Vielleicht war es das letzte Glas dieses unverschämt guten Rioja-Weines. Oder aber die fast schon hypnotisierenden Klänge aus dem Saxofon von Norbert Fimpel. Oder beides zusammen. Fest steht jedenfalls: Wir haben uns verdammt noch mal verlaufen! Und das in einem Hotel auf Mallorca. Peinlich. Statt auf der riesigen Bettmatratze vor dem XXL-Fernseher unserer imposanten Unterkunft mit LED-beleuchtetem Klosett, Badezimmerspiegel-Touchscreen und gut gefüllter Mini-Bar zu kuscheln, stolpern wir gegen Mitternacht schweißgebadet und orientierungslos über die schummrig beleuchteten Natursteinwege des Resorts, mal treppauf, mal treppab, aber stets in der Gewissheit, keinen blassen Schimmer zu haben, wie wir jemals wieder diesem Labyrinth aus Treppen, Mauern, Bögen, Gängen und Gärten lebend entrinnen.
Dabei fing unser Besuch im Cap Vermell Gran Hotel vor rund zehn Stunden mehr als vielversprechend an. Wobei Hotel eigentlich das falsche Wort ist. Tatsächlich handelt es sich bei der 2016 von der US-Hotelgruppe Hyatt gebauten und mittlerweile von der Cap Vermell Group geführten Anlage um ein Dorf in Hanglage im Tal von Canyamel. Die rund 150 Zimmer-Apartments, Suiten und Villen sind in Dutzenden von Gebäudeblöcken integriert, die wiederum durch schmale Steinwege miteinander verbunden sind. Dazwischen wurden diverse Grünzonen mit üppigsten Kräuteranpflanzungen wie Lavendel oder Kamille, aber auch Olivenbäumen und Steineichen angelegt. Mitten hindurch plätschert ein künstlicher Sturzbach.
Nach unserer Ankunft werden wir von einem Hotelangestellten in einem elektrischen Golfcart zu unserer Unterkunft chauffiert, die sich am oberen Ende der Anlage befindet, was uns später in der Nacht noch zum Verhängnis werden soll. Das Hotelzimmer entpuppt sich als 50 Quadratmeter großes Luxus-Apartment mit Umkleidezimmer, Chill-out-Balkon und dem oben bereits erwähnten Nightlight-Klosett. Preis: ab 1200 Euro die Nacht inklusive Frühstück. Den größten Fehler, den man hier begehen kann, ist sich nach der Ankunft sofort auf das Zweimalzwei Meter große Bett zu werfen, dessen Matratze so verführerisch weich wie Wolke Sieben ist. Glauben Sie uns: Sie stehen anschließend nie wieder auf.
Nachdem wir uns für das Abendessen ausgiebig in der Badewanne frisch gemacht haben, beginnt die Erkundungstour durchs Ressort. Unser Chauffeur hatte uns gesagt, dass wir eigentlich nur dem künstlichen Bergbach folgen müssen, der direkt unterhalb unseres Apartmentblocks bis zur Plaza führt. Auf dem Weg hinab stellen wir fest, dass sich alle diese terrassenförmig angeordneten Gebäude-Ensemble sehr stark ähneln. Unten auf der Plaza angekommen bewundern wir den dort stehenden „Toro del Mar”, eine blau polierte Stierskulpultur in Lebensgröße des in Cala Ratjada schaffenden deutschen Künstlers Frank Krüger.
Das Cap Vermell Gran Hotel ist berühmt für sein außerordentliches gastronimisches Angebot. Derzeit stehen drei Restaurants zur Auswahl. Das auf mediterrane Kost spezialisierte „Balearic”, das Zweisterne-Michelin Restaurant „Voro” von Chef Álvaro Salazar sowie das „Tapas”, dessen Name natürlich auch Programm ist. Im Letzteren haben wir einen Tisch gegen 20.30 Uhr bestellt, und zwar mit unserem zur Zimmerausstattung gehörenden iPad, mit dem sich auch Massagen im Hotelspa oder Golfrunden im benachbarten Golf Canyamel ganz prima buchen lassen.
Serviert wird das Tapas Degustationsmenü für 72 Euro, ein acht gängiger Tellerwechsel mit klassischen spanischen Häppchen wie Gazpacho, Ensaladilla Rusa, Croquetas oder Patatas Bravas. Allerdings dermaßen aufwendig und deliziös zubereitet, dass man fortan einen weiten Bogen um jede x-beliebige Tapas-Kneipe zwischen Andalusien und dem Baskenland machen möchte. Dazu hat man die Wahl zwischen diversen Weinen, vorrangig vom spanischen Festland, aber auch von den Bodegas der Inseln. Gerade als wir uns auf den Weg zu unserer Unterkunft machen wollen, hören wir zauberhafte Klänge von der gegenüberliegenden Terrasse des Lokals. Und siehe da: Kein anderer als Profi-Saxofonist Norbert Fimpel, der bereits mit Weltstars wie Joe Cocker auf der Bühne stand, bläst hier ins Blech. Zusammen mit seinem Partner und DJ Daddy Funky tritt er jeden Freitagabend im „Tapas” auf.
Nach einem längeren Smalltalk mit Fimpel machen wir uns auf den Irrweg nach Hause. Wie wir letztendlich doch zu unserer Unterkunft gefunden haben? Irgendwann gabelte uns ein Hotelangestellter in seinem Elektro-Buggy auf. „Es kommt tatsächlich immer mal vor, dass sich Gäste nachts verlaufen, deshalb fahren wir die ganz Nacht Patrouille”, so der Fahrer mit einem Augenzwinkern. „Im Ernst?”, antworten wir brüskiert. Wie kann man denn so orientierungslos sein?