Folgen Sie uns F Y T I R

"Lady Gaga des Barock" feiert Mallorca-Debüt

Sopranistin Simone Kermes präsentiert in Sóller ihr Programm „¡Viva!“ – von Monteverdi bis Gershwin – und spricht im Interview über Freiheit, Leidenschaft und Tschaikowskys „Kleid aus Licht“.

Simone Kermes wird auch die "Lady Gaga der Klassik" genannt | Foto: P. Lozano

| Llucalcari, Mallorca |

Mallorca Magazin: Frau Kermes, Sie treten am 19. Oktober zum ersten Mal auf Mallorca auf. Was hat Sie auf die Insel geführt?

Simone Kermes: Die Freundschaft zu Oliver Spiecker (Autor, Journalist und Songtexter mit Zweitdomizil auf Mallorca, Anm. d. Red.). Er hat auch für mich Songtexte geschrieben, die jetzt vertont werden. Ich war im Mai hier, zu unseren Geburtstagen – wir haben sehr eng beieinander Geburtstag. Wir waren in einem Konzert, wo Suzanne Bradbury spielte. Er kannte Suzanne, wir waren danach essen, und dann kam die Idee: Eigentlich müsstest du auch hier etwas machen. Oliver hatte an diesem Tag den Text zu Tschaikowskys „Kleid aus Licht” fertiggestellt. Das war ein guter Anlass. Dann war ruckzuck das Programm fertig, und Suzanne kümmerte sich um die Location. Wenn es so läuft, passt es einfach.

MM: Erzählen Sie von "Kleid aus Licht".

Kermes: Oliver ist auf Tschaikowskys Klavierzyklus „Die Jahreszeiten” gestoßen und hat auf den Juni einen Text geschrieben: „Kleid aus Licht”. Wenn Tschaikowsky das hören würde, wäre er begeistert! Jetzt bekommt dieses Stück so eine Leichtigkeit. Es geht ums Meer, um Himbeereis, Champagnerluft, von Mädchen mit Sommersprossen im Gesicht, die erröten, wenn der Kavalier kommt und die Rose bricht. Durch den Text bekommt das etwas ganz Eigenes, Neues, in diese Zeit Passendes. Da fühle ich mich total wohl – das bin ich, und ich kann das singen, denn es ist einhundert Prozent authentisch und es berührt mich im tiefsten Inneren.

MM: Was erwartet das Publikum noch?

Kermes: Das Programm ist der Hammer. Das würde kein anderer klassischer Sänger machen, weder stimmlich noch wegen der unterschiedlichen Stile: Renaissance, von Monteverdi, über Barock Vivaldi und Purcell, bis zu Mendelssohn, Strauss, Sting, Rossini, Hahn, Jürgens, Tschaikowsky und „Summertime” von Gerschwin. Ich habe auch drei wunderbare spanische Lieder von Manuel De Falla dabei, der spanische Nationalkomponist, der im nächsten Jahr ein Jubiläum feiert. Und ich werde „Ne me quitte pas” von Jacques Brel in verschieden Sprachen singen. Das ist viel Arbeit, viel zu studieren, aber ich bin jemand, der nicht aufhört zu lernen. Ich liebe es, mich mit neuen Themen auch außerhalb der Musik zu beschäftigen und meinen Horizont zu erweitern.

MM: Sie werden als „Ba-Rock-Star” und „Lady Gaga des Barock” bezeichnet. Warum ist gerade der Barock so wichtig für Sie?

Kermes: Barock lebt von Interpretation in jeder Note und das hat mich mein ganzes Leben begleitet. Erstens steht nicht alles in den Noten, ich muss selbst kreativ und mutig sein. Die Popmusik hat mich immer inspiriert, ob Michael Jackson oder Rammstein. Und ich dachte: Wenn ich schon nicht als Rockstar wahrgenommen werde, kann ich versuchen, die Popmusik etwas in meine Musik zu übertragen. Und der Ba-ROCK ist perfekt dafür. Ich arbeite auch mit Jazz- Musikern, mit den Klazzbrothers, die kubanisches Blut in sich tragen, oder auch arabischen Welt- Musikern, Jasser Haj Youssef, der für meine Stimme, Lieder komponiert hat. Jedesmal fühle ich mich sehr wohl und locker mit diesen unterschiedlichen Genres. Ich liebe es zu improvisieren und nicht nur nachschaffender Künstler zu sein.

