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LÄRM

Es ist viel zu laut

Die Insel der Un-Ruhe: Krach macht Leben zur Qual

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Christa Pleyer ist mit ihrer Geduld am Ende. Jahrelang fühlten sie und ihre Familie sich in Port de Sóller wohl, in ihrem Chalet, das sie seit 50 Jahren haben. Bis zu dem Zeitpunkt, als gegenüber eine Bar öffnete und ihre Straße sich in eine Rennpiste für pubertierende Mofafahrer verwandelte. Jetzt will sie ihre Zelte auf Mallorca abbrechen.

Reagieren offizielle Stellen nicht – sei es, weil es keine wirkungsvolle Handhabe gibt, sei es aus Nachlässigkeit – wächst die Aggression: „Der Kriegszustand ist bei uns in der Nachbarschaft ausgebrochen. Mofafahrer benutzen unsere Straße seit geraumer Zeit als Rennstrecke. Eines Tages flippte mein Nachbar aus. Er warf mit einer rohen Kartoffel nach einem Mofafahrer. Der bekam ein blaues Auge, und tags darauf nahmen die kleinen Racheakte der Clique ihren Anfang. Wir sind fertig mit den Nerven”, so ein Anwohner des Arabella-Parks in Palma.

Es wird immer lauter: Baumaschinen, Flugzeuge, frisierte Mopeds, Wassersportarten wie Jet-Ski, laute Musik, die Zahl der Lärmquellen auf der Insel ist unendlich. Es gibt zahlreiche neuralgische Punkte, an denen gleich mehrere Faktoren die Dezibel-Zahl steigen lässt. Ruhe ist zu einem kostbaren Gut geworden. Umso schmerzlicher ist diese Erfahrung auf einer Urlaubsinsel, deren Hauptgeschäft die Erholung der Touristen ist. „Lärm ist Beschwerdegrund Nummer eins bei den Urlaubern. Bei acht Millionen Touristen ist es aus mit der Insel der Ruhe. Aber es gibt eben Lärm, der vermeidbar wäre”, bestätigt denn auch Juan Carlos Alia, Pressesprecher des Reiseveranstalters TUI in Spanien.

Dabei ist das Problem der Lärmbelästigung nicht neu. „Macht Mallorca endlich leiser”, forderte 1998 Wolfgang Beeser, damaliger Vorsitzender der Neckermann-Geschäftsführung im MM-Interview. „Nachtleben muss sozialverträglich sein, Nachtlokale müssen dort installiert werden, wo sie nicht schaden.” Wo Hotels und Kneipenszene – wie zum Beispiel an der Playa de Palma – nah beeinander liegen, ist der Konflikt vorprogrammiert. Jahrelange Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen führten an der Playa zu einer vorgezogenen Sperrstunde.

Ab Mitternacht muss drinnen weitergefeiert werden: „Wir sind zufrieden mit der Sperrstunde, aber wir werden weiter kämpfen. Schon nachmittags erreicht der Pegel durch die laute Musik bis zu 90 Dezibel. Wenn wir nichts tun, werden wir noch mehr Touristen verlieren”, so Jordi Cabrer, Vizepräsident des Hotelverbands der Playa de Palma. Auch die Anwohner der Lonja haben nach Jahren des Kampfes um nächtliche Ruhe einen Fortschritt erzielt: Um 1 Uhr schließen die meisten Bars im beliebten Ausgehviertel von Palma.

Kein Zweifel: Die Menschen sehnen sich nach Ruhe. Das verwundert nicht, denn Lärm macht krank. Schaden können alle nehmen, die sich dieser Belästigung aussetzen müssen. Krach wirkt nachhaltig, die Verschleißerscheinungen von Körper und Psyche sind enorm. Die Krankheiten kommen häufig schleichend, unmerklich beeinflusst Lärm das vegetative Nervensystem, führt über die psychische Belastung zu Herzschwierigkeiten oder Tinnitus.

Wer meint, dass die Toleranzgrenze bei Spaniern höher liegt, irrt. Eine Studie der Verbraucherschutzorganisation Spaniens (UCE) belegt, dass Spanien nach Japan das zweitlauteste Land der Welt ist. Laut UCE leiden vor allem in den Ballungszentren die Bürger an einem Lärmpegel, der die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegte Grenze von 65 Dezibel übersteigt. Gelassen nehmen die Spanier den Lärm nicht hin. Dass die Behörden Gelassenheit angesichts der sich mehrenden Beschwerden zeigen, wird von der Bevölkerung keineswegs akzeptiert.

Ursache der meisten Beschwerden, die gegenüber offiziellen Stellen geäußert werden, ist der Lärm, der durch Verkehr und Kneipenbetriebe verursacht wird. Als notwendiges Übel scheint auf Mallorca der Geräuschpegel von Flugzeugen und Baumaschinen zu gelten.

Vermeidbar oder nicht, Hilflosigkeit herrscht angesichts des Mopedlärms vor: „Die Anzeigen häufen sich. 2000 führten wir 168 Kontrollen durch. 430 Mal wurden Halter frisierter Mopeds angezeigt. 523 haben wir eingezogen. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist schwierig, Jugendliche zur Verantwortung zu ziehen”, so ein Sprecher der Policía Local in Palma.

Steckt Absicht hinter einer Lärmverursachung, ist die Toleranzgrenze schnell erreicht. Egal, welcher Nationalität die Menschen sind. Christa Pleyer ist Tochter eines mallorquinischen Vaters und einer deutschen Mutter. „Ich kenne die Mentalitäten beider Länder sehr gut. Lärm ist kein Problem, das nur die Deutschen haben. Lärm macht alle verrückt. Wenn von 23 bis 5 Uhr Horden von Mofafahrern vorbeirasen, ohne Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen, drehen wir alle durch.”

Die Anwohner in Sóller haben inzwischen richtig Angst: „Die Gemeinde oder die Polizei unternehmen nichts. Wenn wir selbst mit den Jungs reden, werden sie aggressiv. Ich kann nichts tun. Die würden mir ja vielleicht mein Haus demolieren, wenn wir wieder in Deutschland sind.”

Die Bereitschaft der Politiker und Behörden, Lärm einzudämmen oder gegen die Verursacher vorzugehen, ist höchst unterschiedlich. Als Positivbeispiel kann die Verlängerung der Sperrstunde in Vergnügungsvierteln wie der Playa de Palma verbucht werden. Oder der sommerliche Baustopp in der Gemeinde Calvià (siehe Seite 7). Erfolge sind oft Resultate zäher Verhandlungen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen. Die brauchen Zeit.

Viele können nicht so lange warten, werden krank oder verlassen die Insel. „TUI-Urlauber, die sich von Lärm belästigt fühlen, haben die Garantie, innerhalb 24 Stunden ein anderes Quartier beziehen zu können”, so Juan Carlos Alía von der TUI.

Lärm trifft die Insel im Nerv. Und gefährdet die Haupteinnahmequelle. Maßnahmen sind nötig, „sonst verlieren wir noch mehr Urlauber”, so Juan Carlos Alía von der TUI. Inselresidentin Inge Nielsen stellt in einem Leserbrief an MM fest: „Die fundamentalen Bedürfnisse eines normalen Urlaubers werden mit Füßen getreten. Sonne und Strand werden es auf Dauer nicht mehr richten, denn das gibt es überall am Mittelmeer, und woanders wird der Kunde noch königlich behandelt.”

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