VON ALEAXANDER SEPASGOSARIAN
Mallorca, 1. April. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Fotografien ausschließlich schwarz-weiß waren, mit Aufnahmen gestochen scharf, wie sie heute kaum zu finden sind. Die Rede ist von alten Postkarten, die eine deutsche Urlauberin vor genau 80 Jahren auf Mallorca nach Deutschland schrieb. Tourismus auf der Insel, das gab es schon 1930, und Freud' und Leid unterschieden sich schon damals kaum von heute, auch wenn manches sehr wohl anders war als in der Gegenwart. Mit „Meine liebe Schwester” begann jedes Schreiben an eine Frau Hildegard Becker in Brandenburg an der Havel. Am 5. März 1930 wurde auf einer Ansichtskarte, die Palmas Kastell von Bellver zeigt, berichtet:
Wir sind nach vielen Fährnissen, die ich Dir im Brief erzählen muss, hierhergekommen, sind heute schon so braun gebrannt, daß wir fast Sonnenbrand haben, es ist wunderschön hier, wir wollen übermorgen nach Pollensa fahren, um dort nach Quartier zu fragen, sonst bleiben wir im Terreno, es ist entzückend dort.
El Terreno, heute völlig verbaut und vom offenen Meer durch den Paseo Marítimo und den Hafen abgeschnitten, war einst Palmas Sommervillen- und Ausländerkolonie, mit vielen Pensionen und kleinen Hotels, samt dem Badestrand in Can Bàrbara, wo sich heute das In-Lokal Garito befindet.
Der Abstecher der deutschen Urlauberin nach Pollença fand tatsächlich statt. Am 19. März, also gut zwei Wochen nach ihrer Ankunft auf Mallorca, schrieb sie auf einer Karte mit dem Kloster Lluc als Motiv:
Gestern sind wir von Pollensa auf schönen Wegen nach Gorch Blau, einem schönen Felsental, gewandert, dann abends in dies Kloster und zur Übernachtung – für umsonst – sowas gibts auch, und wunderschön, heute geht's auf sehr schönen anderen Wegen zu Fuß nach Pollensa zurück. Freitag fährt Fräul. Wäntig ab, ich werde wohl noch bis Dienstag bleiben.
Die in Escorca, der Ortsgemeinde von Kloster Lluc abgestempelte Postkarte belegt, dass Wandertourismus auf Mallorca seine Freunde hatte, lange bevor Golfer und Radfahrer zu den hofierten Urlaubern der balearischen Tourismusbehörden avancierten. Das Gorg-Blau-Tal lässt sich indes nicht mehr durchwandern, eher durchschwimmen. Dort wurde 1971 der Stausee errichtet. Dafür lässt es sich heute noch im Kloster Lluc übernachten, auch wenn die Gratiszeiten längst vorbei sind.
Zwei Tage nach ihrem Besuch dort schrieb die Urlauberin am 21. März 1930 eine dritte, erhalten gebliebene Postkarte, die einen alten Olivenbaum zeigt:
Wie wir gestern, Mittwoch, von unserem 2 tägigen Ausflug nach Kloster Lluch zurückkamen, fand ich Deine Karte vor, herzlichen Dank dafür, habe ich doch auch wenigstens 1 x Post erhalten, Fräul. Wäntig hat schon 3 Briefe gehabt – ich war schon neidisch. Wir sind von Barcelona bis Palma mit dem Küstendampfer „Mallorca” gefahren, einem ganz neuen schönen, ziemlich großen Schiff. Auf der Karte ist ein Olivenbaum, je älter sie werden, je verkrümmter u. absonderlicher wachsen sie, manchmal sieht man so riesige Gärten – mehrere Morgen groß, solcher Baumkrüppel, ordentlich ein Kinderschreck. Viele herzliche Grüße sendet Deine Schwester.
Wie jeder Urlaub ging auch dieser zu Ende. Was dann folgte, waren Spanischer Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg, der Fall des Eisernen Vorhangs, die Terroranschläge von New York... Geblieben sind die Postkarten und die Olivenbäume.