Die beiden venezianischen Laternen, die das Esszimmer schmücken, stammen aus dem alten „Lido de Paris”. Und um sicher zu sein, dass sich an ihnen bereits „Ernest Hemingway und Maurice Chevalier nach reichlich Champagner angelehnt haben”, hat Bernhard Paul vorher noch mal bei Google nach Bild-Beweisen gesucht, bevor er auf dem Flohmarkt in Paris zugeschlagen hat.
Sein nach jahrelanger Restaurierung und detailgetreuer „Mallorcanisierung” kürzlich bezogenes Haus mit Park am Rande von Palma ist ein Creativ-Center mit Open-Air-Manege: „Die große Bibliothek, Konferenz- und Tagungsraum, Küche und jede Menge Gästezimmer bieten die Möglichkeit zusammen zu leben, denken – und zu kochen”, sagt Bernhard Paul. „Und in der Manege lassen sich die just erdachten Nummern gleich ausprobieren.” Das gesamte Ambiente ist Nostalgie pur: Der Rahmen eines Bildes im Wohnzimmer – ein früheres Bühnenbild, das noch ausgetauscht werden soll – stammt aus dem Nachlass von Paul Hörbiger, in der Küche beeindruckt eine rot-metallfarbene Original-Schinkenschneidemaschine von 1910. Dazwischen ein schier unüberschaubares Konglomerat aus Schaukelpferden, Hüten, Geschirr, antiken Schränken, Leuchten, Lüstern, alten, mallorquinischen Schränken, Türen und wunderschön bedruckten Öldosen, Bücher, Gläser. Eines haben sie alle gemein: Sie sind alt. Und damit eine einzige liebevolle Demonstration dessen, was ihrem Besitzer am Herzen liegt: „Alles, was verschwindet auf diesem Planeten, muss ich retten.” Das hat Bernhard Paul 1976 auch mit dem Zirkus gemacht: Da gab er als Gründer und Direktor mit dem „Circus Roncalli” sein erstes Gastspiel. Ein neuer Stern war geboren, entgegen allen kritischen Stimmen, die den Zirkus für eine untergegangene Welt hielten. Schon als Fünfjähriger war er mit dem Zirkus-Virus infiziert – „Ich sammelte alles, was ich darüber kriegen konnte” –, nichts und niemand konnte ihn aufhalten, seinen Traum zu verwirklichen.
Damit ist die Rollenvielfalt des Direktors, der seit 1980 auch als „Clown Zippo” auftritt, nicht erschöpft. Bernhard Paul präsentiert regelmäßige Varietés nicht nur im eigenen „Apollo” in Köln, er inszeniert, führt Regie, steht sowohl vor der Fernsehkamera als auch auf den Bühnen großer europäischer Häuser, etwa 1996 in der Wiener Volksoper unter der Regie von Kollegen wie Klaus Maria Brandauer im „Land des Lächelns”. Im selben Jahr erhält Bernhard Paul auch das Bundesverdienstkreuz aus der Hand von Bundespräsident Roman Herzog.
Das Haus bei Palma heißt „Villa Eliana”, be-nannt nach seiner italienischen Ehefrau, die aus einer alten Zirkusfamilie in achter Generation stammt und mit der er einen Sohn und zwei Töchter hat. In Italien wird er Ende 2010 auch sein Zirkusmuseum eröffnen, in der Villa des legendären Clowns Grock, die vom Staat gerade restauriert wird. Eigentlich hatte es Köln sein sollen, aber als ihm die Behörden die Auflage machten, vorab 500 Parkplätze zu schaffen, hatte Bernhard Paul von deutscher Bürokratie die Nase voll: „Ich habe den Vertrag zerrissen und mir für das Geld dieses Haus verwirklicht.” Geboren 1947 in Lilienfeld, aufgewachsen in Wilhelmsburg, hat er Hoch- und Tiefbau studiert, später Grafik in Wien. Mit Architektur kennt sich der gebürtige Österreicher aus, und da ihm die Ideen der Fachwelt zu uninspiriert waren, machte er sich selbst ans Werk. Gelebt wurde während der rund zehnjährigen Restaurierung eines „völlig verbauten” Hauses, aus dem seine mallorquinischen Ursprünge wieder „herausgeschält” wurden, „erst in der Garage, dann im Gästehaus nebenan”.
