Beschwerden über Spaniens staatliches Gesundheitssystem gehören auf Mallorca schon fast zum guten Ton. Schauergeschichten über schlechte Behandlung, endloses Irren durch den Behördendschungel oder unfreundliche Ärzte hat fast jeder auf Lager. Meist sind es aber lange Wartezeiten, die für Ärger sorgen.
Der Weg vom Hausarzt über den Spezialisten bis zur ersten Diagnose kann gut und gerne mehrere Wochen in Anspruch nehmen - und die Behandlung hat dann noch gar nicht angefangen. Auf eine Operation müssen Patienten häufig gut und gerne ein halbes Jahr warten.
"Die Leute haben recht, wenn sie sich darüber beklagen", sagt Pilar Sánchez, die oberste Vertreterin der Patienteninteressen auf Mallorca. Sánchez ist die "Verteidigerin der Nutzer des öffentlichen Gesundheitssystems auf den Balearen" (Defensor dels Usuaris del Sistema Sanitari Públic de les Illes Balears) und zu ihren Aufgaben gehört es, Beschwerden von Patienten nachzugehen, die sich schlecht behandelt fühlen.
"Die langen Wartezeiten sind das Hauptproblem des spanischen Gesundheitswesens", sagt Sánchez. Fast die Hälfte aller bei ihr eingehenden Patienten-Beschwerden hätten mit Verzögerungen bei Untersuchungen, Behandlungen oder Operationen zu tun.
Auch die deutsche Botschaft in Madrid beschreibt in einem Merkblatt die "langen Wartelisten" als Hauptproblem des spanischen staatlichen Gesundheitswesens. Auf 100.000 Einwohner kämen nur 386 Krankenhausbetten - weniger als in jedem anderen EU-Staat. Während in Deutschland rund elf Prozent des Bruttoinlands-produktes ins Gesundheitswesen flössen, seien es in Spanien nur acht Prozent.
Auch Sánchez, die selbst lange als Krankenschwester und Ausbilderin im staatlichen Gesundheitswesen gearbeitet hat, kritisiert die Unterfinanzierung, besonders auf den Balearen.
Dies führe unter anderem zu ständigem Personalmangel. Während der Staat im spanienweiten Schnitt jährlich 1344 Euro pro Bürger in die Gesundheitsversorgung steckt, sind es auf den Balearen nur 1066 Euro - weniger als in jeder anderen Region. "Es müsste mehr investiert werden", sagt Sánchez.
Die Ursachen der Probleme aber liegen tiefer - und sind hausgemacht: Das spanische öffentliche Gesundheitswesen ist ausschließlich steuerfinanziert. Es gibt weder Monatsbeiträge noch sonstige Gebühren für die ärztliche Versorgung. Die Bürger empfinden das System demnach als kostenlos - und machen entsprechend häufig Gebrauch davon. In keinem anderen europäischen Land gehen die Menschen so oft zum Arzt wie in Spanien.
Pilar Sánchez nennt das "Hypernutzung". Viele Leute gehen statt zum Hausarzt einfach in die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses, weil sie wissen, dass sie sonst unter Umständen lange warten müssen. "Außerdem gehen gerade ältere Leute oft zum Arzt, nur weil ihnen da jemand zuhört, damit sie mit jemandem reden können", sagt Sánchez. Auch dies trage zur Überlastung des Systems bei.
Dennoch hält sie von den Plänen, eine Praxisgebühr nach deutschem Vorbild einzuführen, nichts. "Viele Leute, die wirklich zum Arzt müssen, könnten das nicht bezahlen", sagt sie. "Angesichts von 20 Prozent Arbeitslosen bin ich klar gegen eine solche Lösung." Sánchez setzt vielmehr darauf, unter den Bürgern das Verständnis für die Probleme zu fördern.
Wie in Andalusien könnten auf den Balearen auch sogenannte "Schattenrechnungen" (factura sombra) ausgestellt werden: Jeder Arzt händigt seinem Patienten nach der Behandlung eine Rechnung aus, die dieser zwar nicht bezahlen muss, auf der er aber erkennt, wie teuer die erbrachte Leistung das Gesundheitswesen zu stehen kommt. "So könnte man Bewusstsein schaffen."
Deutlich weiter geht in ihrer Kritik die unabhängige Patientenvereinigung El Defensor del Paciente, die unter anderem Daten zu Behandlungsfehlern im spanischen staatlichen Gesundheitswesen sammelt. "Im vergangenen Jahrzehnt haben sich die Patientenbeschwerden verdreifacht", heißt es im aktuellen Jahresbericht der Organisation.
2010 habe man landesweit 12.162 Fälle fehlerhafter Behandlung registriert, 554 endeten tödlich. "Uns gehen die Adjektive aus, um immer wieder die Mängel und den Verfall des spanischen Gesundheitswesens zu beschreiben", heißt es im Jahresbericht der Organisation.
Pilar Sánchez hält solcherlei Kritik für überzogen. "Das System hat viele Vorzüge", sagt sie: Das Personal sei sehr gut ausgebildet, die technische Ausstattung sei auf sehr hohem Niveau, 95 Prozent der Bevölkerung sei medizinisch versorgt und die Zugänglichkeit sei in sehr hohem Maße gewährleistet. "Ich bin eine überzeugte Verteidigerin des staatlichen Gesundheitswesens."
RAT FÜR PATIENTEN
Die Patientenberatung des balearischen Gesundheitsministeriums
(Defensor dels Usuaris del Sistema Sanitari Públic de les Illes
Balears) hat ihre Büroräume in Palmas Innenstadt, unweit der Plaça
d'Espanya, an der Straße Reina Esclaramunda 1, 3. Etage. Die
Bürozeiten sind werktags von 9 bis 13 Uhr. Internet: KLICK
Die Patientenvereinigung, die politisch unabhängig ist (El Defensor
del Paciente), hat ihren Sitz in Madrid und ist HIER im
Internet erreichbar.