Mallorcas Kreuzberg heißt Son Gotleu. Dass Mallorca längst eine multikulturelle Gesellschaft ist, lässt sich nirgends besser beobachten, als in diesem Stadtteil Palmas. Jeder vierte Bewohner ist Nichteuropäer, ganze Straßenzüge sind fest in Händen von Marokkanern, Schwarzafrikanern und Chinesen. Obendrein lebt hier der Großteil der mallorquinischen Gitanos. Hier ist Multikulti eine Realität. Auch wenn das Zusammenleben längst nicht immer friedlich verläuft. Oft reicht ein Funke, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen.
Mallorca ist in den vergangenen Jahren von einer Einwanderungswelle erfasst worden, die das Gesicht der Insel grundlegend verändert hat. Laut einer Studie der Balearen-Universität werden auf den Inseln 160 Sprachen gesprochen. Jeder Fünfte ist mittlerweile Ausländer, in den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der Immigranten auf der Insel verfünffacht. Vor allem der Boom der Bauwirtschaft und der Bedarf an billigen Arbeitskräften haben diese „Völkerwanderung” ausgelöst.
Eine Integrations-Debatte, wie sie derzeit in Deutschland geführt wird, gibt es hierzulande trotzdem nicht. Ein mallorquinischer Thilo Sarrazin existiert nicht. Zumindest lässt sich hier die Verbissenheit nicht beobachten, mit der in Deutschland um „Multikulti”, Leitkultur und Integrationsleistungen gerungen wird – was vermutlich auch daran liegt, dass rechtsextreme Parteien mit ausländerfeindlicher Propaganda in Spanien kaum in Erscheinung treten. Bislang gelangt das Thema nur dann auf die Tagesordnung, wenn Konflikte eskalieren, die das Zusammenleben mit sich bringt. Oder wenn Wahlen anstehen. Dann fordern vor allem Vertreter der konservativen Parteien gerne die Begrenzung der Einwanderung. Nach dem Motto: Die Insel ist voll. Wohl wissend, dass Mallorca – wie jede andere Region Europas – in den kommenden Jahrzehnten aus demografischen Gründen eher mehr Zuwanderung brauchen wird als weniger. „Andere Länder haben sicher sehr viel größere Probleme mit der Integration”, sagt Bartomeu Aguilar, Sozialist und Direktor für Fragen des Zusammenlebens beim Inselrat. „Die Mallorquiner sind grundsätzlich bereit, Immigranten aufzunehmen.” Einst seien es schließlich Mallorquiner gewesen, die sich gezwungen sahen, ihre Insel zu verlassen und in der Fremde ihr Glück zu versuchen. Man begegne den Immigranten mit Verständnis, so Aguilar, habe aber durchaus Forderungen an sie: „Wir leben in einer modernen und demokratischen Gesellschaft. Das muss jeder Immigrant akzeptieren und respektieren. Jeder muss seine Bürgerpflichten erfüllen.” Die Einwanderer dürften sich nicht abschotten und müssten sich in Nachbarschaftsvereinen und Organisationen engagieren, um so am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Andererseits kann hier jeder seine Religion frei ausüben und seine religiösen Symbole tragen.” Über ein Schleierverbot zu diskutieren sei beispielsweise „lächerlich”. „Es gibt kaum verschleierte Frauen auf Mallorca.”
Bei allem Verständnis: Vorbehalte gegenüber Immigranten gibt es in der Bevölkerung trotzdem. So belegen Studien und Umfragen, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus Ablehnung und Verlustängste gibt. Abfällige Äußerungen über „Guiris” (Ausländer aus Nordeuropa), „Negros” (Schwarze), „Sudacas” (Südamerikaner) oder „Moros” (meist Marokkaner oder Algerier) sind alltäglich. Besonders Moslems begegnen großen Vorbehalten. Dennoch: Dass sich Ausländerhass öffentlich entlädt, ist eine große Ausnahme.
Dabei belastet die Immigration fraglos das soziale Gefüge der Insel. Ausländer, die Arbeit auf Mallorcas Baustellen hatten, sind von Krise und Verlust des Arbeitsplatzes besonders betroffen. Statistiken belegen nicht nur dies, sondern auch die mangelhafte Integration ins Bildungssystem. Laut einer im vergangenen Sommer von der Gewerkschaft CCOO (Comisiones Obreras) veröffentlichten Studie ist die ohnehin hohe Schulabbrecherquote unter ausländischen Jugendlichen noch deutlich höher als unter spanischen. Auch in Mallorcas Kriminalitätsstatistik stellen Ausländer einen leicht überdurchschnittlichen Anteil.
Ein wesentlicher Grund, warum die Auswirkungen der Immigration auf Mallorca dennoch ein Randthema sind, dürfte der sein, dass es dabei kaum ums Geld geht. Denn in Deutschland ist die Integrations-Debatte auch eine Neid-Debatte: Ausländer richten es sich mit den deutschen Sozialleistungen wie Hartz IV und Kindergeld gemütlich ein – das schwingt bei Sarrazin & Co. stets mit. Dieser Aspekt aber fällt auf Mallorca gänzlich weg: Es existiert kein soziales Netz, das einem auch ohne Anstrengung ein gedeihliches Auskommen garantieren würde.
Und so spielen die Verantwortlichen auf Zeit. „Die heutigen Integrations-Probleme werden sich schon mit der nächsten, hier geborenen Generation von alleine erledigen”, sagt Bartomeu Aguilar. „Wir müssen einfach nur Geduld haben. Integration ist eine Frage der Zeit.”