Mallorca Magazin: Weihnachten ist eigentlich ein Fest der
Freude. Wie haben Sie es erlebt?
Antonio Salvá: Wir, die ganze Familie, haben Weihnachten auf dem
Festland verbracht. Meine Frau hätte es hier auf der Insel, ohne
Diego, nicht ausgehalten.
MM: Im frühen Herbst haben Sie einmal gesagt, dass Sie noch
immer nicht glauben können, dass Diego tot ist. Hat sich das
inzwischen geändert?
Salvá: Stück für Stück. Es ist unheimlich schwierig. Wenn ich zum
Beispiel am Friedhof vorbeifahre, fühle ich mich hundeelend.
MM: Sie sind als sehr religiös bekannt. Welche Rolle spielt
der Glaube bei der Bewältigung?
Salvá: Dass es uns im Großen und Ganzen gutgeht, hat einen
einfachen Grund: Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass das
Leben nicht auf dieser Erde endet. Das ist für mich eine Tatsache,
so wie es eine Tatsache ist, dass Sie mir in diesem Augenblick
gegenüber sitzen. Nur Dank dieser Gewissheit können wir die
Herausforderung bewältigen.
MM: Wird zu Hause über das Attentat gesprochen?
Salvá: Am Anfang haben wir viel darüber geredet; inzwischen nur
noch wenig. Wir besprechen die ganz normalen Dinge des Alltags.
MM: Blenden wir zurück auf den 30. Juli. Wie haben Sie von
dem Anschlag erfahren?
Salvá: Ich war beruflich auf Ibiza. Die erste Nachricht kam per
Telefon, das muss gegen 14 Uhr gewesen sein: Meine älteste Tochter
sagte, dass in Palmanova ein Attentat verübt worden sei. Daraufhin
rief ich die 112 und die Kommandantur der Guardia Civil an. Dort
wurde mir nur bestätigt, dass es zwei Tote gegeben habe. Das
Nächste, was mir einfiel, war Bekannte in der Umgebung von
Palmanova anzurufen, dann wieder die 112, dann die Vertretung der
Zentralregierung. Immer wieder wurden die beiden Toten bestätigt.
Aber Namen konnte keiner nennen.
MM: Wie wurde aus den Befürchtungen Gewissheit?
Salvá: Ein Oberstleutnant der Guardia Civil teilte mir per Telefon
mit, dass einer der Ermordeten mein Sohn sei. Das muss gegen 15.30
Uhr gewesen sein. Ja, so war das.
MM: Ihre erst Reaktion?
Salvá: Ich habe gebetet. Und dann kam eine Lawine von Anrufen - bis
der Aku des Handys leer war.
MM: Was für ein Mensch war Diego?
Salvá: Diego war ein Junge, der als Schüler nicht gerade
brillierte. Mit 16 ging er von der Schule und fing an zu jobben,
unter anderem als Wachmann. Und so reifte in ihm der Wunsch, zur
Polizei zu gehen. Jetzt lernte er richtig - und erfüllte die alles
andere als leichten Aufnahmebedingungen für die Guardia Civil.
MM: Den Tag seiner Aufnahme müssen Sie doch
verfluchen?
Salvá: Nein, jeder Mensch muss ein Ziel haben. Wenn er dieses Ziel
erreicht, ist es eine Art Selbstverwirklichung. Außerdem glaube ich
an das Schicksal: Wäre Diego nicht durch die ETA-Bombe gestorben,
wäre es auf eine andere Weise geschehen.
MM: Diego war gerade von einem schweren Motorradunfall
genesen.
Salvá: Er hatte 23 Tage im Koma gelegen, nach einem unverschuldeten
Unfall. Das Motorradfahren war seine große Leidenschaft, er hatte
sogar eine Rennmaschine.
MM: Macht es einen Unterschied, ob der Sohn durch einen
Unfall oder ein Attentat stirbt?
Salvá: Ganz klar ja. Ein Unfall ist ein Unfall, so tragisch er sein
mag. Aber das Attentat ist ein Anschlag auf die Polizei, die
Gesellschaft, den Staat. Mein Sohn ist ein Held geworden.
