Mallorca erlebt derzeit eine umstrittene Wiederbelebung der jahrhundertealten Tradition des Stierkampfs. Die jüngsten Veranstaltungen in der Arena von Inca und im Balearen-Kolosseum von Palma zogen trotz anhaltender Debatten hohe Zuschauerzahlen an. Das Publikum vor Ort zeigte sich mehrheitlich offen für die Fortsetzung der blutigen Praxis.
MM war für ein Stimmungsbild mit dabei. Am Tag der Corrida in Palma, am Donnerstag, 7. August, traten die Matadore mit technisch anspruchsvollen Darbietungen an. Der Franzose Sebastián Castella dominierte den Abend, erhielt als Auszeichnung mehrfach das Ohr der Stiere und verließ die Arena als gefeierter Sieger. Auch Morante de la Puebla und José María Manzanares punkteten mit Können und Durchhaltevermögen.
Gleichzeitig kam es zu gefährlichen und teils bizarren Szenen für Toreros und Tiere. Ein erschöpfter Stier suchte schnaubend Schutz hinter einer Holzwand. Später stürzte ein Torero, und ein Stier wälzte einen Lanzenreiter samt Pferd um. Solche riskanten Momente machten erneut deutlich, wie hoch das Verletzungsrisiko für alle Beteiligten ist. Vor und während der "Rinderjagd" protestierten Tierschützer lautstark vor der Arena. Die Demonstrationen verliefen teilweise unter Polizeieinsatz, eine Aktivistin wurde vorübergehend festgenommen. Beide Seiten schildern die Ereignisse unterschiedlich, ein Anwalt prüft mögliche rechtliche Schritte.
Die Stierduelle locken so viele Besucher wie seit Jahren nicht
MM mischte sich unter die fast ausschließlich spanische Menge und suchte sowohl vor als auch nach dem adrenalingeladenen Spektakel das Gespräch mit Zuschauern und Protestierenden. Vor den Toren des Coliseo Balear stand der aus Muro stammende Juan Font Ferragut, der sich den Stierkampf gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern ansehen wollte. Der Mallorquiner zeigte sich als entschiedener Befürworter des Bullenkampfes und sagte: "Bereits als kleiner Junge ging ich mit meinem Vater und Großvater zu den Corridas. Sie sind ein Teil von mir geworden, und wenn ich nicht mehr hingehen könnte, würde ich mich schlecht fühlen." Er fügte hinzu: "Die Mehrheit der Protestierenden auf der anderen Straßenseite sind Ausländer. Sie haben nicht das Recht, über unsere spanische Kultur zu urteilen und sich in diese Debatte einzumischen."
Auch Antonio Escudero aus Albacete in der Region Kastilien- La Mancha mischte sich unter das bunte Volk, um das Stierkampfspektakel mit seiner Familie zu besuchen. "Es ist das erste Jahr, dass wir zusammen mit den Kindern den Stierkampf miterleben können, was uns sehr freut." Der Spanier hat bereits verschiedene Stierkämpfe auf dem Festland besucht, darunter das bekannte San-Fermín-Fest in Pamplona.
Seit 2018 ist die Tötung von Bullen bei Stierkämpfen wieder erlaubt
Die lautstarken Gegner der Veranstaltung wurden von einem hohen Sicherheitsaufgebot der Polizei bewacht. Eine von ihnen war die Aktivistin Gracia Osuna Fernández, die sich in der Organisation Satya Animal engagiert. "Im 21. Jahrhundert sollte es keine Stierkämpfe geben, sie sind eine Form der Tierquälerei. Bullen sollte dasselbe Recht zugestanden werden wie fühlenden Haustieren, zum Beispiel Hunden." Fernández zufolge befanden sich unter den vielen Demonstrierenden rund 60 Deutsche, die der Tierschutzorganisation Mallorca Against Bullfighting angehörten. Auch Natasha Retzmann aus London gehörte zu den Kritikern des blutrünstigen Events. Gegenüber MM sagte die Tierschützerin: „Ich setze mich seit über zehn Jahren gegen Stierkämpfe ein. Nur die wenigsten wissen, was genau vor und nach den Kämpfen mit den Bullen passiert. Tierfolter sollte keine Form der modernen Unterhaltung sein!"
Laut Jorge Matilla, Betreiber der Arena in Palma, erzielte der letzte Kampf mit bekannten Matadoren wie Morante de la Puebla einen Besucherrekord. Ein wichtiger Faktor für den Zulauf sei die erneute Zulassung von Minderjährigen, wodurch auch jüngere Generationen die Gelegenheit erhielten, diese „kulturelle Tradition” kennenzulernen. Laut der spanischsprachigen MM-Schwesterzeitung Ultima Hora sind für 2026 bereits weitere Veranstaltungen geplant. Auf Mallorca zählt man rund 15.000 begeisterte Stierkampffans ("Aficionados"), und die steigende Zahl junger Zuschauer gilt als Indiz für eine nachhaltige Fortführung der Tradition.
Während der Stierkampf in spanischen Regionen wie Andalusien, Valencia, Kastilien-La Mancha, Madrid, Extremadura und Kastilien-León weiterhin als fester Bestandteil der kulturellen Identität gilt, ist er in einigen autonomen Gemeinschaften verboten, etwa in Katalonien seit 2012 und auf den Kanarischen Inseln seit 1991. Auf den Balearen gab es seit 2017 strenge Einschränkungen: Stiere durften nicht mehr getötet werden, Toreros keine spitzen Waffen verwenden, und Pferde waren in der Arena verboten. Diese Maßnahmen sollten den Tierschutz verbessern, schränkten jedoch das traditionelle Spektakel ein. Im vergangenen Jahr hob das spanische Verfassungsgericht die Regelungen größtenteils wieder auf, wodurch der Stierkampf auf Mallorca und den Balearen erneut erlaubt ist.