Verkrüppelt streckt ein Baum seine morschen Äste in den grauen Herbsthimmel. Im Schlamm darunter suhlt sich eine Sau, während sechs Ferkel an ihren prallen Zitzen hängen. Auch der nächste Baum ein paar Meter weiter ist tot und von Flechten überzogen. Genauso wie der nächste, der übernächste und alle anderen, so weit das Auge reicht. Die gesamte Mandelplantage bei Sineu ist hinüber. Dahingerafft vom sogenannten Feuerbakterium Xylella fastidiosa, das die Insel seit einigen Jahren heimsucht.
Es steht nicht gut um Mallorcas Mandelbäume. Die nackten Zahlen klingen dramatisch: Um 50 Prozent ist die Anbaufläche dem Landwirte-Verband Asaja zufolge im Laufe der vergangenen zehn bis 15 Jahre gesunken. Laut dem balearischen Landwirtschaftsministerium ging die Gesamtproduktion zwischen 2016 und 2023 um 70 Prozent zurück. Die Hauptschuld daran trägt die eingeschleppte Pflanzenkrankheit.
Dass das jedoch nicht der einzige Grund ist, kann man gut in Lloseta beobachten. Dort, am Stadtrand, ragt das alte Zementwerk in die Höhe, das nun zum Zentrum der Energiewende auf Mallorca werden soll: Seit einiger Zeit wird dort grüner Wasserstoff produziert. Den dafür nötigen Strom liefert eine enorme Solaranlage, die auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück steht. Dort, wo sich nun die Fotovoltaik-Module über den Acker ziehen, standen vorher Mandelbäume. So wie in Lloseta läuft es vielerorts: Seit Jahren sinkt die landwirtschaftlich genutzte Fläche auf der Insel.
Als „drastisch” bezeichnet Joan Company den Rückgang des Mandelanbaus. Der Vorsitzende des Bauernverbandes Asaja tut sich allerdings schwer mit genauen Zahlen. Auf vielen Äckern der Insel wachsen nämlich sowohl Mandel- als auch Johannisbrotbäume. Genaue Flächenangaben seien daher mit Vorsicht zu genießen. „In jedem Fall ist der Anteil des Mandelanbaus am gesamten Produktionsvolumen der Landwirtschaft heute geradezu unbedeutend”, sagt Company. Der Unterhalt der Pflanzungen sei aufwendig, rentables Wirtschaften in dem Bereich kompliziert.
Aber nicht unmöglich. Um das zu erkennen, reicht ein Abstecher nach Consell. Am Rande des kleinen Städtchens zieht sich an der Landstraße eine enorme Mandelplantage entlang. Auf 33 Hektar Fläche stehen dort 8600 Bäume, 2018 akkurat in schier endlosen Reihen gepflanzt. Besitzer ist die Agrarkooperative Camp Mallorquí, die ihre Zentrale gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite hat. Dort werden in erster Linie Mandeln weiterverarbeitet. Im dazugehörigen Geschäft reihen sich in den Regalen Hunderte Pakete aneinander: Mandeln geröstet, geschält, gesalzen, gezuckert und vollkommen unbehandelt. Außerdem gibt es Mandellikör, Körperpflegeprodukte und vieles mehr.
„Natürlich hat die Mandel auf Mallorca eine Zukunft”, sagt Joaquín Badenas, der Marketing-Beauftragte der Kooperative. „Die mallorquinische Mandel ist anders.” Die Begebenheiten auf der Insel, allen voran das Klima, verliehen ihr ganz besondere Eigenschaften. Vor allem der hohe Gehalt an Fetten und Fettsäuren unterscheide sie von Importware. Und so verwundere es nicht, dass renommierte Unternehmen wie der Schokoladenhersteller Valor und der Speiseeisproduzent La Menorquina auf mallorquinische Mandeln der Kooperative setzen. Wie zum Beweis biegt gerade ein Traktor um die Ecke, dessen Anhänger randvoll mit ungeschälten Mandeln beladen ist.
Tatsächlich ist der Mandelanbau auch im Jahr 2024 eine Erfolgsgeschichte – man muss nur genau hinsehen. Was es damit auf sich hat, berichtet Rodrigo de Miguel in seinem Büro, das sich ein paar Kilometer die Landstraße hinunter in Richtung Santa Maria del Camí in einem unscheinbaren Zweckbau befindet. Dort sind die Räume des Kontrollgremiums der geschützten Herkunftsbezeichnung Indicació Geogràfica Protegida Ametlla de Mallorca untergebracht. De Miguel ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Seit 2017 existiert das Qualitätssiegel, das mallorquinische Landwirte für ihre Mandeln nutzen können, wenn sie bestimmte Auflagen erfüllen. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Betriebe, die sich der IGP angeschlossen hatten, bei 301 – und damit fast siebenmal so hoch, wie sechs Jahre zuvor. Die Anbaufläche stieg im selben Zeitraum von 954 auf fast 4500 Hektar, die Menge der produzierten Mandeln von 182 auf 987 Tonnen. Die Einnahmen der IGP-Landwirte lagen 2023 bei etwas mehr als einer Million Euro. 2017 waren es noch gerade einmal 37.440 Euro.
Es lässt sich also durchaus Geld verdienen mit mallorquinischen Mandeln. Das räumt auch Joan Company vom Bauernverband ein. „Für mich ist klar, dass die Mandelproduktion nicht verschwinden wird auf Mallorca”, sagt er. Seien Mandelbäume ebenso wie Johannisbrotbäume früher häufig in kleiner Zahl als Ergänzung zur Viehzucht angepflanzt worden, gehe die Tendenz nun jedoch in Richtung Professionalisierung und Produktionssteigerung, hin zu größeren Plantagen mit vielen tausend Bäumen und modernen Bewässerungssystemen. Traditionell wurden Mandelbäume auf der Insel nämlich überhaupt nicht gegossen. Gerade solche Bäume aber sind besonders empfindlich für Schädlingsbefall, wie sich etwa auf dem Schweineacker bei Sineu beobachten lässt. Anpflanzungen wie diese, die weitgehend sich selbst überlassen sind, verschwinden zunehmend.
Und so fährt man mittlerweile eben vielerorts an toten Mandelbäumen vorbei. Wo bisher im Frühjahr Wolken aus blassrosafarbenen Blüten für einen prächtigen Anblick sorgten, sind die Aussichten heute eher trist. Zumal der Eindruck auf den großen Mandelplantagen, auf denen die Bäume streng in Reih und Glied nebeneinander stehen, nicht derselbe ist. Dazu kommt: Da bewässerte Mandelbäume nicht nur mehr Früchte, sondern auch mehr Blätter produzieren, ist der visuelle Effekt der Blüte geringer. Dennoch führt man etwa bei Camp Mallorqui zur entsprechenden Jahreszeit Besuchergruppen durch die endlosen Baumreihen. Bauernpräsident Joan Company derweil ist vor allem wichtig, dass die Landwirtschaft auf der Insel generell gestärkt wird. „Ein Kornfeld oder grasende Schafe können genauso schön sein wie blühende Mandelbäume”, findet er.