Reiskörner liegen zwischen den Pflastersteinen auf dem Platz vor dem Rathaus von Artà. Hier muss kürzlich erst eine Hochzeit stattgefunden haben. Auch an diesem Mittwochmorgen haben sich mehrere Leute eingefunden. Allerdings haben die nichts zu feiern. Sie werden enteignet.
Wie Klaus Viehof. Der Unternehmer aus Mönchengladbach besitzt eine große Finca in Artà und ist an diesem Morgen ebenfalls ins Rathaus zitiert worden. Er ist nicht alleine gekommen, sondern hat einen Anwalt, den Verwalter seines Anwesens und einen weiteren Mann mitgebracht. Wird das Zug-Projekt wie geplant umgesetzt, rattert die Bahn bald nur wenige Meter an seinem Haus vorbei. Einen Rest Hoffnung, das Projekt doch noch stoppen zu können, hat er aber. "Vielleicht kommen die Politiker ja zur Besinnung."
Obwohl die Finanzierung des Großprojektes noch unklar ist, will die balearische Mitte-Links-Regierung in Palma die alte Bahntrasse im Inselosten unbedingt wieder in Betrieb nehmen. Die Bauarbeiten sollen schon im kommenden Frühjahr beginnen. Von Manacor bis nach Artà führen die Gleise, genutzt werden sie aber schon seit den 70er Jahren nicht mehr. Damals wurde der Zugverkehr mangels Bedarf eingestellt. Entlang der Bahnlinie sind seitdem Dutzende Villen entstanden, Häuser, Gärten, Pools, mal ganz nah an den Gleisen, mal etwas weiter weg. Viele Deutsche haben sich hier den Traum von der Immobilie im Süden verwirklicht - der für viele von ihnen längst zum Albtraum geworden ist.
Seit Monaten zieht sich das Enteignungsverfahren nun schon hin. An diesem Mittwochmorgen sind die Betroffenen vorgeladen, um detailliert Auskunft über die Beschaffenheit ihrer Grundstücke zu geben. Aufgrund dieser Daten wollen die Eisenbahngesellschaft und das balearische Verkehrsministerium den tatsächlichen Umfang der Entschädigungszahlungen bestimmen. Eingeplant hat das Ministerium 3'4 Millionen Euro. Für mehr als 400.000 Quadratmeter Grund und Boden, die in Staatsbesitz übergehen sollen. Macht gerade einmal 8'50 Euro pro Quadratmeter. "Für viele geht es hier um Millionen", sagt einer der Betroffenen. Waren die meisten der Fincas entlang der alten Bahnlinie bisher stolze Summen wert, dürfte so manche in Zukunft praktisch wertlos sein. "Wer kauft schon ein Haus, wenn durch den Vorgarten der Zug fährt?", fragt sich eine Frau.
Den Betroffenen geht es in erster Linie um ihr Eigentum. Aber nicht nur. "Wenn es ein allgemeines Interesse gibt, dann müssen Einzelinteressen zurückstehen", findet ein Betroffener, dessen Pool demnächst dem Zug geopfert werden könnte. Dieses allgemeine Interesse aber sei schlicht und einfach nicht gegeben, kritisiert die Bürgervereinigung, die sich mittlerweile formiert hat und sich "Alternative zum Zug" ("Alternativa al tren") nennt.
Die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln sei im Inselosten gering, rentabel könne man die Bahn somit sicher nicht betreiben. Ein Ausbau des Busnetzes sei sinnvoller und angesichts moderner Fahrzeuge auch umweltverträglicher. Denn die Wiedereröffnung der Zugtrasse erfordere massive Eingriffe in die Natur. Damit Anwohner auch weiterhin auf ihre Fincas gelangen, müssen 42 Kilometern Straße gebaut werden. Die neue Bahnstrecke ist dabei nicht mal 30 Kilometer lang. "Der Zug würde den Inselosten zerschneiden", sagt eine Betroffene. Zwischen Son Servera und Artà seien gerade einmal zwei Bahnübergänge geplant. Da sich viele Fincas auf beiden Seiten der Gleise erstrecken, wird so mancher Anwohner in Zukunft lange Umwege in Kauf nehmen müssen, um vom einen zum anderen Ende seines Grundstücks zu gelangen.