MM: Hatten auch Sie geglaubt, dass Mallorca aufgrund der
Insellage vor der ETA sicher sei?
Salvá: Das habe ich in der Tat geglaubt. Und ich kenne die ETA,
weil ich lange Zeit in Navarra und im Baskenland gelebt habe. Ich
bin auch überzeugt davon, dass die Täter einen Zeitzünder verwendet
haben, um noch vor dem Attentat wieder von der Insel verschwinden
zu können. Sonst wären sie geschnappt worden.
MM: Waren die Polizisten ausreichend geschützt?
Salvá: Technisch kann ich die Frage nicht beantworten. Mag sein,
dass man zu entspannt war, eben weil man glaubte, dass hier so
etwas nicht passieren könnte. Das ist das Absurde: Weil wir uns
sicher wähnten, konnten sich auch die Mörder sicher fühlen.
MM: Aber sie sehen keine Mitschuld der Behörden?
Salvá: Nein, Schuld tragen nur die Mörder.
MM: Nach dem Attentat gab es eine ganz Reihe von öffentlichen
Ehrungen. Wie erleben Sie diese Veranstaltungen?
Salvá: Ich nehme daran teil, weil sie eine Anerkennung der
Gesellschaft darstellen - gegenüber meinem Sohn, nicht gegenüber
mir oder meiner Familie. Aus demselben Grund habe ich zugestimmt,
dass Diego ein Staatsbegräbnis erhält, was ich anfangs abgelehnt
hatte.
MM: Sie haben nicht das Gefühl, dass die Politiker Sie für
ihre Zwecke benutzen?
Salvá: Nein. In Wahrheit haben sich die Politiker - vor allem die
auf Mallorca - rührend um uns gekümmert. Sie haben uns nicht
alleine gelassen, und dafür bin ich ihnen dankbar.
MM: Bei einer Gedenkfeier in Vitoria sorgten Sie für
Schlagzeilen. Was ist geschehen?
Salvá: Vitoria war beeindruckend, weil die Angehörigen der Opfer,
begleitet von führenden Politikern, erstmals ohne Zensur öffentlich
im Territorium der ETA und ihrer Helfer reden konnten.
MM: Und Sie haben das Wort erhoben...
Salvá: Ich habe eine Botschaft an die jungen Basken gerichtet und
sie aufgefordert, in den Spiegel zu schauen. So wie die Deutschen,
die sich ihrer Nazi-Vergangenheit schämen. Und ich sagte: Es liegt
in euren Händen, ob sich eure Kinder einmal für euch schämen oder
stolz auf euch sein werden. Den Nazi-Vergleich habe ich gezogen,
weil mich die Methoden des ETA-Umfeldes an Methoden der
Nationalsozialisten erinnern.
MM: Ist die ETA zu besiegen?
Salvá: Ja. Das wäre sogar ohne Polizeigewalt möglich. ETA ist eine
Kultur des Hasses, ähnlich wie bei Palästinensern und Israelis.
Schon unter den Kindern wird der Hass gegen alles Spanische gesät,
die Straßenschlachten sind die "Ausbildung" und der Mord die
"Doktorarbeit". Die Gesellschaft reagiert, wenn sie töten, müsste
aber an die Wurzeln gehen, die Erziehung.
MM: Wie wichtig ist es für Sie, dass die Mörder Diegos
gefasst werden?
Salvá: Das hätte eine psychologische Wirkung, vielleicht wären wir
etwas ruhiger. Wichtiger ist jedoch, dass sie gefasst werden, um
nicht weiter morden zu können.
MM: Ein Wunsch zum neuen Jahr.
Salvá: Dass Carlos und mein Sohn nicht vergessen werden - und wir
die Guardia Civil und die Nationalpolizei moralisch unterstützen.
Die Beamten sind bereit, ihr Leben für jeden Einzelnen von uns zu
geben.
Die Fragen stellte Bernd Jogalla