Eis essen ist auch auf Mallorca nicht mehr das, was es einmal war. Beschränkte man sich früher in irgendeiner einfachen Diele auf Schokolade, Vanille oder Erdbeere, so wurde das Angebot in den vergangenen Jahren bekanntlich mehr und mehr an die Bedürfnisse verwöhnter Wellness-Mittel- und Nordeuropäer von heute angepasst.
Und so kommt etwa der Palmesaner Betrieb „Rivareno”, der sich „Labor” nennt und sämtliche Produkte – das Mittelmeer ist halt ein Einheitsbrei – zielgruppenkompatibel auf Italienisch anbietet, in seiner neuen Filiale an der Fábrica-Fußgängerzone fast wie ein Sterne-Restaurant daher. Der MM-Tester versuchte sich hier nicht am wie Dubai-Schokolade schmeckenden Dubai-Eis – der allerletzte Schrei am Eishimmel – sondern an der „Zuppa inglese”, auf gut Deutsch der „englischen Suppe”. Was sich in Kenntnis der britischen Küche irgendwie bedrohlich anhört, entpuppte sich als lukullischer Genuss mit süßem Creme-Geschmack und mutmaßlich liebevoll zerstoßenen Keks-Stückchen. Irgendwie ähnlich, wenn auch deutlich fruchtiger, mundete das Eis aus Aromen von der italienischen Insel Sardinien in der „sucursal” der wenige Meter entfernt befindlichen argentinischen Kette „Che Gelats”. Die langsam schmelzende Kugel glitt stückchenweise wie Samt und Seide den Gaumen herunter, um in der Speiseröhre geschmacklich noch einmal kurz aufzublühen.
In all den schicken Palmesaner Eissalons gibt es „conos” oder Becher in verschiedensten Größen und zu teils gepfefferten Preisen, garniert werden die Behälter mitunter mit Zusatz-Gimmicks wie zerstoßenen Nüssen oder Erdbeerpüree. Und alles ist – wie immer wieder groß angepriesen – hochgradig gesund, von laktose- bis farbstofffrei. Dass dies auch empfindlichere Zeitgenossen vollauf zufriedenstellen dürfte, versteht sich von selbst.
Wobei anspruchsvolle Gemüter besonders intensiv im Italo-Eistempel „Fior di Latte” gegenüber der alten Seehandelsbörse Lonja gepampert werden – ein After-Eight-Eis beamte dem MM-Flaneur in Sekundenschnelle alte Werbespots für die seit Jahrzehnten beliebten Schokoplättchen ins Gehirn. Das Mascarpone-Feigen-Eis zauberte ihm eine ganz eigene, ungekannte käsig-fruchtig-frische Note in die hungrige Kehle. Verglichen damit kommt die Eisverkaufsstätte des durchaus kultigen „Filippo”-Lokals an der Avinguda de l’Argentina geradezu bescheiden daher: Dort heißt Stracciatella noch Stracciatella und Mango Mango.
Eis essen ist in Palma nur noch residuell eine schnöde Nahrungsaufnahme, es ist inzwischen ein mehrdimensionales Erlebnis, das unmissverständlich eine der philosophischen Grundsätze des komfortvernarrten modernen Mittelmeer-Touristen zum Ausdruck bringen soll: „Wir essen gerne gut.”