Hätte Juana vom Obst- und Gemüsestand auf dem Olivarmarkt in Palma den Wikipedia-Eintrag zur Süßkartoffel geschrieben, würde dort Folgendes stehen: Die weiße Süßkartoffel ist ein mallorquinisches Urgewächs, eine Mallorquinerin sozusagen. Ganz klarer Fall. Deshalb verkauft Juana die roten Varianten erst gar nicht an ihrem Stand. Das seien südamerikanische Mitbringsel, sagt sie und wiegt die knorrigen, teils noch erdigen Knollengewächse in der silbernen Waagschale. Drei Euro pro Kilo verlangen sie und ihr Mann dafür. Sie kaufen die "Boniatos" bei einem Landwirt aus Sa Pobla, dem Kartoffel-Mekka der Insel.
Der Bauer aus Manacor, der frühmorgens auf dem Zentralmarkt Mercapalma seine Süßkartoffeln verkauft und mit der Hornbrille und dem ordentlichen Seitenscheitel eher einem Juristen gleicht, sieht das ein wenig differenzierter. Woher die Süßkartoffel, die er anbaut, genau stamme, das wisse er nicht. Die Samen und Setzlinge hat er von seinem Vater. Er verkauft die Moniato, wie sie in Manacor heißen, für zirka einen Euro das Kilo auf dem Großmarkt, rote und weiße. Der Markt sei relativ klein, zirka zwei- bis dreitausend Kilo jährlich setzt er ab. Die Anbaufläche, die er dafür hat, ist ebenfalls überschaubar.
Vom Geschmack her gleicht die Süßkartoffel einem Kürbis, ist leicht süßlich und gebraten oder im Ofen gebacken eine Köstlichkeit. März sei auf der Insel die beste Zeit zum Säen, wobei die kleinen Pflanzsetzlinge aus den Trieben guter Süßkartoffeln des Vorjahres gewonnen würden, erzählt der Landwirt aus Manacor zwischen den gestapelten Kisten mit Gemüse. "Wenn die sogenannten 'Augen' Triebe entwickeln, knippst man diese ab und pflanzt sie ein", erklärt er. Die Ernte erfolgt maschinell und von Hand. Die Grobarbeit des Aufpflügens erledigt ein Traktor, wobei man hier aufpassen muss, dass die Süßkartoffeln nicht zerschnitten werden. Das Herausklauben erfolgt dann von Hand. Die Triebe der Süßkartoffel wachsen gerne in die Breite.
Ein Verkäufer auf dem Oli-varmarkt ist eher zurückhaltend, was einen Boom der Süßkartoffel angeht. Tendenziell pessimistisch betrachtet er das Kaufverhalten der Leute im Allgemeinen. "Die Zahlen sinken", erzählt der Mann vom Gemüsestand. Das bestätigt auch der Landwirt aus Manacor.
Mark Schuback, Gourmet und Blogger zu allem, was lecker und frisch ist, lässt sich davon nicht beeindrucken. Der Deutsch-Ecuadorianer schwört auf die Boniato. "Ich liebe ihre Vielseitigkeit. Man kann sehr gut mit den verschiedenen Geschmacksrichtungen spielen und kreative Gerichte zaubern." Er persönlich bevorzugt die helle Süßkartoffel. Aber für Chips sei die rote fantastisch.
Was man mit der Süßkartoffel kulinarisch machen kann, ist so facettenreich wie ihre spanischen Namen: bataca, batata, boniato, buniato, camote, moniato, patata de Málaga, patata dulce y minina oder chaco. Die Boniato ist auf Mallorca ein typisches Wintergemüse. Oktober bis Frühjahr ist Boniato-Zeit.
Im Ofen, auch als Beilage zu Fleisch und Fisch, mit einem kräftigen Eintopf und Gemüse, so lieben die Insulaner diese Knolle. Aber auch knusprig ausgebacken und anschließend mit Puderzucker bestäubt ist sie als Bunyols eine typische mallorquinische Nachspeise. Der zäh-sämige Teig wird aus einer Mischung aus herkömmlichen Kartoffeln und Süßkartoffeln, Mehl, Eiern und Backpulver hergestellt. Mit leicht angefeuchteten Fingern bohrt man kurz vor dem Frittieren das Luft-Loch in die Teigmasse. Einmal wenden, abtropfen lassen und Puderzucker drauf. Dazu eine heiße cremige Schokolade und der Winter darf kommen.
(aus MM 3/2015)