Einem Adler gegenüberzustehen flößt Respekt ein. Das liegt nicht nur an seiner Größe. Es sind auch die forschenden Augen, der energisch gekrümmte Schnabel und die sehr kräftigen Krallen. Jetzt breitet der Adler seine Flügel aus und schwingt sich in die Höhe, 100 Meter, 200 Meter. Majestätisch ist sein Flug, leicht und elegant. Geschickt nutzt er die Windströmungen. Es ist ein Steinadler, etwa 75 Zentimeter lang mit einer Flügelspannweite von fast zwei Metern. Wie bei allen Adlern sind die Handschwingen stark gefingert.
Plötzlich taucht ein Rotmilan hinter einem Felsen auf und gibt ihm einen Hieb mit den Krallen. "Raus aus meinem Revier soll das heißen", erklärt Jaime Álvarez. Er ist Falkner. Jeden Tag lässt er seine Adler auf der 500 Hektar großen Finca Fartàritx über Pollença fliegen. Diesen Adler nennt er Capitán. Er ist zwei Jahre alt. Capitán dreht nach dem Hieb sofort ab. Er steigt weiter nach oben, 300 Meter, 400 Meter. Zwei Mönchsgeier erscheinen hinter ihm. Sie folgen ihm eine Weile und kehren dann um.
Álvarez lässt seinen Adler nicht aus den Augen. "Wie er das genießt", sagt er mit sichtlicher Freude. Er hat Capitán großgezogen und ihm das Fliegen beigebracht. Jeden Tag ein bisschen weiter und höher. Nach 20 Minuten pfeift Álvarez. Das Zeichen zur Rückkehr. Capitán mag aber noch nicht. Álvarez pfeift energischer und ruft: "Ho, ho, ho." Schließlich dreht Capitán bei, segelt in Kreisen herab und landet sicher auf dem ausgestreckten Arm des Falkners. Dort wartet ein Stückchen Fleisch auf ihn.
Nun ist Aquiles an der Reihe, auch ein Steinadler, aber erst acht Monate alt. Aquiles fliegt noch nicht so meisterlich wie Capitán. Er landet mehrmals in nahen Baumkronen, um Pause einzulegen. Sky dagegen, ein Kordillerenadler, schafft mit Bravour die Aufgabe, einen Lockruf in zwei Kilometern Entfernung zu hören und dorthin zu fliegen.
Vor jedem Flug wird den Adlern ein Sender am Rücken befestigt. "So können wir sie bis zu 30 Kilometer weit orten, falls sie sich doch einmal verirren", erklärt Manuel Pérez, der zweite Mann im Team, ebenfalls Falkner. Auch das Jagen bringen sie den Greifvögeln bei. "Wir sind für sie ihre Eltern. Sie binden sich an uns", meint Pérez. Die ausgebildeten Tiere werden zur Jagd und zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. "Wenn jemand zum Beispiel eine Kaninchen- oder Möwenplage hat, kommen wir." Das sei natürlicher, als die Tiere abzuschießen - und mache keinen Lärm. Nicht alle Kaninchen oder Möwen müssten gejagt werden. Die Präsenz von Greifvögeln verscheuche sie bereits.
Nach dem Flug nehmen die Falkner den Adlern den Sender ab und ziehen ihnen eine Lederhaube über den Kopf, die ihre Augen bedeckt. So seien sie während des Transports ruhiger.
In freier Natur kommen auf Mallorca drei Arten von Adlern vor: Habichts-, Fisch- und Zwergadler. Der mit 55 bis 65 Zentimetern Länge mittelgroße Habichtsadler besitzt ein braunes Gefieder mit weißen Stellen. Charakteristisch ist die dunkle Färbung am Rand der Federn, die wie ein Band aussieht. Seit den 70er Jahren waren Habichtsadler auf Mallorca ausgestorben. Die massive Jagd, Pestizide in der Landwirtschaft und besonders Stromkabel hatten dafür gesorgt.
2011 begann die Wiederansiedlung. Sie sei sehr wichtig, denn als Raubvogel, der an der Spitze der Nahrungskette steht, trage er wesentlich zum ökologischen Gleichgewicht der Insel bei, betont Joan Mayol vom balearischen Artenschutzamt. Gleiches gilt zwar für den Steinadler, der bereits in den 1950er Jahren auf Mallorca ausstarb. Doch weil er in der Lage sei, auch größere Tiere wie Schafe zu jagen, zögere man mit der Wiedereinführung, meint Mayol. Die Falkner Álvarez und Pérez widersprechen. In freier Wildbahn töte ein Steinadler kein Schaf. Er brauche nicht so viel Fleisch und ziehe ohnehin leichte Beute vor.
Das Projekt "Life Bonelli" zur Wiedereinführung des Habichtsadlers wird - kofinanziert von der EU - noch mindestens bis 2017 laufen. Das Verfahren ist aufwendig. "Küken aus Aufzuchtstationen oder Andalusien, wo es viele Exemplare gibt, werden in künstlichen Nestern untergebracht und dort von Pflegern ernährt, ohne dass sie diese sehen", erklärt Mayol. Wenn sie in der Lage sind zu fliegen, würden sie mit Sendern ausgestattet und weiterhin gefüttert, bis sie jagen könnten. "Hacking" nennt man das.
Aktuell gebe es 19 fliegende Jungadler und zwei brütende Pärchen, wahrscheinlich sogar vier. Das Ziel seien zehn brütende Pärchen. "Aber das entscheiden die Adler. Wenn es zu viele gibt, jagen sie die jungen Tiere fort, aufs Festland oder nach Menorca."
Die Hauptgefahr stellten nach wie vor Strommasten dar. Bereits seit 2004 existiere eine Kooperation mit der Elektrizitätsgesellschaft Endesa, um zu verhindern, dass Vögel an den Stromleitungen tödlich verunglücken. Davon sind neben Habichtsadlern auch Fischadler und Rotmilane betroffen. Vielfach würden Leitungsverläufe geändert, Kabel tiefer gelegt und Abdeckungen angebracht. Doch da müsse noch viel geschehen, betont Mayol.
Aus den gleichen Gründen wie der Habichtsadler war der Fischadler auf Mallorca schon fast ausgestorben. In den 80er Jahren lebten nur noch an der Nordküste einige Exemplare. Dank eines 2007 initiierten Schutzprogramms hat sich die Population stabilisiert. "Zwischen 20 und 24 brütende Fischadlerpärchen gibt es. Sogar an der touristisch sehr erschlossenen Küste von Calvià sind sie", freut sich Mayol. Entscheidend sei die Sicherung von Strommasten an der Küste gewesen. Der Fischadler ernährt sich, wie sein Name sagt, von Fischen. Auffällig ist sein an der Oberseite dunkles, unten schneeweißes Federkleid.
Am besten geht es dem Zwergadler, einer Art kleinen Ausführung des Habichtsadlers. Typisch für ihn ist die Befederung bis an die Krallen. Er baue seine Nester vor allem in Felsen, aber auch in Bäumen, und sei auf der ganzen Insel zu finden, sagt Mayol. Mehr als 100 Pärchen gebe es sicherlich davon.
(aus MM 13/2016)