Wichtig war ihm dabei die „gleichzeitige Berücksichtigung von ökologischen, praktischen und ästhetischen Richtlinien”. Gegen Elektrosmog isolierte Leitungen, Filteranlagen für brunnenklares Wasser, dioxinfreie Bepflanzung des Gartens und Zitronengras im Fensterbereich „gegen die Mücken” gehören genauso dazu wie die allesamt auf antik getrimmten Lichtschalter oder die außergewöhnlichen Türen der Gästezimmer: das Original-Portal einer mallorquinischen Apotheke, eines Cafés in Paris oder einer Fleischhauerei in Wien.
Bei aller Verspieltheit ist Bernhard Paul perfektionistisch, und die mallorquinischen Handwerker brachten ihn nicht nur einmal schier zur Verzweiflung, auch wenn er zur Sicherheit gern das Foto sichtbar platzierte, das ihn gemeinsam mit Juan Carlos zeigt, als dem 1982 in Aachen der Karlspreis verliehen wird: „Die Mallorquiner sind ja sehr königsfürchtig.” Was die Handwerker nicht davon abhielt, etwa die Messinggriffe an den Fenstern mit andersfarbigen Eisenschrauben zu montieren: „Und von sechs Griffen waren fünf auch noch schief.” Von den Dramen um das kleine Wort „mañana” ganz zu schweigen.
Es hat Zeit und Nerven gekostet, aber sich gelohnt, sagt Bernhard Paul, für den der Wohnraum eine Inszenierung ist: „Dazu gehört ein guter Ton, eine schöne Kulisse und gutes Licht.” Und da Neonlicht „jede Stimmung tötet” und die EU „der guten, alten Glühbirne” den Garaus gemacht habe, hat der Mann nebenbei 10.000 Exemplare auch dieser aussterbenden Spezies gebunkert. Nicht der erste Tod von Kulturgut, findet er, den EU-Richtlinien, von denen er viele schlichtweg für „unmoralisch” hält, zu verantworten haben: „Auch die viel zitierte Energieeinsparung durch die neuen Birnen ist so einfach nicht wahr – sie gilt nur bei Dauerbeleuchtung, nicht aber bei einem bewussten Umgang mit dem Licht.” Nichts brauche die Welt so sehr wie Kultur, um „lebens- und liebenswert” zu sein. Und der „gute Clown”, so einer wie Charlie Chaplin, gehöre unbedingt dazu: „Jemand, über den das Kleinkind und der Intellektuelle in derselben Sekunde lachen.” Zur Kultur, die „nicht vom Planeten verschwinden darf”, gehören auch all die Dinge, die er sammelt oder sonst wie vor dem Untergang rettet. Wie das historische Spiegelzelt, dem Bernhard Paul 1990 wieder Leben einhaucht, indem er erstmalig Kunst und Kulinarisches verbindet und mit Alfons Schuhbeck und Hans-Peter Wodarz die Welle der „Erlebnis-Gastronomie” auslöst.
Oft kopiert, hat Bernhard Paul auch schmerzhafte Erfahrungen mit Trittbrettfahrern machen müssen, die seine Ideen als ihre verkauften: „Damit muss man leben lernen.” Weil er selbst weiterhin auf den eigenen, unverwechselbaren Akzent setzt, hat er kürzlich auch seine Töchter aus der Schule genommen und lässt sie privat unterrichten: „Die verdummen sonst.” Habe er in seiner Schulzeit etwa alles daran gesetzt, „anders” zu sein, auch durch die Kleidung – „Wir haben uns Glockenhosen (Schlaghosen) extra umgeschneidert” –, würden Kinder heute zur Konformität erzogen: „Alles muss eine bestimmte Marke sein.” Seine Kinder sollen andere Dinge lernen, sagt Bernhard Paul: „Individualität und Sensibilität, Ethik und Ehrlichkeit.”