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Gottesknecht aus Alemania: Der Deutsche, der auf Mallorca bei Prozessionen mitmacht

Ein Freigeist mit Kulturspleen marschiert bei Palmas katholischen Osterprozessionen mit –. weil er’s kann, weil er’s fühlt, und weil Integration eben auch mal schwer wie eine Standarte sein muss

Am Dienstag (15.4.) wurde Hillmann die Ehre des Standartenträgers seiner Bruderschaft zuteil | Foto: Patricia Lozano

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Wenn auf Mallorca die Trommeln dumpf durch die Gassen hämmern, das Weihrauchfass wie eine Abrissbirne schwingt und barfüßige Büßer in spitzen Kapuzen durch die Altstadt von Palma ziehen, ist einer darunter, den man nicht sieht – aber der sich ganz besonders hineingefühlt hat: Roman Hillmann, 62, Rheinländer und passionierter Kulturaktivist mit Hang zur liturgischen Selbsterfahrung, ist vermutlich der einzige Deutsche, der sich freiwillig in eine Bußkutte zwängt und bei Mallorcas heiligsten Prozessionen mitmarschiert. Inkognito.

Nur am vergangenen Dienstag trat er – sichtbar, ganz vorne, ohne Kapuze – als Träger der Standarte der Bruderschaft de Nuestra Señora de Carmen aus Palmas Viertel Coll d’en Rabassa auf. „Eine ganz besondere Ehre”, sagt er.

Dabei ist das alles kein folkloristisches Touri-Foto für Instagram. Hillmann meint das ernst. „Kein Zuckerlecken, sechs Stunden lang im Gleichmarsch durch die Straßen”, sagt er. Und er sagt es mit einer Mischung aus Stolz und Muskelkater. „Bei meiner ersten Prozession vor drei Jahren wurde mir eine eisenschwere Lampe um den Hals gehängt. Danach war ich fertig.”

Trotzdem blieb er dabei. Oder gerade deswegen. Denn für Hillmann ist das kein Gottesdienst auf Rädern, sondern tiefes Erleben. „Ich tue es weniger aus religiösen Gründen, sondern als eine Form von Integration und Respekt gegenüber den Bräuchen des Landes, in dem ich lebe.”

Hillmann, der nie Spanisch oder gar Katalanisch gelernt hat („Ich verstehe die Mallorquiner und sie verstehen mich. Verständnisprobleme hatte ich noch nie.”), ist einer, der sich lieber in Rituale hineinstürzt als in Sprachkursen zu hocken. „Wenn ich fünf oder sechs Stunden bei den Prozessionen mitmarschiere, geschieht das irgendwie in Trance. Man fühlt sich als Büßer.” Integration durch Selbstauslöschung im Takt der Trommeln.

Die Liebe zur Inselseele kam über die Kunst. Im Januar 2023 eröffnete Hillmann direkt gegenüber der Kirche von Coll d’en Rabassa einen kleinen Kulturraum. „Wir machten Poesie, Live-Musik, Live-Malerei – alles auf der Straße, für das Viertel, nicht für Touristen.” Und plötzlich war er mittendrin. Die Kirche, der Pfarrer, die Bruderschaft – alle fanden den langhaarigen Hippie mit dem deutschen Akzent irgendwie sympathisch. „Ich wurde mit großer Herzlichkeit empfangen”, sagt er. „Der Pfarrer vermittelt in seinen Gottesdiensten eine zutiefst menschliche und unterstützende Botschaft, und die Bruderschaft unter dem Vorsitz von Encarna Ruiz öffnete mir ihre Türen mit offenen Armen.”

Dass er inzwischen in einem anderen Stadtteil wohnt, hat daran nichts geändert. „Ich bin immer noch Mitglied der Bruderschaft der Pfarrei in Coll d’en Rabassa, was ich hoffentlich noch viele Jahre sein werde.” Und das ist nicht nur so dahingesagt. Wer Hillmann sieht, wie er mit ernstem Blick, in Sandalen, schweigend in den Reihen der Büßer mitzieht, dem wird klar: Das ist keine Touristenperformance. Das ist seine Art, Teil dieser Welt zu sein. „Ich fühle den Weg des Büßers”, sagt er. „Das ist für mich wirkliche Integration mit der mallorquinischen Kultur.”

Dabei sah es am Anfang eher nach Kulissenjob aus. Hillmann, der beim ZDF als Aufnahmeleiter und Produzent arbeitete, lebte in Paris und Berlin, wirkte bei Wohltätigkeitsprojekten in Afrika mit – und auf Mallorca war er erstmal vor allem auf Fotos zu sehen. Immer irgendwo hinten drauf, neben Politikern, Galeristen, Künstlern. „Wer ist der Typ mit den langen weißen Haaren?”, fragten sich viele. Inzwischen weiß man: Das ist Hillmann, der Kulturaktivist, Co-Direktor des Radiosenders Sputnik, Sidekick von Martin Semmelrogge bei Radio „La Soledat”. Eine Art lokalpatriotischer Grenzgänger zwischen Hippietum, Hochamt und Hörfunk.

„Mittendrin und nicht nur dabei – das war schon in allen Ländern, in denen ich lebte”, sagt Hillmann. Und was das konkret bedeutet, sieht man eben am Gründonnerstag, wenn deutsche Osterurlauber an der Playa die erste Sangria des Jahres kippen – und Hillmann in Sandalen schweigend die Christusfigur durch die Gassen trägt.

Für ihn ist das kein Widerspruch. Es ist eine Lebenshaltung. „Ich möchte aktiv am Leben und an der Kultur der Insel teilhaben, um die Menschen und die Insel selbst besser zu verstehen.” Dafür nimmt er Schmerzen, Trancezustände und das Gewicht der Tradition gern in Kauf – manchmal sogar die schwere Standarte.

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