„Del Mozart Real al Mozart de Schubert“ hatte Pere Estelrich i Massutí seine Konzertnotiz im Programmheft zum 7. Abonnementkonzert der Balearensinfoniker im Trui Teatre gestern Abend überschrieben und damit die Dramaturgie umrissen, die der englische Dirigent Jonathan Cohen dem Abend zugrunde gelegt hatte: im ersten Teil wurde das Hauptwerk, Schuberts 5. Sinfonie, sozusagen „vorbereitet“.
Und so erklangen zu Beginn Teile aus Mozarts Schauspielmusik (seiner einzigen übrigens) zu dem Theaterstück „Thamos, König von Ägypten“, die Cohen zu einer dreisätzigen Suite zusammengestellt hatte – man könnte auch sagen: Sinfonie – Mitte des 18. Jahrhunderts hatte das Wort noch nicht die Bedeutung, die es später bei Beethoven und den Romantikern bekam.
Diese Musik ist durchaus ohne das Bühnenstück überlebensfähig, das längst in der Versenkung verschwunden ist. Es war schon bei der Premiere kein Erfolg, und Mozart, Theatermann, der er war, erkannte die Schwächen des Dramas und meinte mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein, man müsse es eigentlich nur wegen der Musik – seiner Musik – spielen.
Cohen, Vertreter einer gemäßigt „historisch informierten“ Aufführungspraxis, bot die Musik sehr transparent, trotzdem kernig und kraftstrotzend. Auf konsequentes Non-Vibrato und Kork-Paukenschlegel (die bei vielen seiner Zunftkollegen der Musik viel an Schönheit rigoros austreiben) verzichtete er – die Zuhörer konnten und durften in den Klängen des Orchesters schwelgen.
Das sich anschließende vierte Violinkonzert von Joseph Haydn mit der Geigerin Liza Ferschtman konnte man durchaus als eine Station auf dem Weg vom Barock zur Wiener Klassik hören. Noch stark an das concerto grosso des frühen 18. Jahrhunderts angelehnt, (Cohen spielte den Generalbass am Cembalo) trugen Melos und Harmonik aber bereits „echt Haydn’sche“ Züge.
Haydn war kein Virtuose, weder am Klavier, noch auf der Geige, trotzdem schrieb er für beide Instrumente Solokonzerte, die häufig von Amateuren gespielt wurden. So hätte es für dieses Violinkonzert gar nicht der überragenden Technik einer Liza Ferschtman bedurft, geschadet hat sie dem Werk aber selbstredend auch nicht.
Vielleicht hat sie sich damit für das höllisch schwierige Vivaldi-Konzert („Grosso Mogul“, RV 208) warmgespielt. Man kann die Konzerte von Vivaldi ernst nehmen oder auch nicht. Strawinsky tat es nicht und spottete, der „rote Priester“ aus Venedig habe „500-mal das gleiche Konzert“ komponiert.
In der Tat wirken die meisten der knapp 300 Violinkonzerte des Italieners ein wenig wie „von der Stange“ (um das böse Wort Dutzendware zu vermeiden). Aber es gibt Ausnahmen. Eine davon ist bestimmt das „Großmogul“-Konzert. Es wirkt mit seinen halsbrecherischen Schwierigkeiten fast ein wenig bizarr, ein Show-Stück mit grotesk übervirtuosen Kadenzen. Wer sie beherrscht, hat das Publikum auf seiner Seite. Und wer sie so brillant beherrscht wie Liza Ferschtman, evoziert bereits nach dem ersten Satz einen Beifallsorkan.
Mit der 5. Sinfonie in B-dur von Franz Schubert schloss sich der Kreis und erfüllte sich das dramaturgische Konzept. Wenige Wochen vor der Komposition hatte Schubert in sein Tagebuch geschrieben „O Mozart, unsterblicher Mozart, wie viele o wie unendlich viele wohltätige Abdrücke eines lichten bessern Lebens hast du in unsere Seelen geprägt“ und wandte sich 1816 – da waren acht der neun Beethovensinfonien, darunter Bekenntniswerke wie die „Eroica“ und die berühmte Fünfte, bereits geschrieben – rückwärtsblickend seinem Hausgott Amadeus zu.
Er tat das nicht epigonal. Die Ähnlichkeit des Menuetts – überhaupt: ein Menuett, nachdem Beethoven längst das Scherzo als dritten Satz einer Sinfonie eingeführt hatte! – mit dem aus Mozarts großer g-moll-Sinfonie darf nicht als Nachahmung gesehen werden. Sie ist ein Zitat, ebenso wie die Anklänge an das Briefduett aus „Figaros Hochzeit“. Schubert spürte der gelösten Heiterkeit seines Idols nach und schuf sie neu – in seinem ureigenen Idiom und mit seinen kompositorischen Mitteln. Dabei gelang ihm (ohne Klarinetten, Trompeten und Kesselpauken) ein luzider Klang von vollendeter Schönheit. Dem trug Cohen in seiner Interpretation kongenial Rechnung. Noch einmal durfte das Publikum im Wohllaut des Balearensinfonieorchesters schwelgen.
Das nächste Abokonzert wurde zu einem Benefizkonzert zugunsten ukrainischer Flüchtlinge in Spanien umgewidmet. Die 14-jährige Pianistin Alexandra Dovgan wird unter der Leitung von Pablo Mielgo am 31. März im Teatre Principal das zweite Klavierkonzert von Chopin spielen, außerdem steht die Sinfonie Nr. 2 in h-moll von Alexander Borodin auf dem Programm. Ein Abend für den guten Zweck also, dem man mit Spannung entgegensehen darf und dem man ein zahlreiches Publikum wünscht.