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110 stählerne Riesen direkt vor der Haustür

Vergleichsweise klein fällt dieser Mast im Vergleich zu denen aus, die im Süden der Insel demnächst in den Himmel ragen werden. | Gemma Andreu

| Llucmajor, Mallorca |

Es ist unendlich frustrierend", sagt Werner Elsner. Wie andere Deutsche auch hat er sich in der Bürgerinitiative "Alta Tensió" ("Hochspannung") gegen die neue Stromleitung in Llucmajor engagiert. Drei Jahre lang haben sie recherchiert, informiert, argumentiert und protestiert. Jetzt sehen sie kaum noch Chancen, das Großprojekt abzuwenden: 110 Strommasten sollen in der Marina, dem Gebiet im Süden der Gemeinde, aufgestellt werden. Es sind gigantische Masten: 37 bis 42 Meter hoch. Sie sollen zwei Freileitungen mit einer Spannung von 66 Kilovolt, erweiterbar auf 132 Kilovolt, stützen. Eine wird vom Umspannwerk in Cala Blava nach Llucmajor führen, die andere parallel zur Küste nach S'Arenal. "Insgesamt werden 30 Kilometer oberirdisch verlegt, 700 Meter unterirdisch", informiert der spanische Netzbetreiber REE, der das Projekt plant.

Die Trasse führt über 273 Grundstücke. Deren Besitzer erwartet eine teilweise Enteignung. Betroffen sind aber auch Anwohner wie Werner Elsner und seine Lebensgefährtin Corinna Pfeiffer. An ihrem Haus geht die Trasse nur knapp vorbei. Künftig werden sie direkt auf einen Stahlriesen schauen. "Vom ersten Stock aus sehen wir die ganze Linie, bestimmt 15 Stück." Er denke sogar daran, seine Immobilie zu verkaufen. Geschädigt würden sicher auch die Landhotels nahe der Trasse, meint der Bürgermeister von Llucmajor, Bernadí Vives. Die Masten seien völlig überproportioniert. REE wende die gleichen Standards an wie auf dem Festland. Aber dort seien die Entfernungen größer. "Wir sind doch nicht die Wüste von La Mancha." Man werde die Masten zehn bis zwölf Kilometer weit sehen können, meint Vives. Zum Vergleich: Das Gesa-Gebäude in Palma ist 41 Meter hoch.

Die Landschaft werde verschandelt, empört sich Ulrike Markert von der Bürgerinitiative, und es herrsche kein Bewusstsein dafür, was das bedeute, fügt Gabi Dörflinger hinzu. Das könne sich auch auf den Tourismus allgemein auswirken. "Die Urlauber werden sich in einer ganz anderen Landschaft wiederfinden und vielleicht sagen, hier möchte ich nicht mehr sein." Hinzu komme das Gesundheitsrisiko durch die elektromagnetischen Strahlen. Die Aussagen seien unterschiedlich, je nachdem, wer die Studie bezahle, meint Bürgermeister Vives, "aber gut können die Strahlen nicht sein".

"Die neuen Leitungen sind leider notwendig", erwidert der Leiter der Energieabteilung der Balearen-Regierung, Joan Groizard. In Llucmajor sei der Bevölkerungsdruck sehr hoch und das Versorgungslimit schon jetzt überschritten. Die Gefahr von Stromausfällen bestehe. Und der Energiebedarf werde noch steigen, weil vor allem in der Küstenregion die Bebauung weitergehe. "Die Infrastruktur reicht nicht mehr aus."

Die Bürgerinitiative ist anderer Meinung. "Wir brauchen keine neuen Leitungen", sagt die Vorsitzende Marta Urbina. Es existiere bereits eine 66- Kilovolt-Hochspannungsleitung. Erst vor ein paar Jahren habe die Stromgesellschaft Endesa sie errichtet und sie werde zu wenig genutzt. Zurzeit laufe sie mit 15 Kilovolt und bediene nur fünf Stromabnehmer. Das Problem sei, meint Urbina, dass seit 2010 nicht mehr Endesa, sondern REE für die Stromnetze der Insel zuständig sei, und die wollten lieber ihre eigenen Leitungen bauen. Die Meinung der Bürgerinitiative teilen der Umweltverband GOB und die Ingenieurskammer der Balearen. Beide haben Eingaben vorgebracht. Die Gemeindeverwaltung ist ebenfalls gegen das Projekt, allerdings richtet sich ihr Protest nur gegen die Höhe der Masten.

"Nicht REE bestimmt die Höhe der Masten, sondern das Gesetz, insbesondere Vorschriften zum Schutz von Vögeln gegen Stromschlag", informiert REE. Und Joan Groizard von der Energiebehörde entgegnet den Kritikern: "Wir können das Projekt gar nicht kippen." Es sei in Madrid entschieden und von der Balearen-Regierung genehmigt worden, die bis 2015 im Amt war. 2013 habe der damalige Umweltausschuss sein OK gegeben und 2014 der Ministerpräsident. "Als wir das Amt übernahmen, haben wir alle Möglichkeiten ausgelotet, weil uns eine Alternative lieber gewesen wäre, aber die öffentliche Verwaltung kann nicht etwas rückgängig machen, das sie selbst genehmigt hat, es sei denn, die Entscheidungsgrundlage hat sich geändert."

Das wäre der Fall, sollte die Marina von Llucmajor zum Vogelschutzgebiet (ZEPA) erklärt werden. Der GOB fordert das seit Jahren, weil dort vom Aussterben bedrohte Vogelarten vorkommen, wie der Rotmilan. "Das hätte zur Folge, dass das Umweltgutachten neu geprüft werden müsste und es würde niemals wieder genehmigt", erklärt Werner Elsner. Doch in seiner jüngsten Aktualisierung der ZEPA-Gebiete hat das balearische Umweltamt die Marina nicht berücksichtigt.

"Das war's dann wohl", meinen die Bürgeraktivisten resigniert: "Wir sind an einem spannenden Zeitpunkt in der Energiewende. Wie kann man nur Anlagen installieren, die ohnehin bald obsolet sein werden?" Auch Joan Groizard vom Energieministerium hofft, dass die Leitungen bald nicht mehr gebraucht werden, betont aber, dass es auf den Balearen sehr schwer sei, die erneuerbaren Energien voranzubringen. Gegen alle Projekte gebe es heftigen Widerstand in der Bevölkerung, zum Beispiel auch gegen die zwei geplanten Fotovoltaik-Anlagen in Llucmajor. "Wir meinen nur, dass man zuerst die Dächer in den Industrieparks ausnutzen sollte, bevor man Platz in einem Naturgebiet wegnimmt", widersprechen die Bürgeraktivisten.

Ganz beendet ist auch der Streit um die Strommasten in Llucmajor noch nicht. Gegen die Entscheidung des Umweltamts, die Marina nicht zum ZEPA-Gebiet zu erklären, kann Einspruch erhoben werden. "Und das werden wir tun", kündigt Margalida Ramis vom GOB an. Auch die Ingenieurskammer gibt sich nicht geschlagen. Zumindest wolle man erreichen, dass die Leitungen unterirdisch gelegt werden, sagt die Wirtschaftsingenieurin Maria Antònia Moyà. Sie habe bereits weitere Berufskammern mobilisiert. "Wir haben auf Mallorca schon gesehen, was Bürgerwiderstand für die Umwelt erreichen kann."

(aus MM 4/2017)

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