Allzu viele Wanderer scheinen sich nicht an das Verbotsschild zu halten, das mit roter Schrift für jedermann gut sichtbar an dem geschlossenen Eisentor hängt. Zumindest gibt es in den einschlägigen Wander-Apps zahlreiche Beschreibungen ebendieser Route, die von Randa hinauf zum Gràcia-Heiligtum führt. Und auch in verschiedenen gedruckten Wanderführern ist die Strecke ohne Verweis auf den gesperrten Weg beschrieben.
Es dürften einst vor allem Pilger gewesen sein, die den Weg nutzten, um auf Mallorcas „heiligen” Berg zu kommen. Und Arbeiter des Steinbruchs, der sich hier befand. Heute führt er augenscheinlich über Privatgelände. So steht es zumindest auf dem Schild geschrieben. Tatsächlich handelt es sich offiziell nicht um einen öffentlichen Weg, wie ein Anruf im Rathaus von Algaida ergibt. Der zuständige Sachbearbeiter im Bauamt schlägt bereitwillig im entsprechenden Katalog nach. Weitere Einzelheiten kann er aber nicht liefern.
Fälle wie diesen gibt es auf Mallorca in großer Zahl. Immer wieder geschieht es, dass Ausflügler plötzlich vor verschlossenen Toren stehen. Seit vielen Jahren sorgt der Gegensatz zwischen Privatbesitz und Wegerecht für Konflikte. In der Vergangenheit wurde es gelegentlich gar handgreiflich. Den wütenden Bauern, der Wanderer von seinem Grund und Boden vertrieb – wenn auch vielleicht nicht mit der sprichwörtlichen Mistgabel –, den hat es tatsächlich gegeben. Wie auch die Aktivisten, die sich demonstrativ Zutritt zu Privatbesitz verschafften, um die Anerkennung eines historischen Wegerechtes zu fordern.
Zuletzt hat sich das Thema allerdings merklich abgekühlt. „Die Situation ist besser geworden”, sagt Xisco Fanals, Vorsitzender des mallorquinischen Bergsteigerverbandes. Das Bewusstsein aller Beteiligten sei größer geworden. Nach und nach werde das Problem gelöst. „Dazu hat auch das Wegegesetz beigetragen”, sagt er. 2018 hatte der damals regierende Linkspakt versucht, das Thema entscheidend voranzubringen und verabschiedete das „Gesetz der öffentlichen Wege und Wanderrouten” („Llei de camins públics i rutes senderistes”). Dieses galt damals als Meilenstein bei der Beilegung des Konfliktes um das Wegerecht.
Eines der größten Probleme ist traditionell der Mangel an verlässlichen Informationen. Alle spanischen Städte und Gemeinden waren zwar schon lange zuvor verpflichtet, ein Register der öffentlichen Wege anzulegen, das balearische Wegegesetz aber erhöhte den Druck erheblich. Nun nämlich gab es zum ersten Mal eine Frist. Innerhalb von vier Jahren mussten sämtliche Register eingerichtet sein. Die Gemeinden aber sträuben sich weiterhin. Lediglich ein Teil von ihnen hat tatsächlich ein Verzeichnis der öffentlichen Wege angelegt. Und das, obwohl die gesetzliche Frist mittlerweile abgelaufen ist.
Xisco Fanals vermutet, dass die Gemeinden ihre Arbeit nicht machen, weil ihnen das Thema schlicht zu konfliktträchtig ist. „Es führt zwingend zu Konfrontationen mit den Bürgern”, sagt er. „Das wollen die Rathäuser natürlich vermeiden.” Um die Interessen einzelner Grundbesitzer nicht zu beeinträchtigen, schade man der Allgemeinheit. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum es mit den Wegeregistern nicht so recht vorangeht. Die Gemeinden sind nämlich verpflichtet, ihren Besitz in Schuss zu halten. Im Falle von Wanderwegen ist das aufwändig und birgt auch Risiken. Gibt es wegen mangelhafter Instandhaltung einen Unfall, könnte die Gemeinde haften müssen.
„Ich sehe in erster Linie die Gemeinden in der Pflicht”, sagt Fanals. Sowohl für die Erstellung der Wegeregister, als auch für die Instandhaltung der Wanderrouten gebe es Subventionen vom Inselrat. Dennoch ist selbst die Inselhauptstadt Palma bis heute ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen. Eines der Positivbeispiele ist dagegen Pollença, das bereits seit 2008 über ein Verzeichnis sämtlicher öffentlicher Wege verfügt. Aufgeführt sind darin derzeit auf fast 600 Seiten 148 Wege, nachdem vor einigen Jahren noch weitere hinzugekommen waren, bei denen die Recherchen besonders kompliziert waren.
Ob öffentlich oder privat, das ist nämlich bei vielen Wegen alles andere als einfach herauszufinden. In der Einleitung zum Wegegesetz ist das Problem wie folgt beschrieben: „Durch die Motorisierung ab den 1950er-Jahren gerieten in vielen Gemeinden die nicht befahrbaren Wege in Vergessenheit, wucherten zu oder wurden einfach stillschweigend in Beschlag genommen.” Um zu belegen, dass ein Weg einst öffentlich war und daher auch heute nicht einfach so verschlossen werden darf, ist häufig eine wahre Detektivarbeit nötig: monatelange Recherchen in Archiven, um alte Stadtpläne, Luftaufnahmen, historisches Bildmaterial und Textdokumente zu finden, die die öffentliche Nutzung des Weges belegen können. Dazu kommt dann oft noch ein langwieriges Gerichtsverfahren, wenn sich die Eigentümer zur Wehr setzen, weil sie keine lästigen Ausflügler auf ihrem Grund und Boden dulden wollen.
