale Erfahrungen, Grenzerfahrungen zu machen, und was dann mit dem Bewusstsein und dem Körper passiert. Denn das geht in unserer Gesellschaft zunehmend verloren."

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