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Allein gegen Wind und Welle: Was Mallorcas Extremsegler Hugo Ramón antreibt

Nach seiner Rekordumrundung der Insel geht der 40-jährige bei einer der härtesten Einhandregatta an den Start

An Bord muss jeder Griff sitzen. Noch schlimmer sei jedoch, wenn es nichts zu tun gibt und die Einsamkeit das Ruder übernehmen will. | Ugo Fonollá

Palma de Mallorca |

Die Sonne gleißt über der Bucht von Palma, doch unter der braungebrannten Haut von Hugo Ramón liegt eine tiefe Anspannung. In wenigen Monaten wird der Mallorquiner erneut aufbrechen, allein mit seinem 6,5 Meter kleinen Segelboot, um den Atlantik zu überqueren. Ohne elektronische Navigationshilfen, nur mit Karte, Kompass und dem unerschütterlichen Willen eines Mannes, der die Extreme sucht und in der Einsamkeit auf See eine eigentümliche Freiheit findet.

Vor zwei Wochen erst bewies Ramón seine Klasse und sein untrennbares Band zu seiner Heimat. In einer beeindruckenden Solofahrt umrundete er Mallorca in neuer Rekordzeit. „Natürlich war das auch Teil der Vorbereitung für die Mini-Transat”, erzählt der 40-Jährige mit einem trockenen Lächeln. „Ich habe meine Excel-Tabelle mit den Stunden, die ich segeln muss, den Stunden auf See, der Datenanalyse, der mentalen und physischen Vorbereitung – die ganze Logistik eben.” Und dann sei da noch die tiefe Verbundenheit zu seiner Insel gewesen. „Ich bin verliebt in Mallorca, und es war an der Zeit, diesen Traum endlich zu verwirklichen.”

Die Rekordfahrt war mehr als nur ein Training. Sie war ein Tanz mit den Launen des Windes, eine strategische Meisterleistung, bei der Ramón Wetterdaten aus aller Welt analysierte, die Strömungen kannte wie seine Westentasche und sein Boot bis an die Grenzen trieb. „Man muss sehr gute Wetterdaten haben, aber auch eine präzise Telemetrie des Bootes”, erklärt er. „Man muss wissen, bei welchem Wind und welchem Winkel das Boot welche Geschwindigkeit macht, um die optimale Route zu planen.” Selbst mit moderner Kommunikation während der Umrundung verließ sich Ramóns Intuition oft mehr auf die Zeichen des Himmels und des Meeres als auf die nüchternen Zahlen.

Doch die Mini-Transat, dieses Rennen für Mini-Yachten über den Atlantik, ist eine andere Liga. Hier herrscht Funkstille. Die spärlichen Wetterberichte, die die Organisation über ein antiquiertes Funksystem sendet, sind vage und ungenau. Ramón muss sich auf sein eigenes Wissen, seine Erfahrung und die rudimentären Daten verlassen, die er vor dem Start gesammelt hat.

„Man notiert die Drücke und die Tiefdruckgebiete und beginnt, die Isobaren zu zeichnen”, beschreibt er den archaischen Prozess. „Dann überlegt man, wo ein antizyklonaler Rücken liegt und wo der Wind drehen könnte. Es ist ein bisschen so, als würde man mit kleinen numerischen Steuergeräten für 3D-Drucker, die wie die Polardiagramme meines Bootes funktionieren, auf der Karte seine eigene Route entwerfen.”

Die Vorstellung, wochenlang allein auf einem winzigen Boot inmitten des unendlichen Ozeans zu sein, flößt Ehrfurcht und vielleicht auch ein wenig Beklemmung ein. Ramón kennt diese Gefühle nur zu gut, denn es ist bereits seine vierte Teilnahme an diesem brutalen Rennen. „Meine größte Angst ist, dass ich anfange, an mir selbst zu zweifeln”, gibt er offen zu. Die Ungewissheit des Starts, wenn scheinbar besser vorbereitete Boote vorbeiziehen, nagt an seinem Selbstvertrauen. „Deshalb arbeite ich viel daran, alles unter Kontrolle zu haben, gute und verlässliche Daten vom Boot zu bekommen. Damit ich im Fall der Fälle sagen kann: ‘Okay, vielleicht ist das nur eine Momentaufnahme – mach weiter, verfolge deinen Plan.’”