Das Paradebeispiel dafür ist der Weg über die Finca Ternelles in Pollença. Der ist zwar im Wegeregister der Gemeinde aufgeführt, bis heute aber nicht frei zugänglich. Lediglich geführte Spaziergänge auf einem Teil des Weges sind möglich. Seit Jahren beschäftigen sich die Gerichte mit dem Fall. Die Besitzer der Ländereien, über die der Weg bis zur historischen Burg Castell del Rei und in die Bucht Cala Castell führt, denken gar nicht daran, klein beizugeben. Eigentümer ist die mächtige Familie March – auch deshalb ist dies ein besonders strittiges Beispiel. Immer wieder verschafften sich Aktivisten Zutritt zu dem Landgut, um das Wegerecht einzufordern.
Ein Einzelfall ist Ternelles nicht: Ganz Mallorca ist durchzogen von Wegen, die einst allen offenstanden. Fischer etwa gelangten so ans Meer, Holzfäller, Köhler und Kalkmacher zu ihren Arbeitsplätzen in den Bergen, Mönche und Pilger zu den Klöstern, Postboten in entlegene Orte. Oft handelt es sich um einfache Pfade, teils um Wege in Trockenbauweise, teils um gepflasterte Fahrwege. Ein öffentlicher Weg könne niemals privatisiert werden, selbst wenn das Grundstück, über das er verläuft, in Privatbesitz übergeht, argumentieren die Verfechter des freien Wegerechts. Und die Richter geben ihnen zunehmend Recht.
Wie das dann in der Praxis häufig aussieht, lässt sich gut auf einer Wanderung vom Bergdorf Banyalbufar zum Landgut Planícia beobachten. Jahrelang war die historische Route über den Camí Antic de Planícia für Wanderer gesperrt. Die Besitzer der umliegenden Ländereien hatten kurzerhand Barrieren aufgestellt. Nach Protesten und einem mehrjährigen Gerichtsverfahren wurde schließlich entschieden, dass es sich tatsächlich um einen historischen, öffentlichen Weg handelt. Und so ist die Route nun ausgeschildert. Viel Spaß aber macht eine Wanderung dort nicht: Die Eigentümer haben sich hinter hohen Zäunen mit Sichtschutz verbarrikadiert, alle paar Meter steht ein Hinweisschild, dass man den Weg gefälligst nicht verlassen solle.
Immerhin konnte der Fernwanderweg GR221, der das Tramuntanagebirge von Süd nach Nord durchzieht, auf diese Weise um ein paar weitere Kilometer verlängert werden. Dass die sogenannte Trockensteinroute mittlerweile fast komplett freigegeben ist, liegt auch am balearischen Wegegesetz, sagt Xisco Fanals vom Bergsteigerverband. Dieses nämlich erleichtert im Zweifelsfall auch die Enteignung eines bestimmten Abschnitts. Im Fall des GR221 hat der zuständige Inselrat davon auch bereits Gebrauch gemacht. Lediglich die erste Etappe von Sant Elm nach La Trapa ist noch nicht ausgeschildert. Das liege daran, dass sie über ein Grundstück verläuft, auf dessen Parzellen einst Ferienimmobilien gebaut werden sollten. Kompliziert macht den Fall, dass es dort Dutzende Eigentümer gibt, die enteignet werden müssten.
Beim mittlerweile von der konservativen PP und den Rechtspopulisten von VOX geführten Inselrat verfolgt man ohnehin eher eine andere Strategie. „Die vorherige Regierung setzte auf Enteignungen”, sagt Luis Rubí, Inselratsdirektor für Umwelt. „Wir setzen eher darauf, historische Wege zu öffnen.” Enteignungen werde es nur in Ausnahmefällen geben. Das Thema Wandern habe jedoch absolute Priorität. Besonders der Fernwanderweg GR221 sei von großem Interesse, was auch alle Gemeinden so sähen, durch die er verlaufe. Leider sei das Thema der Wegerechte komplex. Man arbeite aber an den Teilstrecken, die nicht freigegeben sind.
Dass die meisten Gemeinden noch immer kein Wegeverzeichnis erstellt haben, sei ein Versäumnis, räumt er ein. Die im balearischen Wegegesetz vorgesehenen Fristen seien allerdings auch zu knapp bemessen gewesen. Man müsse bedenken, dass es es sich für die Rathäuser um eine komplizerte Aufgabe handele. „Es gibt Wege, wo kaum noch etwas zu sehen ist vom einstigen Verlauf”, sagt Rubí. „Oder es wurde eine Straße gebaut, wo einst der Weg verlief.” Der Inselrat als übergeordnete Institution unterstütze die Rathäuser jedenfalls nach Kräften. Auch das Register aller öffentlichen Wege der Insel, das der Inselrat laut Wegegesetz erstellen muss, existiert allerdings bis heute nicht, obwohl die Frist längst abgelaufen ist.
Und so werden Wanderer auf der Insel wohl auch weiterhin gelegentlich vor verschlossenen Toren stehen und sich fragen, ob das auch mit rechten Dingen zugeht. „Man sollte aber nicht einfach drüber klettern”, rät Xisco Fanals, der seit 45 Jahren in Mallorcas Bergen unterwegs ist. Im Zweifelsfall solle man sich an das zuständige Rathaus wenden und eine formale Beschwerde einreichen.