Wenn in einer Gegend Idylle, Tradition und eine gewisse Schäbigkeit eng beieinander zu finden sind, dann schärft dies mehr die Sinne als Einförmigkeit schicker, gutbürgerlicher oder trostloser Art. Bewegt man sich durch die Gassen von Palmas Meeresviertel Es Coll d’en Rabassa und dem angrenzenden Cala-Gamba-Areal, so lässt einen die Unterschiedlichkeit der Eindrücke konzentriert so ziemlich alles beäugen.
Auf der einen Seite bemerkt der Flaneur urige alte Häuser mit lauschigen Gärten und großen Terrassen, die wirken, als würde man in den 1970er Jahren unterwegs sein. Dreht man weiter seine Runden, so stechen mitunter eher unangenehme Zustände ins Auge: In Steinwurfweite von dem bekannten Paella-Tempel El Peñón befindet sich ein rechteckiges, vernachlässigtes Gebäude, eine ehemalige Zuchtstätte für Hummer.
Dieses wird zum Ärger der Nachbarn bereits seit vielen Monaten von nordafrikanischen Jugendlichen besetzt gehalten. Berichte über traumhafte Ausblicke von der Dachterrasse aufs Meer, die die Kriminellen genießen dürfen, haben viele Inselbewohner zur Weißgut gebracht.
Putzige, weiße Llaüt-Schiffe im kleinen Yachthafen
Nur wenige Meter von dem total heruntergekommenen Gebäude entfernt taucht man wieder in eine Art Idylle ein: Im kleinen Yachthafen von Cala Gamba reihen sich putzige, weiße Llaüt-Schiffe aneinander, in Vorgärten an Straßen wie Carrer Bailèn oder Illa de Samos wachsen hinter altväterlich anmutenden Balustraden Gummibäume. Hier und dort sind Swimmingpools zu sehen, mutmaßlich alteingesessene Mallorquiner genießen die Sommerfrische.
Mittendrin in diesem auffallend stillen "Barrio" befindet sich ein historisch bedeutsamer Ort, der selbst manch einem Einheimischen nicht geläufig ist: die Festung Torre d’en Pau, in die man kostenlos durch einen Torbogen schreiten kann und wo Dutzende Katzen die alten Mauersteine zu bewachen scheinen. Bereits im XIV. Jahrhundert soll hier eine Vorgängerkons-truktion gestanden haben, das Ganze war jahrhundertelang ein Munitionsdepot mit Kanonen samt Blick auf die Bucht von Palma. Der aktuelle Bau wurde im Jahr 1898 fertiggestellt.
Jetzt liegt im Festungsgraben – wieder ein für die Gegend so typischer Gegensatz – auffallend viel Unrat, auf einer Bank haust während der MM-Ortsbegehung ein Obdachloser. Der Ausblick auf die schmucklose, moderne Fassade des vor der Einflugschneise gelegenen Krankenhauses San Juan de Dios wirft ebenfalls einen Schatten auf die "Barrio"-Idylle.
Auf dem Fahrradweg direkt an der Küste, der an dem Chiringuito El Bungalow vorbeiführt, geht das Spiel der Gegensätze weiter: Während kaum ein Spanier bei 35 Grad Hitze und gleißender Sonne in die Pedale treten würde, machen dies auffallend viele Deutsche – zu zweit oder in Gruppen. "Jetzt können wir uns endlich mal ausruhen, wa", äußert eine Berlinerin, die auf einer überdachten Bank mit Meerblick sitzt. „Is’ det schön hier!” Der Fahrradweg verbindet die Playa de Palma mit dem Zentrum der Stadt und ist bestens ausgebaut.
Diese ganze Gegend ist ein Areal, das – weil noch fast voll und ganz ungentrifiziert – angenehm an andere Zeiten erinnert, als Mallorca noch als "Insel der Stille" bekannt war, was heute kaum jemand glauben mag. Es ist ein Relikt, das man kennenlernen sollte, ehe es im aufgeschickten Einheitsbrei aufgeht.