Der Abschied von den Liebsten ist ein weiterer schmerzhafter Moment für den „sentimentalen Langstreckensegler”, wie er sich selbst bezeichnet. Um sich voll auf die bevorstehende Herausforderung zu konzentrieren, hat er sogar darüber nachgedacht, niemanden zum Start einzuladen. Routinen geben ihm Halt in dieser Phase der Anspannung: die Nacht vor dem Start im Ölzeug auf dem Boot verbringen, den letzten Wetterbericht laden, dann das Handy abgeben – ein symbolischer Schnitt mit der Außenwelt.

Die größten Gefahren lauern jedoch nicht in den eigenen Gedanken, sondern in den unberechenbaren Naturgewalten und den unachtsamen Begegnungen auf See. „Ich habe große Angst vor einer Kollision mit einem Fischerboot”, sagt Ramón mit ernster Miene. „Viele von denen haben kein AIS, kein Kontrollsystem. Wenn du 20 Minuten schläfst und einer kommt … das war’s.” Auch die unsichtbare Bedrohung durch verlorene Container, die wie tückische Minen im Ozean treiben, bereitet ihm schlaflose Nächte. „Die siehst du nicht. Genauso wie ein Fischerboot ohne Licht.”

Dieses Projekt ist für Hugo Ramón mehr als nur ein Rennen. Es ist die Verwirklichung einer inneren Notwendigkeit, ein Drang, Grenzen auszuloten und neue Wege zu beschreiten. Nach seiner Weltumseglung 2012 hatte er genug vom Leben ohne Sponsoren, fühlte sich ausgebrannt. Doch die Ideen für neue Designs, neue Teile, neue Trainingsmethoden ließen ihn nicht los. „Klügere Menschen als ich hätten gesagt: ‘Hugo, vergiss es.’ Aber ich konnte nicht. Ich musste es machen.”

Die Konsequenz: Ramón startet bei der Mini-Transat bewusst mit einem Serienboot, obwohl Prototypen in der Regel schneller sind. „Ich will ein Serienboot. Warum? Weil es mehr Konkurrenz gibt, mehr Leute.” Unter den rund 90 Teilnehmern sind etwa 60 Serienboote, und die Leistungsdichte an der Spitze ist enorm. „Die Unterschiede sind minimal. Das heißt, die Regatta ist sehr eng. Die Abstände sind klein. Alles ist super spannend.” Für Ramón ist dieser schwierigere Weg eine größere Herausforderung, eine wertvollere Lernerfahrung. „Ich will besser werden, mich weiterentwickeln. Ich will wissen, was ich kann.”

Und was kommt nach der Ankunft in Guadeloupe? Ramón zuckt mit den Schultern, ein schelmisches Grinsen huscht über sein wettergegerbtes Gesicht. „Ich glaube, ich werde einfach nur heulen”, sagt er und lacht. „Heulen wie ein Kind. Und dann, ja, dann werde ich wahrscheinlich erst mal schlafen. Ganz lange.” Einen konkreten Plan für die Zeit danach hat er nicht. Aber er weiß, dass er dann etwas sehr Wichtiges abgeschlossen haben wird. Und dass er hoffentlich sagen kann: „Es hat sich gelohnt.” Bis dahin aber heißt es für Hugo Ramón: allein gegen den Atlantik, ein stiller Ritt auf den Wellen des Ungewissen, getrieben von der unstillbaren Sehnsucht eines Abenteurers.

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