Nicht besser oder schlechter. Anders. Auf diese Formel lässt sich die Selbsteinschätzung vieler Mallorquiner bringen, fragt man sie nach der spezifischen Mentalität ihrer Landsleute. Was zumeist folgt, ist eine sehr differenzierte Analyse, denn nichts scheint „dem” Mallorquiner so unangemessen wie lasche Pauschalurteile über „sein” Volk. Und doch, das ergab die aktuelle MM-Befragung, eines ist über jeden Unterschied und Zweifel erhaben und eint alle Mallorquiner: Die Liebe zu „ihrer” Insel.
Die zeichnet auch Barbara Sastre aus, 1971 in Binissalem geboren – in einer durch und durch mallorquinischen Familie, in die es seit Generationen noch nicht einmal ein Festlandspanier „geschafft” hat, wie sie lachend erzählt. Und doch wird die promovierte Linguistin, die ihre Doktorarbeit über „Sprachliche Integration der deutschen Bevölkerung auf Mallorca” geschrieben und neun Jahre in Hamburg gelebt hat, von ihren Landsleuten ein bisschen anders wahrgenommen: „Es una mallorquina que ha viajado” – eine Mallorquinerin, die gereist ist und „ihre” Insel auch aus der Distanz gesehen hat.
Kultur und Sprache seien nicht zu trennen, so Barbara Sastre, und ein bilinguales Volk wie die Mallorquiner habe natürlich seine ganz eigenen Charakteristika. Hinzu komme die Insellage – „Weniger Einflüsse von außen” –, die zweifellos auf die Mentalität der Mallorquiner abgefärbt habe. Wie auch ihre wechselhafte Geschichte als ständig von anderen Herrschern und Kulturen besetztes Eiland: „Sicherlich ein Grund für die Mischung aus Großzügigkeit und Reserviertheit, die den Insulaner auszeichnet.”
Es sei wohl auch historisch bedingt, dass der Mallorquiner Zeit brauche, um neue Menschen in seinen Kreis einzuschließen – hier glaubt die studierte Germanistin Parallelen zu der norddeutschen Mentalität zu erkennen: „Es dauert zwar länger, kommt dann aber von Herzen.” „Gewisse” Fragen beim Kennenlernen – „Etwa nach Ehe- oder Singlestatus” – seien für den Mallorquiner tabu: „Er fällt nicht gleich mit der Tür ins Haus.” Eine „sehr feine Art mit Menschen umzugehen”, findet die Linguistin. Auch sie sei als Kind zu einer großen Zurückhaltung erzogen worden – „Vor allem wenn wir zu Besuch bei fremden Leuten waren” – , die an Bescheidenheit grenze: „Der Mallorquiner kann warten.”
Und doch: Folgen der globalen Entwicklung seien auf einer Insel grundsätzlich schneller auszumachen: „Seit Beginn des Massentourismus in den 1960er Jahren mussten die Insulaner ständig um die Balance zwischen der Adaption neuer Lebensformen und dem Erhalt alter Traditionen ringen.” Das prägt – auch den Sinn für Familienzusammenhalt, der bis heute beim generationsübergreifenden Sonntagsessen zelebriert wird.
Einige Traditionen halten sich auf einer Insel eben länger – es wird ihnen ja auch leichter gemacht, findet die Wissenschaftlerin. Wer mal eben von Hamburg nach München wolle, setze sich einfach ins Auto: „So spontan entscheidet sich wohl kaum einer für einen Flug von Palma nach Barcelona.” Vielleicht aber auch deshalb, weil das Bedürfnis hier eher selten ist, denn das hat auch Barbara Sastre immer wieder festgestellt: „Die Mallorquiner mögen Mallorca.”
Bei der Vielseitigkeit der Insel ja auch kein Wunder. Und doch hat der Fischer am Meer eine ganz andere Mallorca-Geschichte zu erzählen als der Bauer im Inselinneren, die alte Dorfbewohnerin findet anderes bemerkenswert als die junge Austauschstudentin. In einer globalisierten Welt wird die Definition von Nationalität immer komplexer. Geburtsort, Sprache, gemeinsame Sozialisation, Geschichte, Tradi-tion: Die Kriterien für das Gefühl von Zugehörigkeit ändern sich von Mensch zu Mensch – das zeigt auch die MM-Befragung. Mallorquiner halten sich zudem gern noch „ein Türchen offen”. Schon beim Autofahren geben sie nur ungern vorzeitig die angepeilte Richtung per Blinker preis. Ob das nun besser oder schlechter ist? Auf jeden Fall: anders.