Man muss zweimal hinschauen, um den Eingang zu finden. Das Geschäft von Laura Olivera liegt an der Calle Aragón, einer der Hauptverkehrsadern von Palma de Mallorca, und wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit – trotz großer Werbesprüche an der Fassade unauffällig, diskret, ja fast schüchtern. „Das ist uns eigentlich ganz recht”, sagt Olivera und lächelt hinter ihrer dicken Glasscheibe. Diskretion ist im Goldgeschäft ein wichtiges Gut. Viele ihrer Kunden möchten nicht gesehen werden, wenn sie mit Schmuck kommen – und manchmal mit Tränen in den Augen gehen.
Olivera leitet die Filiale des Goldankäufers „Oro Cash“, einer spanienweit agierenden Kette mit Sitz in Valencia. Laut Eigenaussage ist Oro Cash der Platzhirsch der Branche, mit über 90 Filialen – und einem Franchise-Modell, das sich so leicht anhört wie der Einstieg in den Würstchenverkauf auf dem Jahrmarkt. Wer selbst einmal Händler werden möchte, braucht laut Franchisingleitfaden von Oro Cash nicht viel: Eine Startinvestition von 20.000 Euro für Panzerglas-Tresen, Werbeschilder und sonstige nötige Ladenausstattung, dazu 6000 Euro Lizenzgebühr und etwa 20.000 Euro Cashflow um Loszulegen. Dafür winkt dem Franchise-Nehmer ein Prozent vom Ankaufswert und zwei Prozent vom Verkaufsgewinn. Klingt nach wenig – ist es aber offenbar nicht. „Das Geschäft läuft gut”, sagt Olivera. Und wenn man sich anschaut, wie viele Ringe, Ketten und Gold-Reifen in ihren Auslagen liegen, glaubt man ihr aufs Wort.
Das Kernmodell ist so einfach wie unromantisch: Wer Gold bringt, bekommt den aktuellen Metallwert bar auf die Hand – oder nimmt einen Kurzzeitkredit auf das gute Stück auf. Dann wandert es in einen Tresor, kann innerhalb eines Monats wieder ausgelöst werden – gegen Zinsen, versteht sich. Wird es nicht rechtzeitig abgeholt, gibt’s Verlängerung gegen nochmal Zinsen.
"Viele meiner Kunden brauchen kurzfristig Geld"
„Viele meiner Kunden brauchen kurzfristig Geld. Es geht um Miete, Strom, manchmal auch um das Essen”, sagt Olivera. Es klingt mehr nach Sozialdienst als nach Edelmetallhandel. Doch das ist nur ein Teil der Kundschaft. Der größere Teil kommt nicht aus der Not, sondern aus dem Nachlass: Erbstücke, alte Geschenke, sentimentaler Ballast, den man nun gegen Bargeld und Freiheit eintauscht. Und dann sind da noch die Investoren – „darunter übrigens viele Deutsche“, wie Olivera mit einer Mischung aus Anerkennung und Amüsement bemerkt. Sie kaufen Goldbarren und Münzen als langfristige Vermögensanlage.
Der Boom kommt nicht von ungefähr. In nur einem Jahr hat sich die Zahl der offiziell registrierten Goldankaufsstellen in Palma verdoppelt – über 30 Läden soll es laut dem mallorquinischen Unternehmerverband Fehm mittlerweile geben. In Schaufenstern leuchten Pappaufsteller mit Sprüchen wie „Wir zahlen das meiste Geld“ oder „Bargeld sofort!“. Es ist, als hätte man eine Zeitmaschine gebaut, zurück in die 80er Jahre. Nur dass heute das Neonlicht kaltweiß ist, die Sicherheitsmaßnahmen deutlich verschärft – und die Preise astronomisch. Der Goldpreis ist in den vergangenen fünf Jahren um 82 Prozent gestiegen, von 1513 Euro pro Feinunze Anfang April 2020 auf exakt 2748 Euro fünf Jahre später. Wer heute verkauft, bekommt mehr denn je – und viele tun es.
Die Inflation frisst sich durch Gehaltsabrechnungen
Vor allem, weil sie es müssen. Die Inflation frisst sich durch die Gehaltsabrechnungen, und Gold wird zur Notreserve der unteren Mittelschicht. Ein zehn Gramm schwerer Ring bringt heute fast 600 Euro – genug, um die nächste Stromrechnung zu begleichen oder das Auto durch den TÜV zu bekommen. Laut der Second-Hand-Kette Cash Converters, die ebenfalls Altgold auf Mallorca ankauft, ist die Menge des gehandelten Goldes spanienweit 2024 um 64 Prozent gestiegen. Im Januar vergangenen Jahres seien 5899 Gramm Gold über den Tresen gegangen, im November bereits 9710 Gramm. Für die Kette ein Geschäft, für viele Kunden eine letzte Option, bevor es ernst wird.
Das alles wirkt wie ein leiser Kommentar zur allgemeinen Weltlage. Während sich an den Finanzmärkten und in den geopolitischen Hinterzimmern Katastrophen andeuten, flüchten sich die Reichen in Gold als Anlage, und die weniger Reichen in Gold als Hoffnung. In Palma jedenfalls ist es wieder das Metall der Stunde – ein glänzendes Versprechen in grauen Zeiten.
Und Laura Olivera sitzt weiterhin in ihrem kleinen Laden an der Calle Aragón, abgeschirmt hinter dickem Glas, das ihr längst vertraut geworden ist wie ein alter Bekannter. Sie weiß, wann jemand nur schnell etwas loswerden will – und wann einer zögert, weil er nicht nur ein Schmuckstück abgibt, sondern ein Stück Geschichte.
Mit ruhiger Stimme erklärt sie dann den Ablauf, rechnet geduldig vor und macht manchmal auch einfach nur einen Witz, um die Stimmung aufzuhellen. „Manchmal hilft es, das Ganze mit ein bisschen Abstand zu sehen“, sagt sie, „am Ende ist es ja doch nur Metall.“ Vielleicht ist das ihre größte Stärke: Dass sie trotz aller Zahlen, Preise und Werttabellen den Blick für das Menschliche nicht verloren hat. Und manchmal, wenn der Laden leer ist, stellt sie einen Ring ins Schaufenster zurück – einfach, weil er schön ist.