Es ist wie ein Sinkflug ins Paradies. Nähert man sich von Palma und Esporles kommend, also von oben auf der hier sehr kurvigen Tramuntana-Transversale Ma-10, dann drängt sich immer mehr intensives Grün auf, je mehr man sich nähert: Nadelbäume, Rankpflanzen, Wein. All das gedeiht auf uralten Terrassen, von denen man auf das tiefblaue Meer blickt. Etwa 2000 sind es, sie prägen wie nichts anderes die Landschaft. Und mittendrin stehen ein paar Häuser.
„Weingarten am Meer” nannten die vor der Eroberung durch König Jaume I. hier herrschenden Araber die Gegend, „Binya l-bahr”, heute Banyalbufar. Das noch heute funktionierende ausgeklügelte Bewässerungssystem war von ihnen ersonnen worden. Malvasia-Wein in großen Mengen wurde hier jahrhundertelang angebaut. Es heißt, der große Jaume sei bereits vor der Eroberung im Jahr 1229 vernarrt in den süßen Saft von der Insel gewesen. Die jetzt in Banyalbufar befindlichen Anbauflächen sind nur ein kleiner Rest dessen, was hier bis zur Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts wuchs. Damals war der Weinanbau auch in anderen Gebieten auf Mallorca, etwa Felanitx, nicht mehr möglich. Danach stieg man auf Tomaten um.
Letztere kann man im ein oder anderen urigen Tante-Emma-Laden des von verwinkelten Gassen durchfurchten Dorfes erstehen, das an das nicht weit entfernte Deià erinnert. Zwar ist der Ort nett anzusehen, doch ist dieser als solcher nicht der Anziehungspunkt, sondern die spektakuläre Lage und die betörende Umgebung, zu der ein Fels- und Kieselstrand gehört, den es auf Mallorca kein zweites Mal gibt. Denn nur hier ist es möglich, sich nach dem Bad im Meer, das man tunlichst nur mit Wasserschuhen betreten sollte, unter einem Wasserfall das Salz vom Körper zu waschen.
Henk aus den Niederlanden ist so hin und weg von dem Phänomen, dass er sich immer und immer wieder unter das tröpfelnde Nass stellt, das etwa zehn Meter über ihm aus dichtem Grün herunterfällt. „Ich bin mit meiner Freundin hier”, sagt er. „Ich kannte das vorher gar nicht.” Der etwa halbstündige Gang auf einem steilen Weg vom Dorf nach unten habe sich allemal gelohnt.
Hier unten blickt man ins blaue Nirgendwo, wo die Dörfler – damals waren es einige Hundert mehr als heute – im Frühherbst vor 105 Jahren kriegerische Handlungen betrachten konnten: Am 24. September 1916, in der Hochphase des Ersten Weltkriegs, versenkte das legendäre, weil sehr erfolgreiche deutsche U-Boot U-35 unweit der Cala das norwegische Handelsschiff „Bufford”. Die Dorf-Bewohner retteten die Überlebenden und brachten sie auf Pferdefuhrwerken mühsam nach Palma. Noch am selben Tag konnten die Menschen aus Banyalbufar wie von einem Amphitheater aus eine weitere Kriegshandlung verfolgen: In einem Seegefecht schickte die von Kommandant Lothar von Arnauld de la Perière befehligte U-35 den britischen Kreuzer „Browen” auf den Meeresgrund.
Auch in den Jahrhunderten vorher war es im so friedlich anmutenden Weingarten am Meer epochengemäß rustikal zugegangen: Nach der Eroberung drangsalierte das absolutistische Herrschergeschlecht der Baronier bis ins 15. Jahrhundert hinein das Tal. Von ihnen zeugt heute noch der Name eines zum Hotel umgebauten Palastes: das Baronia. Die Adeligen hielten die Menschen quasi als Leibeigene, hatten die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit inne. Andere Herrscher waren es, die den Wehrturm Torre des Verger, heute ein bekannter Aussichtspunkt, im 16. Jahrhundert errichteten. Es hält sich hartnäckig die Geschichte, dass dort im Winter herumirrende Seelen aktiv seien.
Über Jahrhunderte abgekapselt, verdingten sich die Menschen vor allem in der Landwirtschaft. Bildung war in Banyalbufar nicht von Belang: Noch Anfang des 20. Jahrhunderts galt die Bevölkerung als mehrheitlich von schlichtem Gemüt. 1991 gab es dort sogar noch sechs Analphabeten.
Die schwer erreichbare Lage machte den Ort zu einem abgeschiedenen Kleinod, und das, obwohl Palma nur 28 Kilometer entfernt ist. Wie in anderen entlegenen Gegenden der Insel, zum Beispiel Sóller, waren es die steilen Berge, die Banyalbufar in eine Art Blase beförderten. Das ist noch heute zu spüren, obwohl die Ma-10 bestens ausgebaut ist. Bewegt man sich auf den Treppen und durch die Gassen, ist kaum eine Menschenseele auszumachen. Es sind einige Katzen, die dem Ort etwas Leben einhauchen. Und die Menschen in der Cala, die ungläubig auf den Wasserfall starren, dieses Kuriosum auf der trockenen Insel.