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"Això era" - es war einmal

Im Märchenmuseum in Artà im Nordosten von Mallorca erwachen die alten "Rondalles" zum Leben. | Foto: Sophie Mono

| Mallorca |

Märchen erinnern mich an früher, als meine Großmutter und meine Urgroßmutter sie mir vor dem Kamin erzählt haben", sagt María Isabel Sancho verträumt. Die 54-jährige Mallorquinerin war schon immer von den alten lokalen "Rondalles" begeistert. Seit 2012 ist ein Kindheitstraum wahrgeworden: In dem alten Haus an der Fußgängerzone von Artà in der Calle Antonio Blanes, das schon ihren Großeltern gehörte, eröffnete Sancho ein Märchenmuseum mit Figuren, die Pere Pujol, ein alter Freund der Familie, aus Harz, Pappmaché und Ton gefertigt hat. Hier wimmelt es von Hexen, Fabelwesen, Heiligen und Riesen - eben allem, was die "Rondalles" so zu bieten haben. Schnell werden Parallelen zu auch in Deutschland bekannten Märchen deutlich: Im Erdgeschoss des Hauses grinst Joan "Es nas de dos pams" (Joan Langnase) die Besucher an und erinnert verdächtig an Pinocchio. Im oberen Stockwerk steht die Figur des Martí Tacó, der wie das tapfere Schneiderlein Ruhm erntete, als er mehrere Fliegen mit einer Klappe schlug. Und die Dones d'Aigo (Wasserfrauen) zeigen Parallelen zur Loreley vom Rhein.

"Europäische Märchen haben viel miteinander gemein", weiß Hartmut Botsmann. Er arbeitet als Deutschlehrer an einer Gesamtschule in Manacor, spricht fließend Katalanisch und hat einige der mallorquinischen Volksmärchen ins Deutsche übersetzt. "Trotz der Ähnlichkeiten sind sie Träger der jeweiligen Kultur."

Das fängt mit den Ortsnamen an ("Es waren einmal ein Vater und eine Mutter aus dem mallorquinischen Ort Sóller...") und geht weiter mit kleinen Details: Wo in deutschen Märchen von Apfelbäumen die Rede ist, geht es in mallorquinischen um Orangen, dunkle Tannenwälder sind dichte Olivenhaine und statt Krapfen essen die Protagonisten der "Rondalles" die typischen "Bunyols". Ebenfalls speziell sind die "Dimonis", die Teufel, die in vielen der "Rondalles" vorkommen. Im Märchenmuseum in Artà ist ihnen ein ganzer Raum gewidmet. "Bis heute haben die 'Dimonis', aber auch die 'Gegants', also die Riesen, und andere Märchengestalten eine große Bedeutung auf den Dorffesten der Insel", weiß Gabriele Kunze. "Die Märchen von hier spiegeln die ländliche Lebensweise wider, wie sie noch bis vor gar nicht langer Zeit auf der Insel existiert hat", so Kunze, die als Journalistin und Kulturexpertin unter anderem für das Mallorca Magazin tätig ist und selbst ein Buch auf Deutsch herausgegeben hat, in dem sie einige der mallorquinischen Erzählungen zusammenfasst. "Oft tauchen von ein und demselben Motiv verschiedene Versionen auf."

Auch die Grundaussagen seien meist ähnlich. "'Rondalles' zeigen auf, dass es sich lohnt, gut und empathisch zu sein und sich menschlich zu verhalten", so Heide Wetzel-Zollmann, ebenfalls Journalistin und Märchenübersetzerin. "Was die Moralvorstellungen angeht, unterscheiden sich deutsche und mallorquinische Märchen kaum." Hilfsbereitschaft und Leistung stehen im Vordergrund.

Aus der Zeit der Araber auf Mallorca ist bis auf einige Worte in den "Rondalles" kaum Einfluss zu finden, wohl aber vom Christentum, und das mehr als in deutschen Märchen: Mal spielen Heilige eine Rolle, mal deuten Phrasen auf den Katholizismus des alten Mallorca hin. Der Standardsatz "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute" wird häufig durch "Im Himmel werden wir uns alle wiedersehen. Amen!" ergänzt.

"Das kann auch darauf zurückzuführen sein, dass Alcover selbst Theologe war", vermutet Wetzel-Zollmann. Wer sich mit "Rondalles mallorquines" beschäftigt, kommt an Antoni Maria Alcover nicht vorbei. Auch im Märchenmuseum in Artà ist er allgegenwärtig. Der Mann aus Manacor war nicht nur Professor für Kirchengeschichte und Generalvikar, sondern auch der bedeutendste Sammler der alten Erzählungen. "Er ist vergleichbar mit den Gebrüdern Grimm und war durch seine Europareisen auch mit ihren Werken vertraut", so Botsmann. "Die Sprache ist bei den Grimms jedoch edler, die 'Rondalles' sind teilweise recht ruppig formuliert", so Kunze. In unermüdlicher Arbeit zog Alcover Ende des 19. Jahrhunderts über die Insel und ließ sich von der überwiegend analphabetischen Landbevölkerung die alten Geschichten erzählen, schrieb sie nieder und rettete so nicht nur die Märchen, sondern auch die Sprache vor dem Vergessen. 1896 veröffentlichte Alcover unter dem Künstlernamen "Jordi des Racó" den ersten Band des "Aplec de rondaies mallorquines" und blieb am Ball: Insgesamt mehr als 400 Märchen schrieb Alcover im Laufe der Jahre nieder. Wetzel-Zollmann: "Das ist die größte Märchensammlung im gesamten Mittelmeerraum."

Auch wenn er der bedeutendste Märchensammler auf Mallorca war - der Erste war Alcover nicht. "Der Erzherzog Ludwig Salvator kam ihm zuvor", so Wetzel-Zollmann. 1895, ein Jahr vor Alcover, brachte der Österreicher das Werk "Rondayes de Mallorca" mit 54 Märchen heraus, ein Jahr später erschien auch die deutsche Übersetzung.

Auch María Isabel Sancho hofft, mit ihrem Museum die Geschichten an kommende Generationen weiterzugeben. "Ich will die Magie übertragen, damit vor allem Kinder Lust bekommen, die 'Rondalles' zu lesen und dann auch wieder weiterzuerzählen, so wie damals meine Großmutter." In Zeiten der Unterhaltungselektronik kein leichtes Unterfangen. Doch ein Gästebuch am Eingang zeigt, dass Sancho durchaus Erfolg hat. "Es war zauberhaft" ist in Kinderhandschrift zu lesen.

(aus MM 10/2016)

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