Körperkontakt, sagt Barbara Sastre, sei in südlichen Ländern ja sowieso deutlich verbreiteter als in nördlichen Gefilden. Über die Gründe ließe sich trefflich spekulieren: Mehr Sonne, mehr Haut – mehr Berührung? Wie rechts nicht zu übersehen, steckt hinter der typisch spanischen Begrüßungsform oft allerdings eher ein „Luftkuss”: Richtig geschmatzt wird nur unter echten Freunden, und dann – wenn schon, denn schon! – gern mal auch gleich auf den Mund. Für die promovierte Linguistin, die ihre Doktorarbeit über „Sprachliche Integration der deutschen Bevölkerung auf Mallorca” geschrieben hat, sind vor allem die Feinheiten zwischen den Sprachgebräuchen faszinierend, sagen sie doch viel über die – oft unbewussten – Werte eines Kulturraums aus. Das Distanz herstellende „Sie” etwa, so Barbara Sastre, solle unterschwellig natürlich auch „Respekt” transportieren, nur: „Wer den anderen siezt, ist ihm gegenüber nicht zwangsläufig auch respektvoller.” In Spanien sei es daher absolut unüblich, Menschen, mit denen man auf privater und/oder Alltagsebene verkehre – die Tagesmutter etwa, andere Mütter auf dem Spielplatz, Nachbarn oder Arbeitskollegen – zu siezen. Auch in ursprünglich „geschäftlichen” Kontakten, die durch wiederholte Treffen „semi-persönlich” werden – Arzt und Patient etwa, Lehrer und Schuldirektor – gehe man relativ schnell zum „Du” über, ohne dass das gleich den Beginn einer tiefen Freundschaft signalisiere: „Darin besteht aber auch der Unterschied zum Deutschen – das ,Du' ist hier deutlich unverbindlicher.” Man denke nur das früher in Deutschland so beliebte wie bedeutungsschwangere „Brüderschafttrinken”, das mit einem offiziellen Küsschen (!) besiegelt wurde: Das sollte was fürs Leben sein.
Ganz anders in Spanien. Das „Du“ signalisiert hier schlichtweg: Man kennt sich. Deutsche, die sich auf Mallorca das schnelle „Du” angeboten haben, werden nicht selten desillusioniert, wenn die neue „Freundschaft” nicht hält, was sie versprochen hat – und der Rückweg zum „Sie” nun verbaut ist.
Andere Länder, andere Sitten: Im Gegensatz etwa zu Italienern geben spanische Männer einander keine Wangenküsse bei der Begrüßung – eine kumpelhafte Umarmung, auch wenn man(n) sich noch nicht besonders gut kennt, ist hier aber schneller drin als unter Deutschen. Wichtig findet Linguistin Sastre, dass man die verschiedenen Eigenarten (an)erkennt, ohne sie zu bewerten: „Wer etwa ein ,Du' beim Kennenlernen als ,respektlos' interpretiert, missversteht den Spanier gründlich.” Über Respekt oder das Fehlen desselben sagten oftmals nonverbale Signale viel mehr aus: Ton, Lautstärke, Mimik und Gestik. Spracherwerb, so Barbara Sastre, bedeute ja primär nicht „Vokabeln, Konjugationen oder Deklinationen zu lernen, sondern eine neue Kultur zu entdecken, die ihre ganz eigenen Werte und Qualitäten besitzt.” Und gerade die führten oft genug zu den typischen Missverständnissen beim Austausch von Höflichkeitsformen: So neigen nicht wenige Deutsche zu einem gewissen „Perfektionismus”, möchten „gern alles richtig machen” – und fragen sich bei der Begrüßung, welche Wange denn nun zuerst „dran” ist. Das wiederum sieht der Spanier erneut viel unkomplizierter: Hauptsache, locker! Den anderen genauer wahrnehmen, verstehen wollen, das Anderssein schätzen: Das sind für Barbara Sastre wichtige Eckpunkte, soll die bilinguale Begegnung gelingen. Gerade die Verschiedenheit berge den Reiz, die Bereicherung: „Auch wenn sich sprachliche Grenzen immer weiter öffnen: Einige Urbegriffe, die sich in einer Sprache bewährt haben, werden in andere übernommen: Kindergarten, Biergarten, Handy. So wie eine Paella eine Paella ist – und keine Reispfanne.” Mit „Stolz” auf die eigene Sprache habe das nichts zu tun, eher mit Humor und Toleranz: „Primäres Ziel einer Sprache ist schließlich das Verstehen.” Darum bietet es sich auch an, bei anfänglichen Unsicherheiten im Umgang mit einer neuen Sprache und ihrer Kultur, schlichtweg eines zu tun: nachzufragen. Das signalisiert Interesse wie Respekt. Und vor allem: Menschlichkeit.