Er ist dick, kurvig und ein richtiger Hingucker. Tagsüber gibt es kaum einen Moment, in dem sich kein Tourist mit ihm ablichten lässt, abends lassen sich verliebte Pärchen von seinem märchenhaft-knorrigen Stamm verzaubern: Der Olivenbaum an Palmas Rathausplatz mitten im Zentrum der Stadt ist wohl der bekannteste Baum auf ganz Mallorca. "Olivera de Cort" nennen ihn die Mallorquiner. Die Balearen-Regierung schätzt sein Alter auf 500 bis 600 Jahre. Aufgewachsen in Pollença und umgepflanzt nach Palma im Jahr 1989, ist der Baum mittlerweile sechs Meter hoch, sein Stamm sieben Meter dick.
"Ein paar Hundert Jahre hat er hoffentlich noch vor sich, es gibt Olivenbäume, die mehr als 1000 Jahre alt werden können", sagt Rafel Mas. Er ist Generaldirektor der Naturschutzabteilung im Umweltministerium der Balearen-Regierung. Hier kennt man fast alle Bäume, die dem "Olivera de Cort" auf den Balearen Konkurrenz machen. In dem Katalog "einzigartige Bäume" wird jeder Einzelne vorgestellt.
"Unser Ziel ist es, Bäume besonders zu schützen, die durch ihr Aussehen, ihre wissenschaftliche Relevanz oder ihre kulturelle Bedeutung einzigartig sind", so Mas. 46 Exemplare aus Mallorca haben es in den Katalog geschafft, allen voran wird die "Pi de sa Pedrissa" vorgestellt - im Vergleich zu der "Olivera de Cort" mit ihren rund 150 Jahren ein junger Spund. "Aber ihre Form ist auffällig und ihr Platz prominent. Sie sieht aus wie ein großer Sonnenschirm", so Rafel Mas. Tatsächlich ragt die Mittelmeerkiefer an der Landstraße zwischen Valldemossa und Deià 18 Meter in die Höhe und besticht nicht durch märchenhaftes Flair, sondern durch Imposanz. "Es gibt keine allgemeingültigen Kriterien, die ein Baum erfüllen muss, um in unseren Katalog aufgenommen zu werden", erklärt Mas. "Es kommt immer auf die Baumart an und auch auf ihren Standort an, ob er etwas Besonderes ist oder nicht." Die Steineiche "Bellotera de Can Carreró" auf Ibiza beispielsweise ist abgebildet, obwohl sie nur sieben Meter hoch ist und ihrer Artgenossin, der großen Eiche "Alzina des Molí Nou" in Puigpunyent deutlich unterlegen ist. "Aber auf den jeweiligen Inseln herrschen unterschiedliche Bedingungen, auf Mallorca werden alle Eichen im Durchschnitt größer als auf Ibiza, weil es hier mehr regnet."
Größe spielt auch bei der "Alzina d'en Pere" am Cami Vell zwischen Lluc und Pollença keine Rolle - obwohl sie mit ihren 20 Metern durchaus beeindruckt. Die Steineiche ist in den Katalog aufgenommen worden, weil sie kulturell von Bedeutung ist. "Der Baum ist in der Gegend bekannt. In seinem Schatten haben sich früher immer die Landarbeiter zur Raucherpause getroffen, deshalb heißt er auch Raucher-Eiche", erklärt Rafel Mas.
Das exotischste Exemplar im Katalog ist wohl die "Lagunària de la Llotja" an Palmas Passeig de Sagrera, zu Deutsch: Norfolkeibisch. "Sie ist das einzige uns bekannte Exemplar dieser Gattung auf ganz Mallorca", so Mas.
Trotz der großen Bandbreite im Katalog - eins haben die aufgelisteten Bäume gemein: Die Balearen-Regierung kümmert sich um ihr Wohlergehen. "Wir wollen diese einzigartigen botanischen Erben schützen", erklärt Mas. Egal ob Vandalismus, Krankheiten, Plagen oder Bebauungspläne - die Mitarbeiter der Naturschutzabteilung setzen sich dafür ein, dass nichts den Listenbäumen in die Quere kommt. "Stehen die Bäume auf Privatgrundstücken, sind wir in engem Kontakt mit den Besitzern, wir kontrollieren regelmäßig, in welchem Zustand sich der Baum befindet." Von der Wurzel bis zur Spitze darf dem Baum nichts angetan werden. "Nur seine Früchte, die dürfen auch geerntet werden", sagt Mas und lacht.
Die anschauliche Auflistung im Katalog soll auch die breite Bevölkerung und Touristen auf die außergewöhnlichen Pflanzen aufmerksam machen, Foto, Standortbeschreibung und Hintergrundinfos inklusive. "Wer Bäume auf Privatgrundstücken anschauen will, sollte sich aber vorher eine Erlaubnis einholen", so Mas.
Er freut sich, dass in diesem Jahr gleich fünf neue Bäume und eine Baumgruppe in den Katalog aufgenommen werden konnten. Eine 37 Meter hohe Schmalblättrige Esche bei Bunyola, die 36 Meter lange Aleppo-Kiefer bei Valldemossa, eine 100-jährige Zimmertanne an der Straße nach Port de Pollença, eine Monterey-Zypresse mit einer 22 Meter breiten Baumkrone und eine Ansammlung Breitblättriger Steinlinden auf der Tramuntana-Finca Míner Gran. "Alle Vorschläge, die bei uns eingehen, prüfen wir, wir sind da nicht festgefahren." Aus dem Katalog ausgeschlossen wurde die riesige Dattelpalme in Binissalem - übrigens die einzige Palme im Katalog. Mas: "Sie war schon uralt und ist gestorben. Aber mehr als 100 Jahre, das muss man auch erstmal schaffen."
Hintergrundinfo: Bäume in Gefahr
Vor allem die Steineichenbestände in Mallorcas Bergregionen sind vom Aussterben bedroht. "Raupen des Riesenbock-Käfers und wilde Bergziegen sind ihre größten Feinde", so Rafel Mas vom Umweltministerium. "Sie sind die Juwelen der Berge und es ist sehr wichtig, schnell drastische Maßnahmen zu ergreifen.". Auch die Eibe ist ein gefundener Fraß für die unzähligen Wildziegen. Besonders die jungen Triebe werden oft Opfer der Gier der Bergtiere. "An vielen Stellen, an denen früher viele Eiben standen, wächst heute nur noch Gebüsch", so Rafel Mas.. Die Ulme hat auf Mallorca mit einer Pilzerkrankung zu kämpfen. Mas: "Es sind schon viele Tausende durch den Schlauchpilz-Befall gestorben, aber vor Kurzem wurde ein wirksames Mittel dagegen gefunden, das es uns ermöglicht hat, einige betroffene Zonen wieder zu regenerieren.". Die auf Mallorca heimische Zwergpalme leidet unter den Plagen, die importierte Dattelpalmen mit sich gebracht haben, allen voran unter dem Palmrüssel-Käfer.
(aus MM 21/2016)