Das längliche Ding schmeckt recht angenehm, ein bisschen nach Mandeln. Und doch ist der Respekt groß, wenn man im Wissen darum, dass es sich um eine geröstete Heuschrecke handelt, kraftvoll hineinbeißt. Abgerundet wird das Esserlebnis durch Weintraubenhälften und Melonenstücke, die ebenfalls aufgespießt wurden. Eine leicht pikante Soße macht das schräge Gericht komplett.
Die ungewöhnliche Kombination wird im „Bicho Raro” („seltsame Kreatur”) zubereitet, dem offensichtlich ersten Restaurant auf den Balearen, in welchem es auch Essen auf Insektenbasis gibt. „Wir verwenden nicht nur Heuschrecken, sondern auch Mehlwürmer und Grillen”, sagt Branko Marinkovic. Der Bosnier eröffnete das Lokal in der beliebten Fàbrica-Straße 51 in Palmas schickem Viertel Santa Catalina erst vor etwa einem Monat. „Vor allem jüngere Leute können sich für Insektenfood erwärmen, ältere nicht so sehr”, weiß er. Für letztere tischt er auch unverdächtige Gerichte wie den Inselklassiker Pica-Pica und die Balkanspezialität Cevapcici auf. Allzu seltsame Insekten wie Gottesanbeterinnen oder Skorpione – in Ostasien in fast aller Munde – kommen Marinkovic aber nicht auf die Teller. „Ich beziehe die Insekten von einem Züchter in Ulm”, äußert der Wirt, den es kurz vor dem Jugoslawienkrieg Anfang der 90er Jahre zunächst in die nordrhein-westfälische Stadt Bielefeld verschlagen hatte und der einige Jahre später aus privaten Gründen nach Mallorca kam. „Sie sind ausgesprochen proteinreich.”
Es sticht ins Auge, dass sich Marinkovic vor allem auf ein jüngeres und hipperes Publikum eingerichtet hat: An den Wänden des „Bicho Raro” sind Street-Art-Szenen zu erkennen, hinzu kommen schwungvoll niedergeschriebene Auszüge aus der Speisekarte. Hingewiesen wird dort auch auf „Ancas de rana”, Froschschenkel. „Auch die passen in das Konzept des Restaurants”, sagt der Wirt, der in zuvor von einem Italiener genutzten Räumlichkeiten wirkt. „Es kommen derzeit vor allem Einheimische.”
Unter einigen jungen Gästen gelte es als Mutprobe, sich die kleinen Krabbler in den Schlund zu schieben, um danach vor den Altersgenossen verbal die eigene Courage zu loben. Die neue Kultur des Insektenessens passt aber auch in den Wandel der Zeit.
Und in dieser Hinsicht könnte Branko Marinkovic richtig liegen: Mit seinem neuen Restaurant versucht der ehemals bei den Pleitekonzernen Air Berlin und Thomas Cook jahrelang beschäftigte Neu-Wirt, auf einen in der westlichen Welt im Kommen befindlichen Trend zu springen. Aktuellen Studien zufolge passt dieser in einen auch durch die Corona-Krise beförderten Wandel der Esskultur hin zu mehr Nachhaltigkeit. In diesem Zusammenhang hatte die EU im Mai den Mehlwurm zur Vermarktung freigeben.
Klar ist, dass die kleinen Tierchen zwar nicht unbedingt ein Augenschmaus sind, wenn man sie denn überhaupt erkennt, aber die Gesundheit fördern. Da kommt beim Biss in den Reibekuchen mit herauf gestreuten Mehlwürmern und Grillen, dem zweiten Versuchsteller des MM-Reporters, eine gewisse unverhohlene Freude auf, zumal ein Glas Wein das kulinarische Happening vervollkommnet.