Nichts für zimperliche Zeitgenossen ist die Playa de Palma, wenn dort im Frühsommer überwiegend Abiturienten, Hobbyfußballer, Frauencliquen und Saufkumpane so richtig einen drauf machen. Dann torkeln schon am hellichten Tag die Besoffenen orientierungslos über die palmengesäumte Promenade. Auf der Mauer, die den Strand begrenzt, sitzen hunderte, wenn nicht tausende Touristen, dichtgedrängt und zunehmend angeheitert. Aus tragbaren Boxen dudelt Schlagermusik, aus den Abfalltonnen quillt der Müll, überwiegend Bierdosen. Wer nicht mehr kann und niemanden hat, der ihn zurück ins Hotel verfrachtet, kippt einfach um und liegt dann als Schnapsleiche im Weg herum. Es riecht nach Urin, Erbrochenem, Sonnencreme, Frittenfett und verschüttetem Bier.
Angesichts solcher Zustände an Mallorcas wichtigster Touristenmeile sahen sich nun Hoteliers, Gastronomen und Diskotheken-Betreiber der Gegend zu einer öffentlichen Stellungnahme veranlasst, die es in sich hat. Die Dachverbände prangern die „alarmierende Lage” an der Playa de Palma an. Die Situation sei „unerträglich”. „Der Mangel an Kontrolle des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit und das Fehlen effektiver Vorschriften zur Bestrafung solcher Verhaltensweisen gefährden Gegenwart und Zukunft dieses wichtigen touristischen Gebiets”, heißt es in der Mitteilung. „Trotz der in den vergangenen Jahren unternommenen Anstrengungen, das Niveau durch Investitionen in Infrastruktur, Verbesserung der Produktqualität und Schulung der Mitarbeiter zu erhöhen, gefährdet die Verwahrlosung durch unzivilisierten Tourismus die gesamte geleistete Arbeit”.
Dass sich die Unternehmerverbände zu Beginn der Hauptsaison zu einem Weckruf genötigt sehen, ist nicht neu. Im vergangenen Jahr etwa trommelte die Qualitätsinitiative Palma Beach im Juni die Journalisten zusammen, um über die große Zahl Sauftouristen zu klagen, die sich an der Playa de Palma wieder breit zu machen anschickten, nachdem dort die große Party in den beiden Corona-Jahren ausgeblieben war. So schlimm sei es noch nie gewesen, klagte der Vorsitzende des Unternehmerverbandes, Juan Miguel Ferrer, im vergangenen Jahr. In diesem Jahr sagt er: „Lärm, Schmutz, Exzesse: Die Situation ist grenzwertig.” Die Playa de Palma erlebe eine zunehmende Verschärfung der Lage. „Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.”
Auch andere Gastronomen beklagen das. „So schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie”, gestand beispielsweise Beatrice Ciccardini vom Restaurant „Zur Krone” kürzlich dem Mallorca Magazin. „Wir kommen jetzt schon an unsere körperlichen Grenzen und der Sommer hat noch nicht einmal angefangen.” Bei vielen Urlaubern stehe „Komasaufen” auf der Tagesordnung. „Es wird getrunken ohne Ende. Einige liegen noch um 9 Uhr morgens besoffen auf der Straße.” Michael Bormann vom „Deutschen Eck” äußerte sich ähnlich. „Die Feierlust ist schon sehr extrem dieses Jahr. Nach Corona herrscht eindeutig Nachholbedarf.” Einige Urlauber benähmen sich maßlos daneben.
Das sieht auch Gerlinde Weininger vom „Münchner Kindl” so. Neulich habe sie auf dem Nachhauseweg morgens um halb vier eine Gruppe Urlauber beobachtet, die auf dem Hotelbalkon bei lauter Musik eine Party feierten. „Das ist doch ein No-Go”, sagt sie. Schon mittags stünden viele betrunkene Touristen vor den Supermärkten, in denen sie sich mit Bier und Hochprozentigem eindecken. „Viele frühstücken noch nicht einmal”, sagt Weininger. „Kein Wunder, dass die dann irgendwann am Boden liegen.”
Eigentlich sollte es solcherlei auf Mallorca überhaupt nicht mehr geben. Denn seit Jahren versuchen Politik und Tourismusbranche, die Insel zur Qualitätsdestination zu machen und den Sauftourismus abzuschaffen. „Dieser widerspricht diametral dem Ziel der Balearen-Regierung, die Wettbewerbsfähigkeit der Inseln durch nachhaltigen, verantwortungsvollen und qualitativ hochwertigen Tourismus zu verbessern”, heißt es in der Einleitung zum Gesetz „gegen den Exzess-Tourismus”, das 2020 in Kraft trat. Das Gesetz ist nur der bisherige Höhepunkt der Bemühungen der Politik (siehe dazu Seite 18). So richtig fruchten wollen diese aber nicht. Das ist auch in diesem Jahr wieder zu beobachten.
Hoteliers, Gastronomen und Diskothekenbetreiber rufen die zuständigen Behörden daher in ihrer nun veröffentlichten Mitteilung auf, „energische und effektive Maßnahmen zu ergreifen, um diese unhaltbare Situation anzugehen”. Es sei unerlässlich, klare Vorschriften festzulegen und Sanktionen rigoros anzuwenden, um den Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit zu unterbinden, fordern sie. Darüber hinaus sei eine verstärkte Polizeipräsenz nötig, um die Einhaltung dieser Vorschriften zu gewährleisten.
Wer sich in diesen Tagen an der Playa de Palma umschaut, bekommt tatsächlich den Eindruck, dass es hier keinerlei Regeln und Vorschriften gibt. Urlauber ziehen mit laut plärrenden Megafonen umher, Hütchenspieler versuchen, arglose Urlauber übers Ohr zu hauen, illegale Straßenhändler bieten ungestört ihre Plastikware feil. Auf den Terrassen der Lokale wird geraucht, einige Wirte beschallen die gesamte Gegend mit lauter Musik. All das ist verboten, zum Teil seit vielen Jahren. Patroullierende Polizisten aber sucht man an der Playa de Palma vergeblich. Die mitten in der konfliktiven Zone gelegene Wache ist bereits am frühen Abend geschlossen, mittags ebenfalls.
„Ganz klar: Wir brauchen mehr Polizisten auf den Straßen”, sagt Juan Jesús Bouzas. Er betreibt einen Schuhladen an der Playa de Palma, lebt auch in der Gegend und engagiert sich im lokalen Anwohnerverband. Neulich fand er nachmittags um vier einen sturzbetrunkenen Touristen unweit seines Wohnhauses auf dem Gehweg liegen. Dass es in diesem Jahr besonders schlimm sei mit den Partyurlaubern, findet er trotzdem nicht. „Ich wundere mich über gar nichts mehr.” Wie viele andere auch sieht er in verstärkter Polizeipräsenz die einzige Möglichkeit zur Besserung. Ein Beispiel könne sich die Stadt Palma an der Nachbargemeinde Llucmajor nehmen, zu der der letzte Abschnitt der Playa de Palma gehört. Dort hat die Lokalpolizei jetzt ihre Kontrollen massiv verstärkt, um tausende Abiturienten vom spanischen Festland in Schach zu halten, die wie jedes Jahr in diesen Wochen ihre Abschlussfahrten nach Mallorca unternehmen. Auch sie haben nur eines im Sinn: Feiern bis zum Umfallen.