MM: Was war der Auslöser für Ihr Album „Inferno e Paradiso”, Ihr Barockalbum mit Popsongs?

Kermes: Die Idee kam, weil ich in der Elbphilharmonie als Zugabe „Atemlos” von Helene Fischer auf Barock gesungen habe. Die Sache ist durch die Decke gegangen, die ganze Elbphilharmonie tobte. Dann sagte die Plattenfirma: Wir müssen so etwas machen! Ich dachte: Wenn, dann muss das richtig gut sein. Die Titel müssen stimmen, es muss thematisch passen. Und es müssen auch echte Barockstücke dabei sein, so dass man nicht unterscheiden kann, was ursprünglich Barock ist und was nicht. So gut muss es arrangiert sein. Der Arrangeur hat das wirklich fantastisch gemacht.

MM: Wieso haben Sie sich eigentlich für klassischen Gesang entschieden und nicht für Pop?

Kermes: Das frage ich mich auch manchmal (lacht). Meine Tante, sie ist jetzt 98, hat mich erst wirklich akzeptiert, als sie mich mit Roland Kaiser im Fernsehen gesehen hat. Sie sagte: „Na Simone, jetzt hast du es endlich geschafft.” Ich dachte dann: Wie einfach ist das denn? Warum mache ich nur dieses klassische Repertoire? Aber es ist richtig so, weil ich sonst unterfordert gewesen wäre. In der Klassik kann ich meine ganze Bandbreite, mein Talent, meine Gesangstechnik auf hohem Niveau einsetzen.

MM: Händel war immer präsent in Ihrer Karriere. Welche Bedeutung hat er für Sie?

Kermes: Händel ist mein Mentor, mein Master, meine Liebe. Ohne ihn wäre ich nie auf die nächste Stufe, das nächste Level gekommen. Immer war Händel dabei – bei Wettbewerben, der Eignungsprüfung an der Hochschule, bei Vorsingen für Engagements, bei der Begegnung mit Donna Leon, die meinen ersten Italienisch-Unterricht bezahlt hat. Jetzt auch bei meiner ersten Regiearbeit – wieder Händel, „Alcina”. Und als letzte Zugabe in meinen Konzerten singe ich immer „Lascia ch’io pianga” (Arie aus der Händel-Oper „Rinaldo”; Anm. d. Red.). Damit öffnet sich das Universum. In dem Moment bin ich in einer anderen Dimension – da ist dann Händel persönlich anwesend.

MM: Ihre Wurzeln haben Sie einmal im Punk verortet. Wie passt das zur klassischen Sängerin?

Kermes: Das war noch zu DDR-Zeiten. Ich musste einen Umweg gehen, weil mein Vater starb, als ich zwölf Jahre alt war, und ich völlig aus der Bahn geworfen wurde. Ich habe drei Jahre Facharbeiter für Schreibtechnik gelernt, dann bin ich kurzzeitig zur Sekretärin aufgestiegen, aber das hat mich einfach nicht ausgefüllt. Ich hatte damals eine Punkfrisur und bin mit dieser zur Eignungsprüfung an die Hochschule für Musik in Leipzig gegangen. Die Professoren haben mich nicht für voll genommen und wollten mich in die Unterhaltungsmusik stecken. Ein Professor für dramatischen Unterricht meinte auch, ich sollte doch Schauspielerin werden. Da hatte ich erst mal zu kämpfen. Ich wurde zwar angenommen, musste aber zwei Jahre zur Bewährung in die Chorwüste zur Außenstelle nach Magdeburg. Sie haben versucht mich zu erziehen, mich „zurecht-zu-rücken“, heißt: Die Haare wuchsen und wurden zu Locken aufgetürmt, damit ich in die Klassik hineinpasse. Das hat mich immer gestört, aber letztendlich konnten sie mich nicht verändern. Übrigens niemand, jemals.

MM: Sie haben bei legendären Sängern Meisterklassen gemacht, bei Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf. Was haben Sie davon mitgenommen?

