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Konzertkritik: Opulenter "Dreispitz" und archäologische Fundstücke

Der Pianist und die Sängerin geben ein Lied von Michael Glinka | Martin Müller

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Von Martin H. Müller

Mit „Ausgrabungen aus dem Venezianischen Barock des frühen 18. Jahrhunderts“ – so versprach es das Programmheft, das wie immer von der Website des Orchesters heruntergeladen werden konnte - begann das geänderte Programm des 5. Abonnementkonzerts der Balearensinfoniker im Auditorium. (Ursprünglich sollten die „Carmina Burana“ von Carl Orff gespielt werden, aber das hatte Corona verhindert: der große Chor, den es für dieses klanggewaltige Opus braucht, durfte nicht auftreten.)

Stattdessen bot die russische Sopranistin Julia Lezhneva mit „geläufiger Gurgel“, wie Mozart gesagt hätte, Koloraturen vom Feinsten aus der Vivaldi-Oper „Griselda“, nachdem sie mit der Arie „Sposa son disprezzata“ aus „Bajazet“ ungemein klangschön vorgeführt hatte, dass sie auch das Zarte, Lyrische überzeugend darstellen kann. Das Publikum jedoch goutierte eher die Stimmbandakrobatik der Griselda-Arie, im Grunde eine Zirkusnummer. Vor fast 25 Jahren hatte Cecilia Bartoli ähnlich zirzensische Preziosen Vivaldis ausgegraben und mit ihrer Goldkehle auf CD gebannt, Kritiker und Publikum waren damals gleichermaßen begeistert. Indes: Julia Lezhneva braucht den Vergleich mit der berühmten Kollegin wahrlich nicht zu scheuen, mehr noch: ihr Koloratursopran wirkt nobler, weil etwas unaufdringlicher als das manchmal schon ziemlich forsch auftrumpfende Organ der Bartoli; feiner, nuancierter, nicht so gewollt artifiziell. Dennoch waren die federleichten Koloraturen virtuos im besten Sinne.

Nach einer sehr dramatisch interpretierten Don Giovanni-Ouvertüre (die Konzertfassung mit dem etwas aufgesetzt wirkenden Schluss, der vermutlich gar nicht von Mozart stammt) ging’s mit der Konzertarie „Ch’io mi scordi di te?“ (Köchel 505) auf die Pause zu. Sie gilt als eine der besten im Schaffen des Salzburger Genies. Mozart schrieb sie für Nancy Storace, die bei der Uraufführung des „Figaro“ die Susanna gesungen hatte. Diese biografische Randnotiz war es wohl, die einige Autoren dazu verführt hat, in KV 505 Figaro-Anklänge heraushören zu wollen. Das ist schon deshalb abwegig, weil diese Arie eine Bearbeitung der für eine Wiener Aufführung nachkomponierten Einlage zum Idomeneo ist. Die Arie atmet durch und durch die Luft der opera seria, von dem einleitenden Rezitativ in Moll (im „Figaro“ gibt es bis auf die Canzonette der Barbarina zu Beginn des 4. Aktes keine einzige Moll-Nummer) bis zur Linienführung des Rondoteils. Das Besondere: Mozart verband dabei seine beiden Lieblings-Genres, die Oper und das Klavierkonzert, indem er die Solovioline des Originals (KV 490) durch ein obligates Klavier ersetzte. (Vermutlich saß er bei der Premiere 1788 selbst am Hammerflügel.) An diesem Abend wurde der Steinway von Andreu Riera „bedient“, vielleicht etwas zu dominant, ein wenig mehr Zurückhaltung hätte der Darbietung gutgetan und vor allem den Kantilenen der Sängerin mehr Raum gegeben. Die sang Lezhnova ganz im Geiste Idamantes, für den sie geschrieben wurden, fern von allen Opera buffa-Anwandlungen. Das Orchester unter seinem Chefdirigenten Pablo Mielgo begleitete geschmeidig und stand, was Klangschönheit betraf, dem Wohllaut des Gesangs in nichts nach. – Für den herzlichen und lang anhaltenden Applaus bedankten sich Sängerin und Pianist mit einem Lied von Michael Glinka, in russischer Sprache.

Nach der Pause gehörte die Bühne ganz dem nun zu voller Stärke vergrößerten Orchester: die beiden Suiten aus De Fallas „El sombrero de tres picos“ beschlossen den Abend mit spanischem Kolorit. Das Ballett, 1919 in London durch die Kompanie Ballets Russes Sergej Diaghilews unter Ernest Ansermet und mit dem Bühnenbild von Pablo Picasso uraufgeführt, gelangt heute selten szenisch zur Aufführung. Nur die beiden Suiten konnten ihren Platz auf der Konzertbühne halten. Die raffinierte Besetzung ist für jedes Orchester eine Herausforderung. Die Musikerinnen und Musiker der Balearensinfoniker erwiesen sich ihr glänzend als gewachsen, Pablo Mielgo war in seinem Element: souverän und mit sichtlicher Spielfreude führte er das Orchester durch die Partitur mit ihren folkloristischen Anklängen. Ein Hauch von Spanien wehte durch den Saal, bisweilen zu Orkanstärke gesteigert. Entsprechend groß war die Begeisterung des Publikums, das mit frenetischem Applaus dankte.

Voll besetzt gehen die Abokonzerte weiter: Bereits am 17. Februar gibt’s, wieder unter der Stabführung Mielgos, mit Mahlers sechster Sinfonie ganz großes Kino für die Ohren; und am 10. März steht dann die Alpensinfonie von Richard Strauss auf dem Programm. Auf die hatte man sich schon in der Saison 2019/20 – zu früh – gefreut: Corona hatte die Aufführung zunichte gemacht. Vielleicht klappt’s ja diesmal.

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