Nach wochenlangem Verharren der Neu-Ansteckungen auf einem zwar relativ hohen, aber stabilen Niveau, gibt die Coronalage auf der Insel seit einigen Tagen Anlass zur Besorgnis. Oszillierte die Durchschnitts-Ansteckungszahl im November im Schnitt zwischen 100 und 200 Fällen pro Tag, so änderte sich dies jetzt, und zwar drastisch: Am Dienstag, 15. Dezember, wurden erstmals seit langer Zeit über 300 Fälle gemeldet, nämlich 339. Am Mittwoch waren es bereits 442 und am Donnerstag erschreckend hohe 532.
Innerhalb kurzer Zeit wandelte sich Mallorca wenige Tage vor dem geplanten Impfkampagnen-Beginn Ende Dezember anders als die anderen Balearen-Inseln zur Sorgenregion im Staat. Die 14-Tage-Inzidenz für den gesamten Archipel lag am Donnerstag bei 322,41, so hoch wie nirgendwo sonst in Spanien. Dennoch bleibt die Lage in den Krankenhäusern eher entspannt: Von Überfüllung auch der Intensivstationen kann nicht die Rede sein.
Angesichts dieser plötzlichen Verschärfung reden Mitarbeiter des Gesundheitssektors den weiterhin im Weihnachts-Einkaufsrausch befindlichen Bürgern eindringlich ins Gewissen: Es liege in der Hand der Menschen, nicht im Krankenhaus zu landen, zitierte die MM-Schwesterzeitung Ultima Hora Mitarbeiter des Inselkrankenhauses Son Espases. Xima Delgado, Carlos Muntaner und Aranzazu Pellicer forderten die Menschen zu mehr Disziplin auf.
Was nicht verwundert, denn in Einkaufsstraßen oder in Kaufhäusern werden Mindestabstände seit Wochen nicht unbedingt eingehalten. Vielerorts sind Menschenansammlungen zu beobachten, es wird nicht selten – ein am Mittelmeer bekanntlich übliches Phänomen – laut und lang geredet. Zwar benutzen die meisten Bürger wie vorgeschrieben die Maske, doch die schützt bekanntlich nicht zu 100 Prozent vor einer Ansteckung.
Der Gesundheitsexperte Joan Carles March kritisierte in Ultima Hora allzu punktuelle Eindämmungsmaßnahmen. In anderen spanischen Autonomieregionen sei man strenger vorgegangen, weshalb dort die Lage nicht so bedenklich wie auf Mallorca sei. March sprach anders als andere Mediziner bereits von einer "dritten Coronawelle", die hereinbreche.
Angesichts der Sorglosigkeit vieler Menschen auf Mallorca wählen auch andere Experten drastische Worte: Wer auf die Intensivstation komme, sei dort sehr allein, weil Familienangehörige nicht kommen könnten, so die Intensivmedizinerin des Son Llàtzer-Krankenhauses Gemma Rialp. Es gebe dort Patienten, die seit über einem Monat ihre Angehörigen nicht gesehen hätten. Der Aufenthalt in einer Intensivstation sei gleichbedeutend mit zwei bis drei Wochen Koma.
Vor dem Hintergrund der verschärften Lage bleibt abzuwarten, ob die Vorverlegung des nächtlichen Ausgangssperre-Beginns auf 22 Uhr, das unnachsichtige Vorgehen der Polizei gegen Regelbrecher und die Schließung der Innenräume von Bars und Restaurants ausreichen, um die Lage wieder in geordnete Bahnen zu lenken.