Kermes: Zu Fischer-Dieskau gibt es eine lustige Geschichte: Ich studierte mit einem Bariton aus meiner Gesangsklasse, der schon bei Fischer-Dieskau war. Er überbrachte ihm eine Kassette mit meiner Stimme. Wir hatten gefeiert, und ich hatte nicht mehr daran gedacht. Um 8 Uhr morgens klingelt das Telefon, ich gehe verschlafen ran: Hallo. „Hier ist Fischer-Dieskau.” Ich antwortete: „Mensch, mach keinen Quatsch!” – „Hier ist Fischer-Dieskau, Sie haben mir ein Band geschickt.” Da merkte ich: Das ist er wirklich! Dann war ich fast jeden Tag bei ihm. Er hat nicht an der Technik gearbeitet – die musste man schon können –, sondern an der Interpretation. Er war so klug, ich war fasziniert von seinem Wissen. Diese Zeit war sehr intensiv und inspirierend für mich.

MM: Und Elisabeth Schwarzkopf?

Kermes: Die war schwierig, vor allem menschlich. Ich hatte die Fiordiligi aus Mozarts „Così fan tutte” vorbereitet – eine Rolle, die sie selbst gesungen hatte. Das fand sie gar nicht gut. Sie war sehr klein, schaute immer zu mir hoch und unterbrach mich bei der zweiten Arie mit den große Sprüngen: „Halt! Machen Sie mal hier einen Kopfton.” Ich wusste nicht, was sie meinte, und sagte: „Dann machen Sie es mir doch mal vor!” Da war natürlich der Ofen aus. Dann riet sie mir: „Sie sollten Wagner singen, Mozart sollten Sie sich nicht zutrauen.” Ich war im zweiten Studienjahr – da fängt man normalerweise mit Mozart an. Aber das war ja ihre Domäne. Was ich aber mitgenommen habe: Bei Mozart hört man alles. Das ist der Maßstab, an dem man erkennt, wer wirklich singen kann. Wer es nötig hat, kann bei anderen Komponisten ein bisschen schummeln, aber bei Mozart nicht.

MM: Was treibt Sie als Künstlerin an?

Kermes: Die Freiheit, aber auch das große gesellschaftliche Ganze. Dass die Menschen wieder Werte empfinden und danach leben, vor allem für die nächsten Generationen. Mir ist wichtig, zum Beispiel in Meisterkursen mein Wissen und meine Erfahrungen zu teilen. Es geht darum, von seinem Ego wegzukommen, um das zu tun, was wirklich wichtig im Leben ist. Dass man am Ende sagen kann: Das war gut, es hat sich gelohnt, ich konnte etwas weitergeben, und mein Wissen und meine Liebe leben in der jungen Generation weiter. Damit auch sie es einmal vermehren.

MM: Ihre Mission ist also, mit Musik Gutes zu tun?

Kermes: Menschen zu berühren, ja. Ich habe gemerkt, dass durch die Corona-Zeit eine Spaltung entstanden ist, bei der manche gar nicht mehr berührt sein können oder wollen. Es fehlt an Energie. Dann ist es viel schwieriger, etwas zu transportieren. Aber Musik kann das, wenn sie authentisch interpretiert wird. Für den Künstler ist das Größte, wirklich authentisch zu sein, mit allen Macken. Du kannst es zwar nicht allen recht machen, aber wenn, dann ist es wahrhaftig. Ich habe kürzlich für einen schwerkranken Freund gesungen. Er war so glücklich. Da dachte ich: Dafür ist man auch da, Menschen im Moment etwas zu schenken, Gefühle für die Seele, Hoffnung, Liebe.

MM: Warum managen Sie sich seit 2017 selbst?

Kermes: Durch sehr schlechte Erfahrungen. Übrigens nicht erst seit 2017 sondern schon sehr viel früher. Ich wurde oft ausgenutzt und in Schubladen gesteckt. Manager bringen einen nicht immer weiter. Ich habe gemerkt, dass ich besser selbst entscheiden und denken kann, was zu mir passt. Sonst würde ich jetzt bestimmt nicht mehr singen und mit Ihnen dieses wunderbare Interview führen. Danke.

Das Interview führte Martin Breuninger

Simone Kermes (Sopran), Suzanne Bradbury (Klavier): „¡Viva!” – von Monteverdo bis Gershwin. Sonntag, 19. Oktober, 18 Uhr, Església de Sant Bartomeu, Sóller, Eintritt 30 Euro (ermäßigt 15 Euro), Karten: ticketib.com

Zum Thema
Meistgelesen