Wenn Wenmin Ye mit prüfendem Blick durch seinen King Wok schreitet, scheinen sich die Mitarbeiter noch schneller als ohnehin schon zu bewegen. Der Besitzer des mit Bonsaibäumen verschönerten chinesischen Selbstbedienungsrestaurants in Palmas Stadtteil Son Fuster mit großflächigen Fotos aus dem Reich der Mitte an den Wänden hat augenscheinlich alles im Griff. Der turnhallengroße Bau im Gewerbegebiet ist heute beim MM-Esstermin zwar nicht voll, aber es ist halt Mittag in der Arbeitswoche.
Auf Bildschirmen läuft wie immer der Musiksender VH1 mit älterer Popmusik, Christina Aguilera singt gerade „Voulez vous coucher avec moi”. Und wie die Schöne so trällert, macht der Gast das, was er in einem Wok-Restaurant zu machen hat: Nach dem Bestellen eines Getränks steht er auf und begibt sich zum Büfett. Der Wok-erfahrene Verfasser dieser Zeilen hat schon stundenlang der typischen säuerlichen Chinasuppe entgegengefiebert, die man sich aus einem Bottich in eine Schale löffeln kann. Dabei stellt er sich in Gedanken schon den zweiten Gang zusammen: Seetang, Krupuk, Sardellen und Eier. Er hat extra nicht gefrühstückt, um mindestens fünf Gänge in sich hineinfuttern zu können – eine wahre Wonne für die 11,50 Euro Einheitspreis ohne Getränk, die hier in der Woche verlangt werden.
Der King Wok ist nur eines von zahlreichen chinesischen Selbstbedienungsrestaurants, die es vor allem rund um Palma gibt, und die man so in deutschen Landen nicht kennt. Im Gewerbepark Son Valentí steht etwa der Gran Wok, bei Ikea der Isla Wok und in Palmas größtem Gewerbegebiet Son Castelló befindet sich das Restaurante Wok. Das Konzept ist immer gleich: Es wird nicht nur China-Essen angeboten, sondern auch westliche Speisen. Im King Wok wird zur Freude des in Buenos Aires aufgewachsenen MM-Essers argentinisches Fleisch mit Chimichurri-Sauce zubereitet.
Wer in ein Woklokal geht, den überkommt ein Gefühl einer gewissen Freiheit, das man aus herkömmlichen Restaurants so nicht kennt. Auf Kellner muss man nicht warten, man holt sich, was man braucht, und man muss nicht sehr auf seine Kleidung achten, fällt also auch in einer zerschlissenen Trainingshose nicht unbedingt auf. Man kann das Gelage, wenn man Lust hat, lange hinauszögern und immer wieder essen. Abgerechnet wird am Ende an einer Kasse am Ausgang. Dadurch, dass die Aufenthaltszeit begrenzt ist – der King Wok sperrt am Nachmittag um 16.30 Uhr zu und öffnet wieder um 20 Uhr – verhindert Wenmin Ye zum Wohle seiner Kasse, dass die Gäste allzu viel in sich hineinstopfen.
Es verwundert angesichts der günstigen Preise nicht, dass neben Arbeitnehmern vor allem Familien mit hungrigen Kindern in den Woklokalen zu finden sind. Und so ist so ein Etablissement ein verlängertes Wohnzimmer, in welchem man so ziemlich alles mitbekommen kann, was auch zu Hause passiert – von Ehestreitereien über Liebesgeplänkel bis hin zum Geschrei durchgedrehter Kids.
Mit dem Gesicht eines ausgebufften Pokerspielers bewegt sich Wenmin Ye immer mal wieder durch seinen Laden. Dass der Gastbetrieb sicherlich ordentlich Geld abwirft, merkt man dem Betreiber nicht an. Doch es ist wohl so, denn Wenmin Ye kann es sich leisten, auf der Avenida Aragón an einer Mauer großflächig auf sein Lokal hinzuweisen. Und im April eröffnete der Unternehmer in teurer Plaça-d’Espanya-Nähe ein edleres Restaurant namens „King Único” für diejenigen, die eine etwas gediegenere Atmosphäre wollen.
(aus MM 1/2019)